Vom Sinnbild des Ungesunden zum Vorbild für Gesundheit

PD Dr. Cornelius Schubert sprach bei Forum Siegen zum Thema „Die Stadt als Labor“

(wS/red) Siegen 08.07.2019 | Macht die Stadt krank oder gesund? Die Frage klingt plakativ und vielschichtig zugleich. Und sie spielte eine zentrale Rolle im Vortrag von PD Dr. Cornelius Schubert im Rahmen der Vortragsreihe „Forum Siegen“ der Universität Siegen. Sein Thema lautete „Die Stadt als Labor. Zu den Verhältnissen von Stadt, Technologie und Gesundheit“. Über lange Zeit hinweg hätten vor allem die Defizite der Städte Beachtung in der Forschung gefunden, so der Techniksoziologe der Universität Siegen. Wasser, Luft, Licht – in Anbetracht von Fabriken, Schloten und Enge habe es kaum positive Sichtweisen der Stadt gegeben. Schubert: „Die Soziologie kennt eine ganze Reihe klassischer Stadtstudien, alle sind nicht sehr positiv.“ Emile Durkheim (1858 – 1917) schrieb „Der Selbstmord“. Seiner Meinung nach war das Leben in den schnell wachsenden Großstädten des 19. Jahrhunderts teilweise ‚tödlich‘. Durkheim: „Die Zivilisation konzentriert sich in den großen Städten, der Selbstmord ebenso.“ Der Autor sah die Stadt als Seismographen moderner Pathologien, die durch die zeitgleiche Verdichtung und Vereinzelung der Stadtmenschen hervorgerufen werden. 1903 schrieb Georg Simmel den Aufsatz „Die Großstädte und das Geistesleben“. Demnach macht das Leben in der Großstadt in Anbetracht überfordernder und beschleunigter Sinneseindrücke tendenziell ‚verrückt‘. Die Stadtmenschen reagierten mit neuen Sozialformen, in denen sie zur Versachlichung ihrer Beziehungen neigten. So entstünden die „Blasiertheit“ und „Reserviertheit“ der Großstädter. Schubert: „Die Ahnenreihe der Soziologie zeigt eine kontinuierliche Stadtkritik.“ Erste positive Ansätze in die wissenschaftliche Diskussion brachten 1925 Robert Park und Ernest Burgess in „The City“. Ihrer Meinung nach zeichnen sich große Städte durch ein instabiles Gleichgewicht aus. Es finde eine Unterteilung in „Mosaiken kleiner Welten“ statt, in denen sich Stadträume ausdifferenzieren. Wie Durkheim und Simmel sehen beide die Stadt als wesentlichen Übergangsort von der Tradition zur Moderne. Allerdings schaffe die Großstadt auch den Freiraum, um neue Formen sozialen Zusammenlebens zu erproben. So ist die Stadt als Labor laut Schubert ambivalent. Sie ist Ort der Verdichtung und Beschleunigung, ein Ort, an dem man große Veränderungen im Kleinen beobachten könne, Freiraum für experimentelle Neuerungen, Experimentierfeld für soziale Innovationen. Tatsächlich hätten Städte mit Blick auf Technik und Gesundheit auch Vorteile gehabt. Die Krankenhäuser seien in Städten entstanden, damit einhergehend ein neues Gesundheitswesen und die Verbreitung der modernen Medizin. Dagegen entwickle sich heute eine Diskussion um die Probleme der medizinischen Versorgung auf dem Land. Das Bild der Stadt wandle sich in diesem Zusammenhang zunehmend „vom Sinnbild des Ungesunden zum Vorbild für Gesundheit“.

Foto: Uni Siegen

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