Vom Heer zur Luftwaffe – Zehn Wochen Truppenpraktikum

Ein Erlebnisbericht von Leutnant Michelle Mentschke

(wS/red) Erndtebrück 23.09.2016 | „Sie haben Ihr Ziel erreicht“, ließ das Navigationsgerät verlauten, als ich vor dem großen Tor der Hachenberg-Kaserne zum Stehen kam. Unwillkürlich musste ich lächeln, möglicherweise hatte es Recht. Der Wachmann staunte nicht schlecht, als ich mich ausweise, aber ich kann es ihm nicht verübeln. Schließlich wäre ich mit meinen 1,60m Körpergröße auch locker als Schülerpraktikantin durchgegangen und eine graue Heeresuniform sieht man hier in Erndtebrück, der geschichtsträchtigen Luftwaffengarnison, eher selten.

Militärisches Zuhause für zehn Wochen – Leutnant Mentschke am Tor der Hachenberg-Kaserne. (Fotos: Daniel Heinen)

Militärisches Zuhause für zehn Wochen – Leutnant Mentschke am Tor der Hachenberg-Kaserne. (Fotos: Daniel Heinen)

„Warum Frau Leutnant?“

In meinem Werdegang als Offizier des Heeres habe ich schon viele Orte in ganz Deutschland besucht und wurde in meiner bisher vierjährigen Karriere von Berlin/Brandenburg nach Rheinland-Pfalz, Bayern, Sachsen, Niedersachsen und zuletzt Hamburg versetzt. Seit Ende 2013 ist meine dienstliche Heimat die HelmutSchmidt-Universität, Universität der Bundeswehr in Hamburg. Dort studiere ich Bildungs- und Erziehungswissenschaften, ein Studium, das zu meiner Offizierausbildung dazugehört. Das Reisen und Kennenlernen neuer Orte gehört für mich zu den selbstverständlich gewordenen Eigenheiten meines Berufs, aber Erndtebrück ist für mich eine ganz besondere Reise. Die zeitlich eng getaktete Offizierausbildung lässt normalerweise nur wenig Raum für persönliche Belange, daher weiß ich dieses Praktikum beim Einsatzführungsbereich 2 besonders zu schätzen. Es ist eine große Chance meinen Beruf als Offizier mit der Faszination der Luftraumüberwachung zu verknüpfen.

Faszination Luftraumüberwachung

Schon lange vor meiner Zeit in der Bundeswehr wollte ich Fluglotse werden. Es hat mich beeindruckt, wie die vielen tausend Flugzeuge täglich von den deutschen Flughäfen abheben und, im Gegensatz zu den pannenanfälligen Autos, meistens pünktlich und unversehrt wieder „unten“ ankommen. Nach einer erfolglosen Bewerbung bei der Deutschen Flugsicherung (DFS) entschied ich zur Luftwaffe zu gehen. Leider schaffte ich es nur auf die schier endlos lange Warteliste um die begehrten Plätze bei der militärischen Flugsicherung. Als Alternative bot man mir eine Karriere als Heeresoffizier an, mit der Option auf einen späteren Laufbahnwechsel. Diese Herausforderung nahm ich an.

Nachdem ich beim Heer eine Offizierausbildung durchlaufen hatte und im Studium auf Angehörige der Luftwaffe und Marine traf, war ich entschlossen, mein Glück noch einmal zu versuchen und einen Antrag auf Laufbahnwechsel in Erwägung zu ziehen. So habe ich mich zunächst einmal für ein zehnwöchiges Praktikum in Erndtebrück beworben.

Von Heer zu Luftwaffe

Im ersten Moment war das Praktikum ein kleiner Kulturschock, denn obwohl wir alle Teil der Streitkräfte sind, ist die Luftwaffe doch ein bisschen anders als das Heer. Im Allgemeinen könnte man die Arbeitsatmosphäre als etwas lockerer und entspannter, dafür aber auch als etwas weniger streng militärisch beschreiben. Was Erndtebrück jedoch in meinen Augen besonders macht, ist die Tatsache, dass die Kameraden sich jeden Tag aktiv einer großen Verantwortung stellen. Der Einsatzführungsdienst gehört zu den wenigen Einheiten der Bundeswehr, die nicht nur täglich für den Ernstfall üben, sondern auch tagtäglich im Einsatz sind. Im Schichtbetrieb wird von hier aus, und von dem „Schwester-CRC“ (Control and Reporting Center) in Schönewalde, der gesamte deutsche Luftraum rund um die Uhr überwacht.

Ein Tag im Einsatz

Nachdem ich mich also an den neuen Umgangston gewöhnt hatte, durfte ich endlich das „CRC Loneship“ betreten. Begleitet von einem Signalton trat ich aus der Sicherheitsschleuse und hatte das Gefühl, eine neue Welt betreten zu haben. Überall standen Bildschirme mit mehr oder weniger blinkenden Symbolen und Linien, das gedimmte Licht und die kreisförmige Anordnung der Arbeitspositionen gab dem Ganzen eine betriebsame Atmosphäre.

Im Einsatzgebäude erläutert der  „Track Production Officer“ (TPO) die Aufgaben der Luftlagesektion.

Im Einsatzgebäude erläutert der „Track Production Officer“ (TPO) die Aufgaben der Luftlagesektion.

Funksprüche, Abkürzungen und Kommandos wurden in die Headsets gesprochen, Telefone klingelten leise, Tastaturen klapperten. Kaum war ich da, brach „kontrollierte Hektik“ aus. Ein Verkehrsflugzeug hatte längere Zeit keinen Funkkontakt zur zuständigen Bodenkontrollstelle aufgenommen, mehrere Anrufe auf der internationalen Notfallfrequenz waren ebenfalls erfolglos geblieben. Ab diesem Moment wird auch die Luftwaffe aktiv, da bei einem solchen Verhalten schlimmstenfalls davon ausgegangen werden muss, dass die Piloten aufgrund von technischen Problemen nicht mehr kommunizieren können oder das Flugzeug gar entführt wurde. Jeder Soldat in der Operationszentrale schien genau um seine Aufgabe zu wissen und von allen Seiten kamen Informationen über das Flugzeug zum verantwortlichen „Track Production Officer“ (TPO). Auch in der benachbarten Abteilung der „Weapons“ herrschte reges Treiben, denn dort sitzen die Controller, die im Notfall die Abfangjäger instruieren und mittels Radar und Funk an das betreffende Flugzeug heranführen. Ein Anruf von der DFS löste die zuvor entstandene Anspannung im Raum. Das Flugzeug hatte in der Zwischenzeit die Kommunikation wieder hergestellt und die Einsatzführer konnten wieder zum Tagesdienst übergehen.

In der Waffeneinsatzsektion führt Leutnant Mentschke unter Anleitung zwei simulierte Jagdflugzeuge.

In der Waffeneinsatzsektion führt Leutnant Mentschke unter Anleitung zwei simulierte Jagdflugzeuge.

Was ich mitnehme

Da ich mein Praktikum über einen längeren Zeitraum absolviert habe, kam ich zunächst einmal in den Genuss einer zweiwöchigen Grundlagenausbildung zum Einsatzführungssoldaten. Nur so konnte ich bei meiner anschließenden praktischen Phase auch etwas mit den vielen Abkürzungen, Funksprüchen und technischen Details anfangen. In dieser Phase konnte ich zusammen mit den unterschiedlichen Crews ihren Dienstalltag erleben. Ich habe viele Stunden an den verschiedenen Positionen verbracht und den Kameraden und Kameradinnen Löcher in den Bauch gefragt. Besonders angetan hat es mir dabei der Job als „Aircraft Controller“ (AC). Zum Ende hin durfte ich in einer simulierten Mission sogar selbst einmal an die Konsole und meine fiktiven Eurofighter ein paar Runden über den Bildschirm steuern.

In den vergangenen 10 Wochen habe ich viel gelernt, gelacht und gesehen. Ich durfte neben dem CRC auch Zeit in der Einsatzführungsausbildungsinspektion 23 und in dem berüchtigten Haus 13 (Simulator zur Grundlagenausbildung aller angehenden Einsatzführungsoffiziere) verbringen. Außerdem habe ich die den Einsatzführungsbereichen übergeordneten nationalen- und NATO – Dienststellen in Uedem und die DFS in Langen besucht. Überdies wurde mir die besondere Ehre zuteil als einziger „Nicht-Controller“ den Feierlichkeiten zum Neuerwerb der Jagdlizenz beiwohnen zu dürfen.

Auf ein Wiedersehen, Erndtebrück

Nun neigt sich mein Praktikum dem Ende zu und ich blicke auf ereignis- und lehrreiche Wochen zurück. Ich konnte einen wirklich umfassenden Einblick in die Arbeit des Einsatzführungsdienstes bekommen. Ich ziehe mein Barett vor den jungen Offizieren und Unteroffizieren, die im CRC Loneship (und im Schwester-CRC Sunrise) täglich für unser aller Sicherheit garantieren und damit eine große Verantwortung tragen. Nach meinem Studium werde ich hoffentlich die Möglichkeit bekommen in das verträumte kleine Städtchen Erndtebrück zurückzukehren. Bis dahin verabschiede ich mich mit dem Schlachtruf des Einsatzführungsdienstes – „Tally Ho!“.

(Anm. d. Red.: Mit dem Ausruf “TALLY HO” bestätigen die Piloten beim Funkverkehr den Sichtkontakt zu anderen Luftfahrzeugen.)

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