(wS/red) Siegen 13.12.2017 | Wenn es zwickt und kneift, die Bewegungsfähigkeit eingeschränkt ist, wenn es gilt nach einem Unfall, nach einer Operation oder nach einer Erkrankung wieder fit zu werden, dann sind sie zur Stelle: Die Physiotherapeuten. Physiotherapeuten werden von Menschen jeden Alters gebraucht.
Über die Ausbildung und die beruflichen Perspektiven informierte sich der gesundheitspolitische Arbeitskreis der CDU in der der DAA-Schule für Physiotherapie in Siegen. Die Ausbildung ist anspruchsvoll und meist teuer. Die Ausbildung dauert 3 Jahre: 2.900 Stunden theoretischer und fachpraktischer Unterricht in der Schule und 1600 Stunden praktische Ausbildung in der Einrichtung des Gesundheitswesens sind zu leisten. Die Auszubildenden sind jedoch in der gesamten Zeit Schüler.
Die Ausbildung ist durch ein Bundesausbildungsgesetzt in groben Zügen geregelt, die Umsetzung ist jedoch Ländersache. Barbara Otterbach, stellvertretende Schulleiterin, erklärte, dass in Folge der Länderzuständigkeit die Anforderungen uneinheitlich sind. Es gibt kein einheitliches Curriculum, das Qualifikationsprofil gilt als veraltet und auch die Qualifikation der Lehrenden ist nicht geregelt. Sogar die Zuständigkeit der Landesministerien variiert.
Die Kosten der Ausbildung sind höchst unterschiedlich: Die Schulen in Siegen-Wittgenstein sind in privater Trägerschaft. Die Schulen finanzieren sich über das Schulgeld. Dies sind zurzeit ca. 500 Euro im Monat. Einige Schulen in NRW und in anderen Bundesländern erhalten Zuschüsse vom Land, hier ist das Schulgeld meistens niedriger, gleichzeitig steht den Schulen aber mehr Geld pro Schüler zu Verfügung. Es gibt auch Schulen, die über das Krankenhausfinanzierungsgesetz gefördert werden und schulgeldfrei sind. Ab 2018 werden einige Schüler an Universitätskliniken in NRW eine Ausbildungsvergütung erhalten, die von der Klinik gezahlt wird.
Diese Entwicklung ist zu begrüßen und gut für die Schüler. Für die Region Siegen wird es damit schwieriger, geeignete Schüler zu finden, da in räumlicher Nähe (z.B. in Bestwig oder Bochum) eine qualitativ hochwertige Ausbildung für viel weniger Geld zu bekommen ist.
Schulgeld ist für die Schüler ein Problem. Die meisten müssen neben ihrer anspruchsvollen Vollzeitausbildung arbeiten: Etwa ein Drittel bricht die Ausbildung ab.
Die nächste Baustelle sind die Berufsaussichten. Trotz teurer Berufsausbildung sind die Gehälter weit unterdurchschnittlich. Viele Berufsabsolventen verlassen das Berufsfeld. Gründe sind schlechte ökonomische Aussichten, mangelnde Perspektive und Bürokratie. Diese Entwicklungen verschärfen den schon bestehenden Fachkräftemangel in der Region. Die Schere zwischen offenen Stellen und qualifizierten Bewerbern geht weiter auf.
Die Hochschulausbildung steckt in den Kinderschuhen: In Deutschland haben weniger als 5 % der Physiotherapeuten einen Bachelor-Abschluss erworben, den Master-Abschluss haben nur 3%. In anderen Ländern erwerben alle Physiotherapeuten an einer staatlichen Hochschule den Bachelorabschluss.
Laut Wissenschaftsrat wäre in Deutschland eine Akademisierungsquote von ca. 20% wünschenswert für das Fach und notwendig für eine qualitativ hochwertige Forschung. Die meist privaten Hochschulen sind für etliche Interessenten nicht erschwinglich und haben darüber hinaus meist kein Promotionsrecht.
Die Berufsprofile müssen sich ändern. Wir brauchen auch wissenschaftlich ausgebildete Therapeuten in der Patientenversorgung. Die Behandlung von Menschen erfordert bei vielen Erkrankungen ein interprofessionelles Handeln. Der Ausbau der lebenswissenschaftlichen Fakultät in Siegen böte Chancen für die Region bei der Schaffung von Rahmenstrukturen eine Vorreiterrolle zu übernehmen.
Die Schulen brauchen Planungssicherheit. Viele motivierte Schüler und Therapeuten lieben ihren Beruf. Die Politik ist gefordert, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Um die Ausbildung in der Region attraktiv zu halten, sind einheitliche Regelungen der Ausbildungskosten erforderlich. „Wir müssen aufpassen, dass qualifizierte Bewerber nicht abwandern. Ausgebildete Therapeuten von außerhalb können diese Lücke nicht füllen“, so Dr. Uta Butt, die Vorsitzende des Arbeitskreises. Die Gleichstellung mit Schülern z.B. beim Schülerticket würde den ökonomischen Druck der Physiotherapieschüler mindern. Die Kooperation mit der Universität böte besonders in der Aufbauphase der lebenswissenschaftlichen Fakultät Chancen für die Region und die Universität, sich zu profilieren.