Mittwochsakademie feierlich eröffnet

Im Mittelpunkt stand das Projekt „Zeit.Raum Siegen: Regionale Erinnerungsorte mit Bürgerinnen und Bürgern erforschen“.

(wS/red) Siegen 07.05.2017 Die feierliche Eröffnung der Mittwochsakademie der Universität Siegen stand diesmal ganz im Zeichen eines neuen Unterfangens – der Bürgerforschung. Das Auftaktprojekt heißt „Zeit.Raum Siegen: Regionale Erinnerungsorte mit Bürgerinnen und Bürgern erforschen“. Über das so genannte Citizen Science-Projekt gaben Prof. Dr. Bärbel Kuhn, Matthias Opitz sowie Prof. Dr. Veronika Albrecht-Birkner umfänglich Auskunft. Zuvor war es an Prof. Dr. Stephan Habscheid als wissenschaftlichem Leiter des Formats „Mittwochsakademie“ die rund 80 Gäste im Alten Lyzeum an der St.-Johann-Straße zu begrüßen. Er skizzierte den Werdegang der Idee, ein bürgerwissenschaftliches Vorhaben in die Mittwochsakademie aufzunehmen: „Im vergangenen Herbst ist die Idee aufgetaucht, die Mittwochsakademie könnte Partnerin sein.“ „Zeit.Raum Siegen“ sei auf die Mitwirkung von Bürgerinnen und Bürgern aller Altersstufen angewiesen, die aktiv an wissenschaftlichen Erkenntnissen teilhaben und dazu beitragen könnten. Dieses Projekt sei besonders geeignet, „weil es darum geht, wie Menschen in der Region sich gemeinsam an Geschichte erinnern“.

Marco Hoffmann (Alt-Saxophon), Johannes Maximilian Koch (Gitarre)

Prof. Bärbel Kuhn gewährte Einblicke in bereits getätigte Interviews. Jugendliche hatten kundgetan, es gut zu finden, dass Siegerländer Platt noch lebendig sei und sich der Dialekt von Ort zu Ort anders anhöre. Die jungen Leute waren der Ansicht, dass Traditionen wie Backesfeste oder das Weihnachtsbaumverbrennen Dinge seien, auf die man stolz sein könne. Für gut befunden worden sei auch die Weitergabe solchen Brauchtums. In Befragungen von Heimatvereinsmitgliedern gab es auch ambivalente Stellungnahmen. Dazu gehört der Hinweis auf Probleme, mit denen Liebende katholischen und evangelischen Glaubens vor allem im Grenzbereich zwischen Siegerland und Olper Land konfrontiert worden seien.

Prof. Kuhn in Richtung Auditorium: „Wir wollen mit Ihnen ins Gespräch kommen.“ Erinnerungsorte könnten reale sein, müssten es aber nicht. Kollektive Erinnerungen – ob nun tatsächliche Orte, Personen, Ereignisse oder Bräuche, Dialekte, Traditionen wie die Haubergswirtschaft, Konfessionen, Symbole, spezielle Gerichte wie Riewekooche etc, könnten Identitäten bilden, zum Nachdenken anregen und brauchten Verortung: „Sie müssen für das Vergangenheitsbewusstsein einer Region markant sein“.

Matthias Opitz: „Wir wollen möglichst viele Menschen zur Auseinandersetzung mit ihrer Geschichte bewegen.“ Ein installiertes interaktives Stadtmodell als Online-Plattform verfügt bereits über 45 Einträge (http://wiki.zeitraum-siegen.de/doku.php). Und es sollen mehr werden.

Prof. Albrecht-Birkner referierte zum Thema „Die regionale Reformation als Erinnerungsort“. Sie erinnerte daran, dass die Reformation in der Region zuerst unter Graf Wilhelm dem Reichen und seiner Ehefrau Juliana von Stolberg lutherisch geprägt war. Als Landesherr installierte der Graf 1536 den aus Sachsen stammenden Lutheraner Erasmus Sarcerius als Rektor der Lateinschule und schließlich als Superintendent. Leonhard Wagner wurde 1531 als erster evangelischer Pfarrer in der Martinikirche als Hauptpfarrkirche eingesetzt. Aber auch die Nikolaikirche ist Erinnerungsort der Reformation – allerdings der von der Stadt vorangetriebenen.

Siegen war bedeutendste und reichste Stadt in Nassau. Seit dem 14. Jahrhundert gab es in Siegen Schulen auf den Dachböden der Martini- und Nikolaikirche, die auch von Mädchen besucht wurden. 1534 hatten Bürgermeister und Rat einen Lateinschullehrer mit Unterschulmeister angestellt. So kam es zur Konkurrenz zwischen Stadt und Landesherrn auf der Schulebene. Sarcerius war der Mann von Graf Wilhelm, der ihn einer unter städtischer Aufsicht funktionierenden Lateinschule als Rektor im wahrsten Sinne des Wortes vorsetzte. Auf diese Einsetzung von Sarcerius als Schulrektor reagierte die Stadt 1537 sinnfällig mit der Erhöhung „ihres“ Nikolaikirchturms. Eine Türmerstube wurde errichtet. Dabei ging es explizit um die Optimierung der Turmfunktion als Wachturm und Ort der Zeitmessung, subkutan aber auch um eine städtische Machtdemonstration insbesondere gegenüber dem Landesherrn. Der Turm erhielt mit 53 Metern die gleiche Höhe wie das Obere Schloss. Das Pfarrzentrum wurde von der Martinikirche in die Nikolaikirche verlegt. Die Professorin schlussfolgert aus diesen Vorgängen städtische Initiative im Zuge der Einführung der Reformation. Erst die sich zunächst in landesherrlicher Regie vollziehenden Umbrüche der Reformation boten dem Siegener Magistrat offensichtlich den Anlass, aber auch den (rechtlichen) Freiraum, den Schwerpunkt des kirchlichen Lebens an die Nikolaikirche als Kristallisationspunkt städtischer Emanzipation vom Landesherrn zu verlegen.

Matthias Opitz, Prof.in Dr. Bärbel Kuhn, Prof. Dr. Veronika Albrecht Birkner (von links)

Dass in der Nikolaikirche Altäre abgebrochen wurden sowie die Tatsache, dass Nassau in den Freiheitskampf der Niederländer involviert war, könnten dahingehend interpretiert werden, dass der Boden für eine reformierte Konfession bereits früh vorhanden war. Das reformierte Bekenntnis wurde in den 1570er Jahren von Johann VI., Graf von Nassau-Dillenburg eingeführt. Zu den Erinnerungsorten des Siegerländer Protestantismus gehören auch das von Fürst Johann Moritz der Nikolaikirche geschenkte Krönchen sowie die Taufschale. Der eigentliche Anlass zur Schenkung des Krönchens war die Erhebung Johann Moritz‘ zum Reichsfürsten 1652. Zweifelsohne sollte die goldene Krone auf dem Kirchturm mit dem Windpfeil darüber die für Machtdemonstrationen gegenüber dem katholischen Verwandten auf dem Oberen Schloss topografisch ungünstige Lage der Residenz im Nassauischen Hof ausgleichen. Fürst Johann Moritz trieb zu dem den fürstlichen Innenausbau der Nikolaikirche voran.

Eine besondere Eigenart des Siegerländer Protestantismus, so die Professorin abschließend, liege in der großen Vielfalt an Institutionalisierungen protestantischer Konfession – von den landeskirchlichen Gemeinden bis zur Weidenauer Urgemeinde bis hin zur Calvary Chapel. Diese Eigenart beruhe vor allem auf der Skepsis gegenüber jeglicher Art der Obrigkeitskirche als Institution.

Musikalisch umrahmt wurde die Feierliche Eröffnung der Mittwochsakademie von Johannes Maximilian Koch (Gitarre) und Marco Hoffmann (Alt-Saxophon).

Wegen der Bauarbeiten am Campus Adolf-Reichwein-Straße kommt es zu einer Raumverlegung: Die Veranstaltung von Prof. Dr. Wolfram Winnenburg findet in der HaardterBerg-Schule, Raum 106 statt.

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