Siegen wird urban

Studierende der Universität Siegen haben in der Siegener Innenstadt Sozialraumanalysen durchgeführt. Ein Ergebnis: In den neu gestalteten Bereichen zwischen Bahnhof und Sieg-Ufer findet ein Prozess der Urbanisierung statt.

(wS/red) Siegen 21.07.2016 | Auf der Sitzbank entlang der neuen Siegbrücke sitzen Menschen und essen Eis oder ruhen sich vom Shoppen aus. Tische und Stühle des Café Extrablatt sind voll belegt. Ebenso die neuen Sitzkreisel zwischen Café und Siegpromenade. Dazwischen wird flaniert, gespielt, vorbeigeeilt oder geplaudert. Das Publikum ist extrem heterogen: Jugendliche, Ältere, Familien mit Kindern, Berufstätige, Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. „Im Bereich rund um das Café Extrablatt mischt sich alles, das ist sehr schön. Durch die Raumgestaltung haben alle Bevölkerungsgruppen Zugang zu diesem Platz und können sich so zeigen, wie sie sind. Siegen ist hier wirklich sehr städtisch“, sagt Sabine Meier. Sie ist Junior-Professorin für „Räumliche Entwicklung und Inklusion“ an der Uni Siegen und hat mit einer Gruppe Studierender Teile der Unterstadt ethnographisch untersucht.

Jun.-Prof. Sabine Meier im Bereich des Café Extrablatt, den sie mit den Studierenden untersucht hat. (Foto: Uni)

Jun.-Prof. Sabine Meier im Bereich des Café Extrablatt, den sie mit den Studierenden untersucht hat. (Foto: Uni)

Besonders interessiert haben sich die Architektur- und Pädagogik-Studierenden dabei für die Wechselbeziehung zwischen der Raumgestaltung und dem Verhalten der Menschen. „Je nachdem, wie ein Raum entworfen ist, ermöglicht er erst bestimmte Verhaltensweisen,“ erklärt Prof. Meier. „Wir wollten schauen, wie die Bahnhofsstraße und der neu entstandene Platz zwischen Bahnhofsstraße, Brüder-Busch Straße und neuer Siegbrücke von den Menschen wahrgenommen wird, wie sie ihn nutzen.“ Dazu haben die Studierenden unter anderem Passanten und Café-Besucher befragt (nicht repräsentativ), sie beobachtet und Momentaufnahmen festgehalten und ausgewertet.

Sie haben zum Beispiel herausgefunden, dass der Platz rund um das Café wie eine Art Bühne fungiert: „Sehen und gesehen werden“ sei dort das zentrale Thema. Auch die Passanten-Befragung zeigt: Wer sich im Café oder auf einer der zahlreichen Bänke niederlässt, tut das häufig, um „zu beobachten“. „Das geht in dem Bereich auch besonders gut“, sagt Sabine Meier: „Durch die Anordnung der Sitzgelegenheiten kann man andere vorbei flanieren lassen, ohne dabei selbst zu sehr auf dem Präsentierteller zu sitzen.“ Für die Expertin ein öffentlicher Raum, der gut funktioniert: „In Siegen hat man ja sonst oft das Gefühl, man trifft überall Bekannte. Hier kann man beobachten und dabei anonym bleiben – das ist Urbanisierung!“

Fremden begegnen, ohne ihnen dabei zu nahe zu kommen – dieses Verhalten zeichnet Menschen in Großstädten aus, erklärt Meier, die selbst viele Jahre in Amsterdam gelebt hat. „Es geht darum, einander nicht zu ignorieren, sich aber auch nicht anzustarren.“ In der Soziologie bezeichnet man diesen Spagat des Blickverhaltens auch als „höfliche Gleichgültigkeit“. Ein Prinzip, das rund um das Extrablatt auch aufgrund der Raumgestaltung offenbar gelebt wird: „Unsere Befragungen haben gezeigt, dass die Menschen zwar dorthin kommen, um zu beobachten. Gleichzeitig hat die Mehrzahl aber angegeben, sich selbst nicht beobachtet zu fühlen.“ Ermöglicht werde das durch planerische Details: „Zum Beispiel sind die Sitzkreise vor der Siegpromenade nach außen gerundet. Das ist gestalterisch total genial: Man sitzt dort sehr eng nebeneinander, kann aber trotzdem für sich bleiben.“

Auch der neu gestalteten Bahnhofsstraße attestiert die Analyse ein hohes Maß an Urbanität. „Das ist einer der gemischtesten Orte in ganz Siegen“, sagt Meier: „Es gibt hier sehr viele unterschiedliche Menschen, die den Bereich ganz unterschiedlich nutzen.“ Zum einen ist die Bahnhofsstraße eine wichtige Wegverbindung und damit Transitzone, haben die Studierenden beobachtet. Gleichzeitig wird dort aber auch flaniert und verweilt: Dazu lädt besonders die Aufenthaltszone mit Spielmöglichkeiten und Ruhepunkten im mittleren Bereich ein. „Die einzelnen Elemente gliedern den Raum und schaffen fließende Übergänge zwischen den unterschiedlichen Zonen“, lobt Sabine Meier und schiebt noch eine persönliche Anmerkung hinterher: „Mit diesem Prozess der Urbanisierung entwickelt sich Siegen ein bisschen zu dem, was ich an Amsterdam so vermisse.“

Die Ergebnisse der Sozialraumanalysen sind noch bis zum 29. Juli in einer kleinen Schaufenster-Ausstellung in der Sandstraße 9 zu sehen.

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