Vom Nischenphänomen zum Zukunftsmodell

(wS/uni) Siegen 12.01.2023 | Ein Forschungsteam der Universität Siegen und des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung
untersucht in vier Modellregionen in Sachsen, Niedersachsen und NRW, wie die Solidarische
Landwirtschaft in strukturschwachen Gegenden gefördert werden kann.

Mehrere private Haushalte tragen gemeinsam die Kosten für einen landwirtschaftlichen Betrieb –
und erhalten im Gegenzug dessen Ernteertrag. Das ist die Idee der „Solidarischen Landwirtschaft“
(Solawi). In Deutschland ist die Zahl der Höfe, die nach diesem Prinzip wirtschaften, in den
vergangenen zehn Jahren deutlich gestiegen: von zehn auf mehr als 400 Betriebe. Insgesamt ist
die Solidarische Landwirtschaft jedoch nach wie vor ein Nischenphänomen, umfassende
Strukturen zur Förderung dieser Wirtschaftsform fehlen bislang. Wissenschaftler*innen der
Forschungsstelle „Plurale Ökonomik“ an der Uni Siegen möchten das ändern: Mit mehreren
Projektpartnern erforschen und entwickeln sie in verschiedenen Modellregionen sogenannte
„Innovationsökosysteme“ zur gezielten Unterstützung der Solidarischen Landwirtschaft. Neben
dem Bergischen Land in NRW zählen dazu Südniedersachsen sowie eine Region in Sachsen. Das
Projekt „nascent SolaRegio“ ist im November gestartet und wird vom Bundesministerium für
Bildung und Forschung (BMBF) mit 1,2 Millionen Euro gefördert.

„Die Solidarische Landwirtschaft bietet allen Beteiligten Vorteile: Verbraucher*innen erhalten
hochwertige, regionale Lebensmittel und übernehmen Verantwortung für die Produktion. Die
Erzeuger*innen werden durch die garantierte Abnahme und Vorfinanzierung ihrer Ernte
unabhängig von den Zwängen des Weltmarktes“, erklärt Projektleiter apl. Prof. Dr. Niko Paech.
„Gerade in Krisenzeiten bietet das Konzept ein hohes Maß an Verlässlichkeit und sozialem
Zusammenhalt.“ Bei Solawi-Betrieben zahlt die Gruppe der Verbraucher*innen verbindlich für ein
Jahr einen festgesetzten, meist monatlichen Betrag an den Betrieb. Die Summe wird gemeinsam
auf der Grundlage der geschätzten Jahreskosten der landwirtschaftlichen Erzeugung festgelegt.
Dabei existieren auch solidarische Beitragsverfahren, bei denen Menschen mit geringerem
Einkommen weniger zahlen, andere dafür mehr.

Neben den unmittelbar Beteiligten profitieren aus Sicht der Wissenschaftler*innen auch
strukturschwache Region von dem Modell: „Solawi ist eine Möglichkeit, kleinbäuerliche Betriebe
zu erhalten. Damit können Arbeitsplätze gesichert und durch die meist arbeitsintensivere
Bewirtschaftung zusätzlich geschaffen werden. Gleichzeitig stärken Solawis auf vielfältige Weise
das soziale und kulturelle Leben vor Ort“, sagt Projektmitarbeiter Marius Rommel. Das
wachsende Interesse an Solawi, insbesondere bei Junglandwirten und Gärtnern bestätigt die
Attraktivität dieses Ansatzes. Dies hat auch die Politik erkannt: Die Solidarische Landwirtschaft
wird im Bericht der von der Bundesregierung beauftragten Zukunftskommission Landwirtschaft
(ZKL) von 2021 als Erfolgsmodell genannt. Allerdings: „Da sich das Konzept aus der
Zivilgesellschaft heraus entwickelt hat, berücksichtigen die zuständigen Behörden es bis dato
nicht ausreichend. Die Kompetenz, Solawi vor Ort zu fördern, ist vielfach noch nicht vorhanden“,
erklärt Rommel.
Hier möchten die Ökonomen zusammen mit dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, dem
Netzwerk Solidarische Landwirtschaft sowie vor Ort zuständigen Landwirtschaftskammern bzw. –
behörden ansetzen: „Durch das Zusammenbringen relevanter Akteure erhoffen wir uns
hemmende und begünstigende Faktoren der Verbreitung Solidarischer Landwirtschaft
identifizieren zu können. In besonderer Weise interessiert uns, was sich verändern muss, damit
bestehende Betriebe auf Solawi umstellen können“ bekundet Paech. Unter anderem durch
Interviews und Workshops will das Forschungsteam herausfinden, welche Umstellungs-Probleme
aus Sicht herkömmlich wirtschaftender Betriebe existieren und wie diese gelöst werden können.
Auf dieser Grundlage sollen konkrete Praxisleitfäden für Berater*innen entstehen, um Betriebe
bei der Umstellung zu begleiten.

„Unser Ziel ist es, das Konzept der Solidarischen Landwirtschaft weiter zu verbreiten und damit zu
einer Revitalisierung strukturschwacher Regionen sowie zur Transformation des
Ernährungssystems beizutragen“, fasst Rommel zusammen. Er sieht in den Projekt-Regionen ein
enormes Potenzial: „Ich bin überzeugt, dass insbesondere durch Betriebs-Umstellungen einige
tausend zusätzliche Solawis geschaffen werden könnten.“

Fotos: Uni

 

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