„Die Bank in der Mitte gehörte mir“ – Ex-Obdachloser Lothar Scheffler aus Freudenberg bedenkt Bedürftige im Café Patchwork

(wS/dia) Freudenberg/Siegen 22.12.2022 | Er ist tagelang zu Fuß über Landstraßen getingelt, hat ohne Dach über dem Kopf
geschlafen, um Geld gebettelt und jede Münze in Alkohol investiert. Mit Anfang 30 wurde Lothar Scheffler
obdachlos, war suchtkrank – bis er sich acht Jahre später endlich helfen ließ. Heute lebt der 72-Jährige im
Altenzentrum Freudenberg, einer Einrichtung der Diakonischen Altenhilfe Siegerland, und möchte etwas
zurückgeben. „Denn ich weiß, was es bedeutet, Unterstützung zu erfahren.“ Lothar Scheffler spendet 50 Euro
ans Café Patchwork in Siegen-Weidenau und bedenkt damit die Gäste in dem Tagesaufenthalt, der zur
Wohnungslosenhilfe der Diakonie in Südwestfalen zählt.

Im Altenzentrum Freudenberg an der Lagemannstraße ist Lothar Scheffler seit zehn Jahren zu Hause. In der
Zeitung las er eines Morgens von der Arbeit im Café Patchwork. „Das ist eine wirklich tolle Sache. Als ich früher
obdachlos war, gab es solche Unterkünfte gar nicht“, macht der Senior deutlich. Die Einrichtung öffnet ihre
Türen für Menschen, die nur eingeschränkt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Besucher können
im Café Patchwork ein warmes Mittagessen für kleines Geld kaufen, Radio hören, Zeitung lesen, Dusche und
WC nutzen sowie Wäsche waschen und trocknen. „Meine Spende ist bloß ein kleiner Beitrag, doch mein
Anliegen umso größer, dass sich bedürftige Menschen regelmäßig an einem warmen Ort aufhalten können.“

Lothar Scheffler weiß, wovon er spricht: Als junger Mann wurde der gelernte Metzger aus gesundheitlichen
Gründen arbeitslos. Kurze Zeit später verfiel er dem Alkohol, wurde obdachlos. „Das Leben auf der Straße ist
hart“, erzählt Scheffler. Auf einer Siegener Kirmes fand er erste Zuflucht. Bei einem Schausteller konnte er
arbeiten und zugleich in einem Wohnwagen übernachten. „In einer Zuckerbude habe ich Süßwaren verkauft
und bei den Fahrgeschäften mitgeholfen.“ Den Verdienst von 20 Mark im Monat habe er damals zu 100
Prozent in Alkohol umgesetzt. „Meist war es günstiger Wein. Je billiger die Ware, desto mehr konnte ich
trinken.“ Bald bemerkten die Buden-Betreiber sein Suchtproblem und kündigten ihm. In der Folge machte sich
Lothar Scheffler zu Fuß auf den Weg, war tagelang auf Landstraßen unterwegs. Sein Ziel: Soest, Schefflers
Geburtsstadt. „Zu Kirmes-Zeiten geht dort die Post ab.“ Er hoffte, dort einen Job zu erlangen. Seitdem war
Lothar Scheffler in ganz Deutschland mit Schaustellern unterwegs. Seine Alkoholsucht hatte ihn aber nach wie
vor fest im Griff.

Wenn die Rummelzeit pausierte, pendelte Scheffler von Großstadt zu Großstadt. „Ob Frankfurt, Hamburg oder
Stuttgart – aus den Schächten vor den Einkaufsläden kam warme Luft. Dort bettelte und schlief ich.“ Mit Mitte
30 verschlug es Lothar Scheffler zurück ins Siegerland. Er bat seine Eltern um Hilfe, wurde jedoch abgewiesen.
Sein nächster längerer Aufenthaltsort war an der Siegener Nikolaikirche: „Drei Sitzbänke gab es dort. Die Bank
in der Mitte gehörte mir.“ Er bettelte nicht nur für sich, sondern auch für die anderen Obdachlosen mit – bis

ihn an einem Sommertag ein seltsames Gefühl überkam: „Ich hob die Flasche und plötzlich wurde mein Arm
ganz schwer und steif, gar taub.“ Lothar Scheffler entschied sich, ins Krankenhaus zu gehen. „Ich wollte einfach
nicht mehr trinken, nicht mehr so weiterleben.“ Für Scheffler begann der Entzug – eine harte Zeit. Nach einem
stationären Aufenthalt zog er in ein sozialtherapeutisches Wohnheim für Männer. Dort fühlte er sich wohl. „Ich
hatte endlich normale Aufgaben, war in der Küche tätig und habe anstehende Hausarbeiten erledigt.“ In einer
Selbsthilfegruppe fand er zusätzlichen Halt. „Die Freundschaften und Gespräche mit Menschen aus ähnlichen
Situationen haben mir am meisten geholfen.“ Rückfällig wurde er bis heute nicht. „In der Entzugsphase habe
ich viel Gutes erfahren“, erinnert sich der Senior zurück. Eine Zeit, in der er auch seine Ehefrau kennenlernte.
Mit ihr teilte er gemeinsame Hobbys: „Wir sind unheimlich gerne gewandert und haben Tischtennis gespielt.
Das war meine beste Zeit.“ Der Ballsport zählt heute noch zu seiner Leidenschaft: „Sobald es die Gelegenheit
gibt, bin ich dabei“, lächelt er. Mit seiner Frau lebte er in Freudenberg. „Sie wollte, dass ich mit in ihrem
Elternhaus wohne. Von da an waren wir unzertrennlich.“ Auch beruflich fasste Lothar Scheffler wieder Fuß, war
zunächst wieder als Metzger tätig und später in einer Firma angestellt. Das Ehepaar verreiste gerne. „Wir
fuhren unheimlich gerne nach Garmisch-Partenkirchen, wo wir auch geheiratet haben“, sagt er stolz. Vor zehn
Jahren schlug jedoch das Schicksal zu. Seine Ehefrau starb. Alleine wollte Lothar Scheffler nicht bleiben. Er
entschloss sich, ins Altenzentrum Freudenberg einzuziehen. „Jetzt bin ich hier, und das ist nicht schlimm und
auch gut so.“ In der Senioreneinrichtung tüftelt er gerne in der Bastelstube und setzt sich als
Heimbeiratsvorsitzender für die Interessen seiner Mitbewohner ein. Rückblickend auf die Zeit seiner
Obdachlosigkeit sagt er: „Es ist furchtbar, täglich aufs Neue ums Überleben zu kämpfen.“ Und der 72-Jährige
appelliert: „Wem es heute so geht, wie mir damals, sollte wirklich Hilfe annehmen. Es ist nicht einfach, aber mit
Unterstützung klappt es.“

Lothar Scheffler hat als junger Mann Hilfe angenommen und den Weg aus der Obdachlosigkeit gefunden.
Heute lebt der 72-Jährige zufrieden im Altenzentrum Freudenberg und möchte etwas zurückgeben.

 

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