(wS/red) Siegen 31.03.2020 | Vom Bierdeckel bis zum inklusiven Kochbuch
Fünf Jahre lang hat ein Team aus WissenschaftlerInnen der Universität Siegen am „Inklusionskataster NRW“ gearbeitet. Jetzt wurde das Kataster an das NRW-Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS) übergeben.
Inklusion betrifft alle Lebensbereiche – sie kann sogar auf dem Bierdeckel in der Kneipe stattfinden. Im Kreis Soest hat der Behindertenbeauftrage Bierdeckel mit 20 verschiedenen Fragen zum Thema Inklusion bedrucken lassen, so farbenfroh, dass sie sofort ins Auge fallen: „Gibt es genug barrierefreie Kneipen und Restaurants?“, „Bin ich nur schön, wenn mein Körper gesund ist?“ Eine Aktion, um Inklusion zum Gesprächsthema im Alltag zu machen – und eines von knapp 200 Praxisbeispielen für inklusive Projekte, die im „Inklusionskataster NRW“ erfasst sind. Fünf Jahre lang haben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Zentrum für Planung und Evaluation Sozialer Dienste (ZPE) der Universität Siegen daran gearbeitet. Entstanden ist eine Internetplattform, die inklusive Aktivitäten vorstellt und dabei helfen soll, diese vor der eigenen Haustür umzusetzen.
Mit dem Ende der Projektlaufzeit hat das Siegener Team das Inklusionskataster nun an das NRW-Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS) übergeben. „Ab jetzt ist das Ministerium für die Pflege der Plattform verantwortlich“, erklärt der bisherige Projektleiter am ZPE, Prof. Dr. Albrecht Rohrmann. In mühevoller Fleißarbeit haben er und seine MitarbeiterInnen inklusive Projekte, Betriebe und kommunale Planungsprozesse erfasst, bewertet und auf der Plattform veröffentlicht. Neben den konkreten Praxisbeispielen finden sich dort auch jede Menge Tipps, Materialien und Ansprechpartner zum Thema Inklusion. „Das Ziel ist, gelungene inklusive Praxis in NRW bekannt zu machen – und gleichzeitig andere so gut es geht dabei zu unterstützen, selbst aktiv zu werden“, sagt Mitarbeiterin Natalie Geese.
Wer sich im Inklusionskataster durch den Bereich „Projekte“ klickt, bekommt einen guten Eindruck davon, auf welch vielfältige Art und Weise Inklusion in NRW bereits gelebt wird. Von Kultur, Sport oder Politik über Wohnen und Gesundheit bis hin zu Arbeit, Kommunikation und Interaktion umfasst sie die unterschiedlichsten Bereiche. Mit dabei sind ebenso kleinere, lokal begrenzte Projekte wie die Soester Bierdeckel-Aktion, wie auch größer angelegte Initiativen, an denen vor Ort jeweils viele verschiedene Akteure beteiligt sind. „Beides hat seine Berechtigung und kann sehr wirksam sein. Wir haben aber beobachtet, dass übergreifende Projekte mit vielen Beteiligten über die Jahre zugenommen haben. Ich begrüße das sehr, denn langfristig gelingt Inklusion nur, wenn sie gesellschaftlich breit verankert ist“, sagt Projektleiter Rohrmann.
Sensibilität und Bewusstsein für das Thema Inklusion seien in den vergangenen Monaten gestiegen, hat das Team des ZPE beobachtet. Gleichzeitig gebe es nach wie vor viel zu tun, sagt Natalie Geese, die selbst eine Sehbehinderung hat: „Oft wird das Thema noch nicht weit genug gedacht. Dann gibt es bei einer öffentlichen Veranstaltung zwar eine Rampe für Rollstuhlfahrer – aber zum Beispiel noch keinen Gebärden-Dolmetscher, damit auch Hörbehinderte alles verstehen. Auch kognitive Einschränkungen werden noch zu selten berücksichtigt: Für Betroffene wäre es zum Beispiel wichtig, dass Broschüren und Infotexte in einer einfachen Sprache formuliert sind.“ Wichtige Zukunftsthemen sind aus Sicht der WissenschaftlerInnen Mobilität, Wohnraum und Quartiersentwicklung, das Dauerthema Bildung sowie die digitale Teilhabe – hier geht es beispielsweise darum, Internetseiten barrierefrei zu gestalten, damit sich dort auch Menschen mit Behinderung zurechtfinden können.
Für das Inklusionskataster NRW wünscht sich Prof. Rohrmann, dass es noch bekannter wird und dass in Zukunft noch mehr Initiativen und Kommunen darauf zurückgreifen, um selbst inklusive Projekte anzugehen und langfristig Strukturen zu etablieren, die Inklusion ermöglichen. Dass das Inklusionskataster fortgeschrieben wird, ist in NRW sogar gesetzlich festgelegt: Während des laufenden Projektes hat der Landtag das so genannte „Inklusionsgrundsätzegesetz“ verabschiedet – damit wird die Landesregierung beauftragt, dauerhaft Beispiele gelungener inklusiver Praxis zu erfassen und sie durch das Inklusionskataster NRW bekannt zu machen. „Das war ein positives Signal, über das wir uns sehr gefreut haben“, sagen Rohrmann und Geese, die aber eigentlich auf noch mehr hoffen: „Toll wäre, wenn Inklusion eines Tages gesellschaftlich so selbstverständlich wäre, dass der Begriff überflüssig wird. Dann wäre das Ziel wirklich erreicht.“
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