Computer simuliert Corona-Infektion beim Menschen

(wS/uni) Siegen 16.09.2022 | Forschern der Theoretischen Chemie an der Universität Siegen ist es gelungen, die Anfangsprozesse des Eindringens des Corona-Virus in menschliche Zellen mit Hilfe des Supercomputers OMNI zu berechnen. Die Ergebnisse von PD Dr. Stephan Bäurle und Thanawat Thaingtamtanha könnten wichtige Ansätze für die Entwicklung von Corona-Medikamenten liefern.

An Medikamenten gegen Covid 19 wird auf der ganzen Welt geforscht. Je besser man das Virus
und die Prozesse der Verbreitung im Körper kennt, desto eher ist es möglich, Ansatzpunkte einer
Behandlung zu finden. In den experimentellen Laboren wird derzeit dazu sehr intensiv gearbeitet.
Aber auch Simulationen spielen eine große Rolle. Chemische, zelluläre Abläufe bei einer Infektion
mit dem SARS-CoV-2-Virus können mit dem Computer modelliert werden. Voraussetzung ist ein
Hochleistungsrechner, wie ihn die Universität Siegen mit dem neuen OMNI Cluster besitzt. Dieser
Supercomputer bietet PD Dr. Stephan Bäurle, der die Leitung des Arbeitskreises für Theoretische
Chemie an der Universität Siegen innehat, die Möglichkeit, an der Aufklärung der Mechanismen
verschiedener Krankheiten zu arbeiten.

Furin-Spaltstelle am SARS-CoV-2-Spike-Protein

Gemeinsam mit seinem Master-Studenten Thanawat Thaingtamtanha hat Bäurle nun
Berechnungsverfahren entwickelt und verwendet, mit denen die Anfangsprozesse des Eindringens
des Corona-Virus in die menschliche Zelle auf atomistischer, also kleinster, Ebene beschrieben
werden kann. Dabei ist es den Forschern gelungen, diese Abläufe so zu simulieren, dass es neue
Erkenntnisse über den Mechanismus der Fusion zwischen den Stacheln auf der Oberfläche der
Virusmembran und der Membran der menschlichen Zellen gibt. In der Computersimulation kann
man nachverfolgen, wie der Infektions- und Vermehrungsprozess des Virus, das in den
menschlichen Körper eingedrungen ist, auf molekularer Ebene in Gang kommt. „Wenn man das
weiß, kann man versuchen, die Schwachstellen im Ablauf aufzuspüren, um die virale Replikation
zu unterbrechen“, erklärt Bäurle. An diesem Punkt könnten dann antivirale Medikamente
ansetzen. Der Vorteil: Auch deren Wirkung kann mithilfe von Computersimulationen abgeschätzt
werden, bevor Forscherinnen und Forscher experimentell im Labor weitere Schritte unternehmen.
Für die Siegener Forscher sind detaillierte Kenntnisse über die molekularen Prozesse beim
Eindringen des Corona-Virus in die Wirtszelle Voraussetzung für die Entwicklung neuer
Medikamente. Beim Corona-Virus spielen zwei Schlüsselproteasen die Hauptrollen: TMPRSS2 und
Furin. Proteasen sind körpereigene Enzyme, die wie „Werkzeuge“ auf molekularer Ebene agieren.
Furin arbeitet wie eine Schere und sorgt mit einem „Schnitt“ von spezifischen Proteinen dafür,
dass diese in Zellen „aktiv“ werden. Diese Aktivierung ist wichtig, um körpereigene Prozesse
anzuregen. Corona-Viren des Typs SARS-CoV-2, die man gern als runde Kügelchen mit spitzen
Stacheln darstellt, haben aber leider, im Gegensatz zu anderen Corona-Viren, an eben diesen
Stacheln (Spike-Proteine) charakteristische Stellen, die dem Furin signalisieren, dass ein Schnitt
erfolgen muss (sog. Furin-Spaltstellen). Dabei besteht jedes Spike-Protein aus drei Untereinheiten
(Heteromere) mit jeweils einer Furin-Spaltstelle. Die Spaltstellen befinden sich am Ende jedes
Heteromers, wo es eine Art Gabelung in zwei Äste (S1 und S2) gibt. Das Furin tut, was es tun muss.
Es „schneidet“ an der Spaltstelle einen „Ast“ ab und ermöglicht so das Eindringen des Virus in die
gesunde Zelle. Der Vermehrungsprozess kann beginnen.
Bäurle und sein Team konnten durch groß angelegte atomistische Berechnungen diesen
Mechanismus noch genauer aufzeigen und beschreiben, wie sich an der Zellmembran der
Wirtszelle eine „Tür“ für das Spike-Protein öffnet. Als „Türöffner“ fungiert ein ACE-2-Rezeptor.
„Wir konnten zeigen, dass die Bindung des ACE2-Zellrezeptors an eines der Heteromere des Spikes
zu einer verstärkten Bindung von Furin führt, die wiederum die Bindung der Protease TMPRSS2
fördert“, so Bäurle. Hieraus lässt sich schlussfolgern, dass Furin die Fusion des Virusstachels mit
der Zellmembran beschleunigt, so dass das Virus schließlich sein Erbmaterial in die Wirtszelle
besser einschleusen und sich dort leichter vermehren kann.
Die Ergebnisse der Arbeit im Arbeitskreis Theoretische Chemie am Department Chemie und
Biologie wurden erst kürzlich publiziert (https://link.springer.com/article/10.1007/s00894-022-
05206-8). Bäurle hofft, dass die beschriebenen Erkenntnisse zur Entwicklung von Therapien für
Patientinnen und Patienten beitragen können – und das nicht nur bei Covid 19. Es ist seit längerem
bekannt, dass eine fehlregulierte Aktivität von Furin zu einer Vielzahl von Erkrankungen, wie
Krebs, Diabetes, Entzündungen, neurologische sowie kardiovaskuläre Erkrankungen, führen kann.
„Die Ergebnisse unserer Arbeit deuten darauf hin, dass Risikofaktoren, die mit einem erhöhten
Furinspiegel einhergehen, die Virulenz der Virusinfektion durch SARS-CoV-2 steigern“, so Bäurle.

PD Dr. Stephan Bäurle und Thanawat Thaingtamtanha forschen im Bereich der Theoretischen Chemie zu den zellulären Abläufen bei einer Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus.

Die Siegener Wissenschaftler der Theoretischen Chemie konnten mit ihrer Arbeit der Corona-
Forschung ein Mosaikstein hinzufügen. „Wir wollen mehr wissen und mit unserer Arbeit einen

Beitrag leisten im Kampf gegen das Virus. Und über die Zusammenarbeit, zum Beispiel mit der
Humanbiologie unserer Universität, aber auch durch den Austausch in größeren
Forschungsnetzwerken, können weitere hinzukommen“, hofft der Wissenschaftler.

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