(wS/si) Kreis Siegen-Wittgenstein 05.06.2020 |Regionalen Strukturwandel weiter forcieren und aktiv gestalten
Die schon vor der Corona-Pandemie eingeleiteten Maßnahmen und Projekte zum regionalen Strukturwandel müssen jetzt weiter forciert und aktiv gestaltet werden, insbesondere im Themenfeld der Digitalisierung. Das ist eines der zentralen Ergebnisse des Runden Tisches „Wirtschaft und Arbeitsmarkt in Zeiten von Corona“, zu dem Landrat Andreas Müller jetzt eingeladen hatte. Zudem solle verstärkt auf Weiterbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen für Beschäftigte in Kurzarbeit hingewiesen werden, insbesondere aber auch mit Blick auf die Personen, die tatsächlich von Arbeitslosigkeit bedroht sind. Ganz grundsätzlich sei Siegen-Wittgenstein mit seinen Strukturen aber durchaus in der Lage, die aktuellen Herausforderungen zu meistern.
Die Teilnehmer des Runden Tisches schauten bei Ihrem Treffen im Kreishaus mit Sorgen, aber auch mit Zuversicht auf die aktuellen Entwicklungen in den Siegerländer und Wittgensteiner Unternehmen. Die hohe Anzahl von Kurzarbeitsmeldungen und die Ergebnisse der jüngsten Konjunkturumfrage der IHK Siegen treiben den regionalen Wirtschafts- und Arbeitsmarktexperten aus Kammern, Verbänden, Gewerkschaften, Kreisverwaltung, Arbeitsagentur und Jobcenter einerseits die Sorgenfalten auf die Stirn. Andererseits vertrauen sie aber auch auf die Stärke und Anpassungsfähigkeit der heimischen Wirtschaft.
Man müsse sich darauf einstellen, dass die Auswirkungen der Pandemie auf die globale Wirtschaft kurz- und mittelfristig quer durch alle Branchen und Unternehmensgrößen zu Insolvenzen führen können. Diese wären dann mit einem erheblichen Wegfall von Arbeitsplätzen verbunden. Alle bis jetzt abzuleitenden Daten würden auch darauf hin deuten, dass die Folgen der Corona-Pandemie für den heimischen Arbeitsmarkt deutlich schlimmer sein könnten als z.B. in der letzten Wirtschaftskrise in den Jahren 2009 und 2010.
Besonders könnten Kfz-Zulieferer und solche Unternehmen betroffen sein, die aus den unterschiedlichsten Ursachen schon in den letzten Jahren wirtschaftliche Probleme hatten. Für das Handwerk erwarten – unabhängig von den direkt betroffenen Unternehmen z.B. aus dem Gesundheits-, Kosmetik- oder Frisörhandwerk – Ulrich Dröge von der Handwerkskammer Arnsberg und Jürgen Haßler von der Kreishandwerkerschaft, dass Auftrags- und Umsatzeinbrüche erst mit Verzögerung eintreten werden.
Die gute mittelständisch geprägte Unternehmensstruktur und die traditionell gute Zusammenarbeit aller Wirtschafts- und Arbeitsmarktakteure böten aber gute Voraussetzungen, um die damit verbundenen Folgen abzumildern und aufzufangen – in dieser Einschätzung waren sich Dr. Torsten Doublet, Geschäftsführer der Arbeitgeberverbände, Andree Jorgella von der IG Metall und Jürgen Weiskirch von verdi einig. Hierbei stehen den Unternehmen und der Region die heimischen Volksbanken und Sparkassen als stabile Partner zur Seite, wie Jens Brinkmann vom Vorstand der Volksbanken in Südwestfalen deutlich machte.
Die neuen Regelungen zur Kurzarbeit sehen die Arbeitsmarktexperten dabei als große Chance. „Wir müssen dafür werben, dass die Unternehmen, die sich tatsächlich in Kurzarbeit befinden, diese Zeit für Qualifizierungen und Weiterbildungen nutzen, um noch besser auf die zukünftigen Herausforderungen vorbereitet zu sein. „Die Weiterbildungseinrichtungen in der Region bieten ein hervorragendes Programm“, betonte Landrat Andreas Müller und verwies zusammen mit Daniela Tomczak, der Leiterin der Siegener Arbeitsagentur, und Petra Kipping, Leiterin der Regionalagentur Siegen-Wittgenstein-Olpe, auf die vielfältigen Förder- und Beratungsmöglichkeiten für Unternehmen und Beschäftigte. Für die soll – so eine Verabredung des Runden Tisches – in nächster Zeit noch intensiver geworben werden.
Die Möglichkeiten zur Weiterqualifizierung sollen in stärkerem Umfang für die ggf. tatsächlich von Arbeitslosigkeit Bedrohten genutzt werden. Nicht nur die Vertreter der Gewerkschaften machten deutlich, dass eine professionelle Begleitung der Beschäftigten, die von betrieblichen Arbeitsausfällen betroffenen sind, eine wichtige Voraussetzung für eine schnelle Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt ist. „Hier brauchen wir einen starken Partner im Bereich der Beschäftigungs- und Transfergesellschaften, der die Besonderheiten der regionalen Wirtschaftsstruktur in enger Zusammenarbeit mit den Arbeitgeberverbänden und den Beschäftigtenvertretern erkennt und nutzt“, machte auch Dr. Doublet deutlich. In dieser Frage sollen zeitnah Gespräche für eine enge Kooperation mit den Anbietern von Transfermaßnahmen, die in sozialpartnerschaftlichen Modellen getragen werden, aufgenommen werden.
Um den regionalen Strukturwandel weiter aktiv zu gestalten, soll bei Bund und Land u.a. eine Institutionalisierung des Kompetenzzentrums Mittelstand 4.0- Siegen und des Instituts zur Unterstützung digitalisierter Arbeit (AID) – für die auch eine Förderung als REGIONALE-2025-Projekt beantragt worden ist – eingefordert werden. Prof. Volker Wulf, Prorektor der Universität für Digitales und Regionales, wies auch auf die Initiativen der Universität hin, das regionale Gründungs- und Nachfolgegeschehens auch unter Einbeziehung etablierter Unternehmen und Kapitalgeber weiter zu stärken. In enger Kooperation mit der gemeinsamen Initiative Startpunkt57 werden aktuelle Akzeleratoren insbesondere in den Bereichen Industrie 4.0, Internet der Dinge und neue soziale Dienstleistungen aufgebaut. All diese Projekte werden von den Teilnehmern des Runden Tisches als wichtige Impulse zur Regionalentwicklung begrüßt.
Der Kreuztaler Bürgermeister Walter Kiß als Vorsitzender der Bürgermeisterkonferenz im Kreis Siegen-Wittgenstein hob zusammen mit Landrat Andreas Müller die Leistungen der kommunalen Verwaltungen und des Ehrenamts in den letzten Wochen und Monaten hervor. Zugleich wies der Landrat darauf hin, dass es für die Kommunen jetzt gelte – bei zurückgehenden privaten Investitionen – antizyklisch zu investieren: etwa bei der Digitalisierung oder im Bau. So hat der Zentralverband Deutsches Baugewerbe erst vor kurzem festgestellt, dass die Investitionstätigkeit nicht abbrechen dürfe: „Hier ist die öffentliche Hand gefragt, weiterhin Aufträge auszuschreiben“.
Walter Kiß brachte aber auch seine Sorge um die Zukunft der kommunalen Finanzen in die Runde ein. Es sei davon auszugehen, dass die Städte und Gemeinden und mittelbar dann auch der Kreis über mehrere Jahre mit steigenden Aufwendungen zur Bewältigung der Krise und gleichzeitig erheblichen Einnahmeausfällen rechnen müssten. Um daraus keine zusätzlichen Belastungen für Bürger und Unternehmen entstehen zu lassen, bräuchten die Kommunen einen eigenen Rettungsschirm. Der dürfe aber nicht dazu genutzt werden, um schon vor der Krise hochverschuldete Großstädte in Ballungsräumen zu Lasten der Kommunen im ländlichen Bereich zu entschulden. Zwischenzeitlich hat der Bund ein Hilfspaket für Kommunen geschnürt, das z.B. von kommunalen Spitzenverbänden begrüßt wurde.
Trotz der enormen Herausforderungen blickt Landrat Andreas Müller nach diesem Runden Tisch durchaus zuversichtlich nach vorne: „Wenn eine Region die wirtschaftliche Stärke und den notwendigen Zusammenhalt besitzt, um die sich abzeichnenden Herausforderungen bewältigen zu können, dann ist es der Kreis Siegen-Wittgenstein“, so Müller.