Mit Flip-Flops und T-Shirt auf dem Motorroller?

wS/po/wf.    Siegen-Wittgenstein      Polizeihauptkommissar Siegmar Kiepke (54 J.) vom Siegener Dezernat für Verkehrsangelegenheiten sitzt an seinem Schreibtisch im Abteilungsstab der Kreispolizeibehörde und prüft seine Akten. Nicht zu übersehen dabei die leichte Sorgenfalte, die sich da auf seiner Stirn abzeichnet.

„Wir haben zwar im vergangenen Jahr im Bereich der verunglückten motorisierten Zweiradfahrer die niedrigsten Unfallzahlen aller Zeiten erzielen können,“ so verrät der Experte auf dem Gebiet der Verkehrsstatistik im Gespräch.  „Nur noch 145 verletzte Zweiradfahrer (gegenüber 179 im Jahr 2009) und gottlob nur noch zwei tödliche verunglückte Motorradfahrer (gegenüber 5 im Jahr 2009). Das ist eine langjährige positive Entwicklung, auf die wir mit Recht stolz sind.“

„Dennoch“, so Kiepke jetzt mit erstem Ton, „wir wollen uns da wirklich nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen.  Auch bei absolut geringen Verletztenzahlen wissen wir doch, dass hinter jedem einzelnen Verletzten immer auch ein Schicksal steht. Das nämlich des Verletzten selbst und das seines sozialen Umfeldes. Von daher ist jeder Verletzte einer zu viel. Unser polizeiliches Interesse ist es deshalb, negative Faktoren, die wir im Rahmen unserer Unfallanalysen entdecken, möglichst an der Wurzel zu packen und zu beseitigen.

Grund für die Sorgenfalte auf der Stirn des Verkehrsexperten sind die mitunter bei den jugendlichen Motorrollerfahrer/-innen (15 – 17 Jahre) feststellbaren (medizinischen) Verletzungsbilder nach aktuellen Verkehrsunfällen.

Der erfahrene Hauptkommissar weiter: „Jeder kann das heutzutage auf unseren Straßen beobachten: Junge Menschen auf ihren Motorrollern sind oftmals nur sehr „spärlich bekleidet“. Zwar tragen lobenswerter Weise fast alle Rollerfahrer/-innen den gesetzlich vorgeschriebenen Schutzhelm. Ansonsten lässt ihre (Schutz-)Kleidung aber oft sehr zu wünschen übrig. Zumindest aus Sicht der Polizei. Flip-Flops, Bermuda-Shorts oder T-Shirts mit Spaghetti-Trägern schützen nämlich bei einem harten Crash auf dem Asphalt nicht die nackte Haut.“ Mahnend führt der Experte aus: „Man kann sich das ja ganz einfach und plastisch vorstellen: Stürzt – aus welchen Gründen auch immer – ein derart „gekleideter“ (oder eben nicht gekleideter bzw. geschützter) junger Mensch mit seinem Motorroller und schleudert er dann – und seien es auch nur wenige Meter – mit der ungeschützten Haut über den rauhen Asphalt, so führt dies mit hoher Wahrscheinlichkeit  zu sehr, sehr üblen, mitunter  großflächigen Hautverletzungen. Überflüssige „Schönheitsoperationen“ möchten wir unseren jungen Motorroller-Fahrern/-innen aber gerne ersparen. Deshalb können wir diese jungen Menschen auch nur dringend raten, sich unbedingt nur mit entsprechend  schützender Kleidung  auf den Motorroller zu setzen.“

Neben Verstößen gegen die Verkehrsregeln gibt es bei Unfällen mit verletzten jugendlichen Rollerfahrern aus Sicht der Kreispolizeibehörde zwei weitere Auffälligkeiten. Hierzu Kiepke: „ Bei einigen Unfällen mit Rollerfahrern konnten wir zunächst überhaupt keine offenkundige,  plausible Erklärung für das jeweilige Unfallgeschehen finden. Das waren dann meistens sogar noch Unfälle, an denen überhaupt kein anderer Verkehrsteilnehmer beteiligt war. Wir sind dann im Rahmen unserer Betrachtungen zu dem Schluss gekommen, dass offenbar (bei den untersuchten Unfällen) die koordinative Beherrschung der Motorroller nicht ausreichend ausgeprägt war. „Jeder kennt das doch aus den Medien. Unsere hochtechnisierte, bewegungsarme Gesellschaft fordert da vielleicht ihren Tribut. Kinder können heutzutage nicht unbedingt mehr einen Purzelbaum schlagen oder auf einem Fuß auf einem Balken balancieren. Das wirkt sich dann auch auf im Bereich des Rollerfahrens aus. Unsere Zeit scheint offenbar aufgrund der überwiegend im Sitzen ausgeübten Tätigkeiten dazu zu führen, dass körperliche Fähigkeiten mitunter nur noch unzureichend ausgeprägt bzw. trainiert werden.“

Polizeihauptkommissar Ralf Möckel, Verkehrssicherheitsberater der Siegener Polizei ergänzt: „Auf einem Zweirad wie dem Motorroller hat solch ein Manko dann mitunter schlimme Folgen. Durch die relativ kleinen Räder der Motorroller neigen diese Zweiräder per se zu einer gewissen Instabilität. Kommt jetzt noch eine mangelhafte koordinative Beherrschung solcher  Fahrgeräte hinzu, dann führt das in bestimmten Gefahrensituationen oft zu Überreaktionen der noch jungen und unerfahrenen Fahrer.“

Möckel ist seit Jahrzehnten begeisterter Motorradfahrer. Und sicherlich auch kein schlechter. Im Gegenteil: zahlreiche (bedeutende) Erfolge hat er schon errungen. So den Titel des Deutschen  Serienmeisters im Motorradfahren. Einer also, der mit Sicherheit weiß, wovon er spricht. „Auch schon bei geringen Geschwindigkeiten kann ein Sturz auf den Asphalt üble, fatale Folgen haben. Als Profi fahre ich deshalb immer mit einer entsprechenden Motorradschutzkleidung, die mich vor dem Schlimmsten schützt. Gott sei Dank sieht man ja auf unseren öffentlichen Straßen auch kaum noch Motorradfahrer, die ohne die entsprechende Schutzkleidung unterwegs sind. Dazu zählen der vorgeschriebene Schutzhelm, eine Schutzkombi – beispielsweise aus Leder oder Textilmaterialien – , Motorradhandschuhe und -stiefel. Dies alles gehört heutzutage wie selbstverständlich zum (überlebens-)notwendigen Standard der Motorradfahrer.“

Kiepke nickt zustimmend und ergänzt seinen Kollegen:  „Das sind genau die  beiden Punkte, die wir in unseren Analysen auch festgestellt haben. Mangelnde koordinative Fähigkeiten in Verbindung mit möglichen Überreaktionen der jungen Fahrer-/innen waren in vielen Fällen die für uns erkennbaren Unfallursachen. So beispielsweise beim gefährlichen Bremsen in Kurvenbereichen.“

Siegmar Kiepke fährt fort: „Natürlich wäre die Vorstellung unrealistisch, dass zukünftig alle Fahrer/-innen von Motorrollern in Kradkombis auf unseren Straßen unterwegs sind. Aber zwischen (gut) schützender Motorrad-Kombi und „bauchfrei auf dem Roller“, da gibt es

– wie immer im Leben – durchaus den goldenen Mittelweg. Das ist unsere Zielvorstellung. Nicht mehr und nicht weniger. Wenn wird das erreichen bzw. im Bewusstsein der Rollerfahrer-/innen verankern können, dann ist schon viel gewonnen.“

Auch der Ärztliche Leiter des Rettungsdienstes des Kreises Siegen-Wittgenstein, Dr. Jörn Worbes, unterstützt deshalb die Kampagne der Polizei aus medizinischer Sicht. Dr. Worbes: „Als Notfallmediziner direkt vor Ort – und auch im Krankenhaus – erlebt man solche Fälle immer wieder „hautnah“ mit. Verunglückte Zweiradfahrer mit schwerwiegenden Verletzungen, die man im Einzelfall aber sicherlich mit einer vernünftigen Schutzkleidung ganz einfach hätte verhindern  können. Die Haut des Menschen ist ein äußerst sensibles und  – je nachdem – auch verletzungsanfälliges Organ. Das Risiko großflächiger Hautabschürfungen und sturzbedingter schwerer Verletzungen des darunter liegenden Gewebes etc.  kann man mit der entsprechenden Schutzkleidung von vorneherein ganz einfach minimieren. Und damit – ich spreche als Mediziner aus Erfahrung  – sicherlich auch manches Leid, manche Schmerzen und auch manche (dauerhaften) Narben.“

„Klar“, so Ralf Möckel, „wir kennen doch die jungen Leute. Flip-Flops und „bauchfrei“ auf dem Roller“, das alles ist bei ihnen „cool“ und „mega in“. Mit vernünftiger Schutzkleidung hat das alles aber sicher nichts zu tun“. „Ein Sturz bei schon geringer Geschwindigkeit ohne den obligatorischen Helm, Handschuhe, eine mit Protektoren versehene Jacke und festes Schuhwerk kann für Haut und Knochen üble Folgen haben. Für schon einen Betrag von wenigen hundert Euro bekommt man aber im Motorradfachhandel einen vernünftigen und langlebigen Sicherheits-Mindeststandrad an notwendiger Schutzkleidung. Und schick können solche Sachen durchaus auch sein. Insgesamt gut investiertes Geld, wenn man bedenkt, dass solche Schutzkleidung jahrelang Leib und Leben schützt und – das möchte die Polizei Ihnen nämlich ersparen – unter Umständen eine unfallbedingte „Schönheitsoperation“ überflüssig macht.

Kiepke fügt noch abschließend hinzu: „Als Polizei sind uns in gewisser Hinsicht die Hände gebunden. Wir können zwar im Rahmen von Verkehrskontrollen die Helmtragepflicht kontrollieren und Verstöße dagegen ahnden, wir können jedoch niemanden verwarnen, weil er „allzu spärlich bekleidet“ auf dem Motorroller unterwegs ist. Hier bleibt uns nichts anderes übrig, als an die Vernunft der Rollerfahrer/-innen zu appellieren. Deshalb ist es uns aber noch ein besonderes Anliegen,  dass vor allem die Eltern mit ihren Sprösslingen über dieses Thema reden und diskutieren. Und Eltern können dies täglich tun, wir leider nur im Rahmen von sporadischen Kontrollen…“

Zweirad-Profi Hauptkommissar Ralf Möckel rät im übrigen im Hinblick auf die sicherere Beherrschung eines Motorrollers, eben genau diesen Umstand regelmäßig zu trainieren. „Das Vorhandensein einer entsprechenden Mofa-Prüfbescheinigung bzw. Fahrerlaubnis ist das eine, die sichere Bewältigung alltäglicher Fahr- bzw. auch Gefahrensituationen (wie bspw. das Bremsen in Kurven) ist aber etwas ganz anderes. Hier können wir als Polizei nur dringend an die jungen Rollerfahrer appellieren, ihre eigenen Fähigkeiten nicht zu überschätzen.

Um dazu beizutragen, dass die notwendigen Fertigkeiten zur Beherrschung eines Roller gelernt und trainiert werden, unterstützen die Verkehrssicherheitsberater der Kreispolizeibehörde Siegen-Wittgenstein als Moderatoren bereits seit Jahren die Lehrer an fast allen weiterführenden Schulen im Kreis Siegen-Wittgenstein bei der sog. Mofa- bzw. Motorroller-Ausbildung.


Foto: Ralf Möckel

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