Liegt Wittgenstein wirklich am Ende der Welt?

wS/si  –  IHK Siegen  –  10.05.2012  –  Im Rahmen ihres traditionellen „Wittgensteiner Unternehmergesprächs“ diskutierten auf Einladung der Industrie- und Handelskammer Siegen (IHK) Wittgensteiner Unternehmer im Jagdhof Glashütte mit den Kandidaten für die anstehende Landtagswahl am 13. Mai.

IHK-Vizepräsident Christian Kocherscheidt, EJOT Holding GmbH & Co. KG, Bad Berleburg, eröffnete die Runde mit einem Blick auf die aktuelle Konjunkturentwicklung. „Sie gibt zwar keinen Anlass zu euphorischen Freudensprüngen“, so der Unternehmer, „lässt die Zukunft aber auch nicht grau in grau erscheinen“. Die jüngste Befragung der Unternehmen durch die IHK hat ergeben, dass sich im Vergleich zum Jahresanfang die Lagebeurteilung und auch die Erwartung der Unternehmen nur wenig verändert haben. Der Konjunkturklimaindex, das Fieberthermometer der regionalen Konjunktur, bleibt in etwa auf dem hohen Niveau vom Jahresbeginn.

In der Diskussion mit den Politikern war naturgemäß die Verkehrsverbindung von und nach Wittgenstein Thema Nummer eins. Wolfgang Weber, Weber Maschinentechnik GmbH, Bad Laasphe, äußerte dabei Unverständnis darüber, dass die Landesregierung sich nolens volens über das Votum des Bad Laaspher Rates, dem auch er angehöre, hinweggesetzt und die bevorzugte Variante der Ortsumgehung mit der zweifelhaften Begründung abgelehnt habe, ihr fehle mehrheitlich die Unterstützung der Bevölkerung. Diese Forderung der Landesregierung nach einem breiten Konsens als grundsätzlich notwendige Voraussetzung für den Bau von Straßen, war denn auch ein harscher Kritikpunkt, den die Unternehmer an die Vertreter von SPD und Bündnis 90 / Die Grünen richteten. Wer die Realisierung von Projekten davon abhängig mache, auch den letzten Opponenten zum Konsens zu bewegen, der wähle automatisch den Stillstand. Ein Modell für einen Industriestandort Nordrhein-Westfalen sei dies nicht.

Ausgesprochen kritisch äußerten sich die Unternehmen auch zu der nicht endenden Diskussion um die Verkehrsanbindung nach Wittgenstein über die „Route 57.“ Diese Straße müsse endlich her, wenn man es ernst damit meine, die Zukunft dieses Wirtschaftsstandortes wirklich im Auge zu behalten. Ulf Pöppel, Geschäftsführer der BSW Berleburger Schaumstoffwerk GmbH, Bad Berleburg, machte dabei deutlich, dass die gute Verkehrsanbindung nicht nur für den Transport von Fertigprodukten und Vormaterialien besser ausgebaut werden müsse. Noch viel schlimmer treffe die Unternehmer in Wittgenstein die völlig unbefriedigende Erreichbarkeit, wenn es darum gehe, mehr Fach- und Führungskräfte für den Standort Wittgenstein zu gewinnen. „Die demografische Entwicklung stellt gerade für die drei Wittgensteiner Kommunen eine gewaltige Herausforderung dar“, so Pöppel. „Wir sind deshalb dringend darauf angewiesen, auch Menschen von außerhalb der Region für den Standort zu begeistern. Wer aber von Kreuztal bis Berleburg so lange braucht wie von Köln bis Kreuztal, dem ist kaum noch klarzumachen, dass Wittgenstein nicht am Ende der Welt liegt.“

Auch die vom Vertreter der Bündnis 90 / Die Grünen in die Diskussion gebrachte Alternative, statt Ortsumgehungen die bestehenden Straßen auszubauen, sei nicht wirklich erfolgversprechend. Wegen der bewegten Topografie und der großflächigen FFH-Gebiete sei ein „echter“ Ausbau der bestehenden Straßen, zumindest naturschutzrechtlich, ebenso schwierig durchzusetzen wie ein Aus- und Neubau der Ortsumgehungen. „Wie“, so der Tenor der Unternehmer, „wollten die Politiker den Arbeitnehmern in Wittgenstein angesichts der Blockade bei diesem Straßenprojekt den schleichenden Prozess des Arbeitsplatzabbaus erklären“. Bereits heute denken Unternehmen sogar öffentlich darüber nach, in Zukunft wegen der schlechten Verkehrsanbindung Erweiterungen nicht in Wittgenstein, sondern an anderen Standorten im In- oder Ausland durchzuführen. Dass dieser Prozess bereits in vollem Gange sei, unterstrich zum Beispiel Aleksander Bikar, Bikar Metalle GmbH, Bad Berleburg, der erklärte, dass sein Unternehmen den Erweiterungs-Standort an der A 4 in Thüringen vor allem wegen der widrigen Verkehrsverhältnisse in Bad Berleburg gewählt habe.

Update: Die CDU Kandidatin Monika Brunert-Jetter war eine von insgesamt vier geladenen Kandidaten-Gästen  beim traditionellen  „Wittgensteiner Unternehmergespräch“  der IHK Siegen  im Jagdhof Glashütte.  Sie konnte bei den anwesenden Unternehmern augenscheinlich mit ihren Kernthemen punkten.  Brunert- Jetter sprach sich gegen die Benachteiligung  des  ländlichen Raumes aus: „Gerade bei der für unsere Region so wichtigen Straßeninfrastruktur darf an Straßenbau und Straßeninstandsetzung nicht gespart werden“. Rot-Grün würde darüber hinaus planen den EU-Fond „Ziel 2“ wieder nur in strukturschwache Gebiete fließen zu lassen, zu denen unser Kreis Siegen-Wittgenstein eindeutig nicht gehöre. Hier würde man uns im Wettbewerb um Fördermittel für gute Ideen wieder ausschließen. Damit werde seitens Rot-Grün die Existenz von vielen heimischen Industriebetrieben und deren Arbeitsplätzen in höchst riskanter Weise aufs Spiel gesetzt.

Es sei ihr auch ein Anliegen, dass im Kreis Siegen-Wittgenstein, eine „Zertifizierung von besonders familienfreundlichen Betrieben“ umsetzen sei. Die „Work-Life-Balance“ werde für alle Arbeitnehmer eine immer wichtigere Entscheidung bei der Arbeitsplatzwahl. „In Anbetracht der demografischen Entwicklung in unserer Region, muss verstärkt auf eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf geachtet werden.“

Die CDU habe in ihrer Regierungsverantwortung gegen den Widerstand von Rot-Grün einen Modellversuch in NRW zum Thema PPP (Public-Private Partnership / Öffentlich-Private Partnerschaft) hier in Wittgenstein erfolgreich auf den Weg gebracht. Dieses Projekt beinhalte über 100 Kilometer Landesstraßensanierung im Wittgensteiner Land und wird derzeit (bis 2013) gebaut. Darüber hinaus wurden diverse Ortsdurchfahrten und Landstraßenteilstücke saniert. Für diese kontinuierliche Fortsetzung der Verbesserung der Verkehrswege werde sie sich  weiter einsetzen. Die „Route 57“ solle nach den entsprechenden Planungsvorbereitungen in der Priorisierung vorrangig gebaut werden. Auch das würde Rot-Grün verhindern wollen.

Aber auch die Bildung würde ihr sehr auf dem Herzen liegen: „Ich möchte das Projekt „Oberstufenakademie“ in Siegen-Wittgenstein realisieren. Eine Einrichtung, die jungen Menschen in der Gymnasialen Oberstufe die Möglichkeit gibt sogenannte Soft-Skills zu erwerben – emotionale und soziale Kompetenzen.“ Sie habe bereits Gespräche mit den hiesigen Gymnasien geführt und sei dabei auf breite Zustimmung gestoßen. Überdies mache das die jungen Menschen fit für den Beruf und würde sie an unseren, so  Brunert-Jetter, „schönen Kreis Siegen-Wittgenstein binden“.

Bildzeile: Beim traditionellen „Wittgensteiner Unternehmergespräch“ wurde mit den Kandidaten für die anstehende Landtagswahl diskutiert.

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