(wS/Red) Balingen/Ferndorf, 03.04.2025 | 60 Minuten Kampf, 6 Minuten Chaos – und der Sieg ist futsch
Coach Ceven Klatt hat vor dem Spiel sicherlich mit dem Team per Videostudium versucht, den Gegner zu lesen, zu sehen, wo er verletzbar ist, zu sehen, wo man ansetzen muss, um diesen haushohen Gegner eventuell doch zu schlagen oder zumindest einen Punkt abzunehmen.
Er hat sich auch das knapp verlorene Hinspiel noch einmal angeschaut, glaubte sicher auch zu wissen, was man falsch gemacht hat und wie man diese Mängel abstellen kann.
Man spielte ja nicht gegen irgendeinen Nobody, nein, der Erstligaabsteiger HBW Balingen-Weilstetten hatte zum Schlagabtausch geladen, und der TuS reiste schon einen Tag vorher an, um sich ausgeruht dem Gegner stellen zu können.
Ferndorf reiste an, um sich ein wenig mehr Sicherheit in der Liga zu verschaffen und aus dem Abstiegsstrudel rauszukommen. Balingen hingegen strebt den direkten Wiederaufstieg in die Beletage des Handballs an. Sie haben aber noch ein Ziel: Sie reisen nächste Woche in die LANXESS-Arena nach Köln, um im Final-Four des DHB-Pokals etwas fast Unmögliches zu schaffen, nämlich den Erstligisten MT Melsungen zu besiegen.
Das ist vergleichbar mit dem, was Ferndorf gestern in Balingen vorhatte, aber im Gegensatz zum Ligaalltag ist im DHB-Pokal alles möglich.
Es ist aber auch eine verrückte Situation: Ferndorf ist bei Heimspielen in der Stählerwiese mittlerweile eine Macht, verfügt aber über eine unerklärliche Schwäche bei Auswärtsspielen. Alle vier zurückliegenden Spiele in diesem Jahr hat Ferndorf in der Stählerwiese gewonnen, und die letzten sechs zurückliegenden Auswärtsspiele hat der TuS komplett verloren.
Verloren durch nachlassende Konzentration nach hinten raus, zu viele Fehlwürfe oder technische Fehler, aber natürlich auch durch Ausfälle von Spielern. Man kann zwar nicht sagen, wir hätten sie alle gewinnen müssen, aber manche Spiele hätte man gewinnen können. Die Ferndorfer haben aber hundertprozentige Chancen leichtfertig vergeben.
Aber das kann auf Dauer nicht so bleiben. Nur durch Heimsiege wird die Klasse nicht zu halten sein. Unterstützung durch andere hilft da schon mal, nur verlassen kann man sich ja nicht darauf.
Es muss also wieder klappen – wir müssen die Konstanz, die ja bei Heimspielen vorhanden ist, auch in die Ferne mitnehmen und müssen auch dort die Punkte holen. Teams, die in der Hinrunde geschwächelt haben, sind auf einmal gut und punkten sich auf einen besseren Tabellenplatz.
Das gestrige Spiel jetzt minutiös aufzuarbeiten, bringt nicht wirklich viel, denn bis zur 54. Minute haben wir ein fast perfektes Spiel abgeliefert. Wir haben den hohen Favoriten zwar nicht an die Wand gespielt, ihn aber maximal geärgert. Grundsätzlich war es eine Abwehrschlacht in Erstligamanier (DYN) zweier Teams, die wirklich voll auf Augenhöhe spielten. Da war kein Unterschied zwischen Aufsteiger und Absteiger erkennbar.
In der Offensive kamen die langen Kerle aus dem Süden mit dem Ferndorfer Abwehrbollwerk lange Zeit überhaupt nicht klar, denn unser Abwehrkarussell hatte da volle Fahrt aufgenommen. Und wenn zwei gute Abwehrreihen aufeinandertreffen, kann es nicht viele Tore geben. Gab es auch nicht, die ersten zwei Tore erzielte Josip Eres für Ferndorf und damit schraubte er seine Torbilanz von 99 auf 103 Tore, Glückwunsch!
Geprägt war das Spiel aber auch schon in der 1. Halbzeit durch Fehler in der Offensive, Fehlwürfe und technische Fehler waren da auch schon präsent – beim Gastgeber lief es aber auch nicht besser.
Durch die gute Präsentation der Abwehr konnte man Fehler im Angriff leichter verdauen, aber maximale Leistung sieht schon anders aus. Das weiß auch Ceven Klatt, aber für die Auswärtsschwäche hat er noch keinen Trank anrühren können. Da waren die Gallier nach hinten raus im Vorteil.
So ging es im extrem torarmen Spiel mit Kampf weiter und kämpfen können unsere Jungs ja schon. So sah man Stürmerfouls auf beiden Seiten, aber weiter brachte das Ganze kein Team. Ferndorf brillierte mit einem ganz starken Jonas Wilde im Tor, der in diesem torarmen Spiel auf elf Paraden kam, die allerdings wegen der wenigen Gegentore eine Quote von 35,5 % brachten. Aber auch der Gegenüber Kornecki glänzte mit 13 Paraden (44,8 %).
War zu Beginn der TuS in Führung, übernahmen die Gallier das Ruder, aber nicht, um davonzuziehen. Sie lagen nur immer mit ein oder zwei Toren in Front. Weitere gute Chancen endeten im Ferndorfer Bollwerk, wo Mattis Michel, Valentino Duvancic und zwischenzeitlich auch Fabian Hecker einen guten Job machten.
So robbte man sich mit Tor/Gegentor auf die Halbzeit zu, mit einem 5:5, 6:6, 7:7 und 8:8 gestaltete man das Match immer ausgeglichen. Das 8:8 erzielte Valentino Duvancic, da das Gallier-Tor nach einer Zeitstrafe verwaist leer stand. Doch Balingen erzielte noch kurz vor der Sirene das 9:8, und eine Halbzeit mit Minusrekord (?) wurde beendet.
Es war schon eine enge und spannende Partie, und die Paarung als solche versprach ja schon im Vorfeld viel Brisanz, und die war zweifellos da. Aber es wurde auch einiges geboten: Fehlwürfe, Stürmerfouls, technische Fehler, Zeitstrafen und verworfene Siebenmeter, aber das betraf beide Teams.
Trotzdem Balingen das Match gewonnen hat, erlaubten sie sich den Luxus, vier Siebenmeter nicht verwandeln. Die zweite Halbzeit begann sehr gut für den TuS. Man trieb Balingen ins Zeitspiel, sie verwarfen, bekamen in dieser Phase aber auch noch einen Siebenmeter zugesprochen. Das war dann auch einer von denen, die sie verwarfen – insgesamt vier gingen entweder daneben oder aber in die Fänge von Jonas Wilde, der zwei Stück mit Bravour abwehren konnte.
Begeisterung pur bei Heimcoach Matthias Flohr sieht anders aus – bei einem seiner Auszeiten verlangte er, dass wieder Handball gespielt werden soll.
Balingen glänzte in dieser 2. Halbzeit bis zur 39. Minute mit verworfenem Siebenmeter, Zeitstrafe und Fehlern. Wenn all das passiert, bleibt wenig Luft für Gegentore – so auch hier. Tore sahen wir nur von Hendrik Stock, Gabriel Viana, Marvin Mundus und Jonas Wilde.
Balingens Spieler durfte sich nach einem Foul zwei Minuten überlegen, warum er raus musste. Klar, das war eine Chance für Ferndorf. Wilde fing den Angriff der Balinger ab, ihr Tor war leer – und so haute er das Ding über die 40 Meter quer durch die Halle in dieses leere Tor.
Der Gastgeber, völlig von der Rolle, vergaß das Torewerfen und brauchte bis zur 39. Minute, um wieder ins Spielgeschehen einzugreifen – erst da erzielten sie wieder ein Tor. Ferndorf hatte sich bis dahin gut durch die HBW-Fehler bedient, und so hieß es 10:12, Balingen 1 Tor, Ferndorf 4 Tore.
Ferndorf verwaltete nun diesen Vorsprung nur und verpasste, sich weiter abzusetzen. Nach dem 11:14 (44. Min) erhielt Marvin Mundus eine Zeitstrafe, den dadurch erhaltenen Siebenmeter wehrte Wilde ab, doch man konnte sich nicht mit einem weiteren Tor belohnen, und so kam das 12:14 durch die Gastgeber, gefolgt durch das 13:14, Balingen war dran.

Sooo viel fehlte nur an einem Sieg. Foto: Andreas Domian (Archivfoto wirSiegen)
Zu Beginn der Crunchtime, wir schrieben die 51. Minute, war alles wieder offen, denn es hieß nur noch 15:15. Duvancic erhielt eine Zeitstrafe, trotzdem erzielte Julius Fanger noch das 15:16, es blieb eng.
Doch begünstigt durch ein Siebenmetertor und ein weiteres Feldtor machten die Gastgeber schnell das 16:16 und 17:16 (53. Min), es war die erste Balinger Führung in dieser 2. Halbzeit. Und da war sie jetzt wieder, die Zeit der unkonzentrierten Aktionen.
Woher kommen auswärts diese Fehler in der Crunchtime? Nach hinten raus werden da einfachste Chancen vergeben. Hundertprozentige werden vergeben – und jetzt stand die Halle in Balingen auch wieder hinter ihren Jungs, und das erleichtert es für unsere Jungs sicherlich nicht.
Josip Eres erzielte zwar noch das 17:17 (54. Min), doch dann kam die K.-o.-Phase mit dem 18:17, 19:17 und 20:17. Wir hatten schon die 59. Minute und jeder wusste, dass dieser Drops gelutscht war. Es gab noch das 20:18 von Gabriel Viana, doch die Gastgeber machten mit dem Endstand von 21:18 die Schotten dicht.
Schluss, aus, Feierabend – Auswärtsniederlage Nummer 7 war eingetütet. Klar war es ein Spitzengegner, aber es kommt – wie auch heute – darauf an, WIE man das Spiel verliert. Wieder waren es Fehler in der Crunchtime, man hatte aber auch schon beim 10:13 oder 11:14 die Chance, weiter davonzuziehen, doch schon da wurden Hundertprozentige leicht vergeben.
Doch in den letzten fünf Minuten gab es nichts mehr auf der Haben-Seite zu verbuchen, es waren zwei unnötig verlorene Punkte. Hoffentlich trauert man ihnen nicht noch nach.
Daniel Hideg hatte heute nach seiner krankheitsbedingten Auszeit seinen ersten Einsatz – aber wir denken, es war vielleicht zu früh für dieses wichtige Match!? Alternativen in Person von Marko Vignjevic saßen auf der Bank, er hätte Ceven Klatt vielleicht weiterhelfen können, ob es was gebracht hätte, wissen die Handballgötter.
In diesem Abwehrkampf hätten sich Mattis Michel und Co. auch eine kleine Auszeit verdient, wir hatten doch den starken Malte Nolting. Er hätte sicher ein bisschen Zeit zum Luftholen der anderen beisteuern können, denn Mattis und Valentino haben gerackert bis zum geht nicht mehr.
Wenig Spielzeit hatte auch Fabian Hecker, der lange auf der Bank saß, in seiner Einsatzzeit zeigte er im Abwehrverbund eine gute Leistung!
In solchen Spielpassagen hört man immer mehr den Begriff Belastungssteuerung. Da geht es um die Anpassung der Trainings- und Wettkampfbelastungen, da die Anforderungen ja je nach Spielposition variieren.
Egal wie, wir haben ein spannendes, kampfbetontes Spiel gesehen, in dem viel funktionierte, aber wo nach hinten raus das Spiel aus der Hand gegeben wurde. Balingen war cleverer, hat zum richtigen Zeitpunkt die Fehlerquote auf nahezu null runtergefahren und Ferndorf wurde eiskalt erwischt.
Punkte müssen nun woanders her – bestenfalls kommenden Freitag um 20:00 Uhr in der Stählerwiese.
Da kommt Dessau.
Da zählt kein „fast“.
Da müssen Punkte her.
Da wird aus Drama wieder Triumph. Hoffentlich.
Und dafür brauchen unsere Jungs die Hilfe der Fans. Denn die sind in der Lage, unser Team am Freitag zum Sieg zu peitschen. Gemeinsam schaffen wir das.
Denn „DAS IST FERNDORF – DAS BIST DU.
Ein ganz großes Kompliment kam auch von den Moderatoren von DYN, die in diesem Spiel zwei Mannschaften gesehen haben, die sich auf Augenhöhe begegnet sind. Sie haben dem TuS ein ganz großes Kompliment für eine absolut gute Leistung attestiert. Danke von hier, aber kaufen kann man sich nichts davon.
Drama, Tragik und trotzdem Respekt
Du kannst dieses Spiel verlieren, aber du darfst es nicht vergessen. Ferndorf hat einen der besten Gegner der Liga an den Rand gebracht, ihnen alles abverlangt, sie fast zu Fall gebracht. Aber: Spiele gewinnt man nicht mit „fast“, sondern mit Killerinstinkt. Und der fehlte, wieder einmal, in den letzten Minuten.
Statistik zum Mitzittern:
- Technische Fehler: 10 Ferndorf, 8 Balingen
- Fehlwürfe: 18 Ferndorf, 15 Balingen
- Paraden: Jonas Wilde 11 (35,5 %), Kornecki 13 (44,8 %)
Torschützen TuS Ferndorf:
- Josip Eres 4/1, Gabriel Viana 3
- Fanger, Stock, Kevic je 2
- Hideg, Hecker, Mundus, Duvancic, Wilde je 1
Die nackten Zahlen:
- Technische Fehler: TuS 10, HBW 8
- Fehlwürfe: TuS 18 (!), HBW 15
- Paraden: Wilde 11 (35,5 %), Kornecki 13 (44,8 %)
Fazit:
Ein Spiel wie eine Achterbahnfahrt. Ferndorf hat bewiesen, dass sie mit den Großen tanzen können – aber sie stolpern immer wieder über den eigenen Rhythmus. Die Halle in Balingen tobte, als der Favorit am Ende die Arme hochriss. Und Ferndorf? Muss sich nichts vorwerfen – außer, dass sie sich nicht belohnt haben.
CEVEN KLATT: Insgesamt schade, wir haben einen wirklich großen Fight in Balingen geliefert. Wir haben über weite Strecken des Spiels fantastisch gedeckt insbesondere im Innenblock mit Mattis Michel und Valentino Duvancic, ebenso auf der Halbposition mit Gabriel Viana. In diesem Gesamtkonstrukt ist die halbrechte Seite ein bisschen abgefallen. Aber trotzdem, wenn wir nur 21 Tore kassieren, dann machen wir am Ende viel richtig. Wir sahen eine gute Torwartleistung von Jonas, das mit dem Wechsel im Tor hat auch so funktioniert, wie ich mir das vorgestellt habe. Da war vieles gut, vorne ist es leider so, dass Balingen auch sehr stark deckt und wir das Momentum beim 14:11 verpassen und auch 2 Großchancen von Linksaußen von Gabriel Viana vergeben. Das kann eine Vorentscheidung im Spiel sein, dann kommt Balingen wieder Stück für Stück dran bis zum 17:17. Und dann merkt man einfach, dass dort die Halle kommt, da braucht man dann halt auch ein bisschen Spielglück, oder vielleicht mal einen Pfiff von den Schiris, die wir gestern nicht bekommen. Aber gut, wir müssen bei uns nach den Fehlern suchen. Wir sind dann vorne nicht durchschlagskräftig genug, auch nicht am Kreis, ebenso auf halbrechts zu schwach. Im Spiel hat man nicht viele Chancen, da muss dann aber die Effektivität besser sein. Insgesamt war es trotzdem ein toller Auftritt von den Jungs mit einer kämpferischen Leistung, haben Balingen am Rande einer Niederlage gehabt. Wir haben wieder einen Großen lange geärgert und ich bin auch überzeugt, dass es in der Saison nochmal klappen wird, dass wir nochmal einen Großen schlagen können. Gestern hätten wir einen Punkt verdient, aber den nehmen wir nicht mit. Jetzt heißt es, sich heute etwas auszuruhen, Morgen geht es dann weiter mit der Vorbereitung auf Dessau.
MARVIN MUNDUS: Ich denke, wir haben alle an den Sieg geglaubt, das hat man auch gesehen. Ich finde, wir verteidigen überragend gegen Balingen und kassieren auch nur 21 Gegentore, da hat uns Jonas aber auch sehr bei geholfen, aber mit 18 Toren gewinnt man kein Spiel in der 2. Liga. Knackpunkt war, wie schon im Hinspiel die Chancenverwertung. Ich meine, wenn wir beim 11:14 noch ein, zwei draufsetzen, dann ist es am Ende vielleicht ein Unentschieden. So gehen wir mit leeren Händen nach Hause. Wir richten den Blick weiter nach vorne, ich finde, wir haben trotzdem ein gutes Spiel gemacht und versuchen jetzt am Freitag die nächsten Punkte zu holen.
Bericht: Peter Trojak
Collage: Andreas Domian