Die grauenvollsten Minuten von Siegen. Über 50.000 Bomben wurden am 16.12.1944 über Siegen abgeworfen, die Oberstadt komplett zerstört. Heinz Bensberg aus Hilchenbach hat die Ereignisse zusammen gefasst und berichtet auf unseren Seiten ….
( Itz schisse se Denger ronner wee Deckwurzeln )
Ein Bericht von: Heinz Bensberg
Das tausendjährige Reich war erst 11 Jahre alt und ging schon langsam zu Ende. Die Herr-schaft der Luft über deutschem Hoheitsgebiet hatten die Feinde zum Teil schon erobert. Das merkte man auch an den vielen Luftwarnungen, die Ende 1944 über die Volksempfänger ausgestrahlt wurden. Es waren am Sonntag den 10. Dezember 142, Montag 149 und Dienstag 156 Warnmeldungen. Mittwoch und Donnerstag waren wegen dichtem Nebel verhältnismäßig ruhige Tage mit 25 bzw. 55 Warnungen. Von Freitag bis Samstagmittag 14:44 Uhr kamen erneut 160 Warnmeldungen.
Die dann folgenden Meldungen, nach Unterbrechung des Reichsprogrammes, in vollem Wortlaut aus Nordpol-Richard 4:
14:45 Uhr Fliegeralarm
14:47 Uhr Überraschender Einflug eines Kampfverbandes bei Siegburg-Linz, Spitze bei Weyerbusch, Kurs Nord und Nordost
14:50 Uhr Mehrere Kampfverbände in dem Raum Linz, Weyerbusch-Koblenz. Ein Kampf- verband bei Westerburg, Kurs Ost
14:53 Uhr Akute Luftgefahr
14:54 Uhr Sehr viele Flugzeuge bei Weyerbusch, Altenkirchen, Wissen und Daaden, Kurs
wechselnd
14:55 Uhr Viele Flugzeuge bei Wissen und Betzdorf, Kurs Nord
14:57 Uhr Flugzeuge bei Wissen, Betzdorf , Freudenberg, Würgendorf, Siegen. Es handelt sich um sehr viele Flugzeuge, Höhe 4 000 Meter, Vorsicht vor Bordwaffen- beschuss ………..
Hier endet die Urniederschrift in Siegen, die noch fehlenden Worte….’’und Bomben-abwürfen’’ wurden später nachgetragen.
Denn um 14:58 Uhr – es war Samstag der 16. Dezember 1944 – begann der grauenvolle Angriff auf Siegen. Beobachtungsstellen haben die angreifenden viermotorigen Bomber mit 400 Stück angegeben, die ein ohrenbetäubendes Dröhnen hervorriefen. In nur sieben Minuten, länger dauerte der Angriff nicht, wurden unzählige Brand- und Sprengbomben mit hochempfindlicher Zündung und großer Breitenwirkung auf die schöne, altehrwürdige Stadt Siegen abgeworfen. Heute, über sechs Jahrzehnte später, werden bei Erdarbeiten ab und zu noch Bomben von diesem erbarmungslosen Angriff gefunden.
Der Himmel war bei Dunkelheit an diesem Tage im Siegerland noch feuerrot, und ging später in riesige Rauchwolken über. Die gewaltige Hitze der brennenden Stadt ließ aus den zertrümmerten Gebäuden Papiere und alles Mögliche in die Lüfte steigen. Ich kann mich noch erinnern, dass wir als Kinder in 15 km Entfernung noch Tage später, die verbrannten Papierstückchen, die vom Himmel schwebten, auffangen wollten.
Sehr lange nicht endende Verkehrsschlangen bildeten sich auf den Straßen. Nicht nur aus allen Ortschaften des Siegerlandes die eine Feuerwehr hatten, sondern aus den meisten westfälischen Städten rollten Feuerwehren, Luftschutzmannschaften und Rettungszüge mit allen möglichen Fahrzeugen und Geräten nach Siegen. Auch in entgegengesetzter Richtung war mächtig Bewegung. Es waren Menschen, die ihr Leben und eventuell ein paar Sachen gerettet hatten. Sie flüchteten aus ihrer völlig zerstörten, lichterloh brennenden Stadt, oft ohne zu wissen, was mit ihren nächsten Angehörigen geschehen war.
Siegen soll, was Bunker und Stollen betrifft, mit den besten Schutz aller deutschen Städte für die Bevölkerung gegeben haben. Dreizehn Minuten nach dem Sirenengeheul ’’Fliegeralarm’’ und fünf Minuten nach dem Signal ’’Akute Gefahr’’ erfolgte der Angriff. Sicherlich hätten sich noch einige Menschen mehr in Sicherheit bringen können, denn es war genug Platz in den Bunkern vorhanden. Aber es war der freie Samstagnachmittag. Vieles war noch für den Sonntag vorzubereiten bzw. zu erledigen und es war bisher ja immer gut gegangen.
Auf Siegen sind mehrere Angriffe geflogen worden und die alte ehemalige Bergstadt soll mit zu den zerstörtesten Städten des zweiten Weltkrieges in Deutschland gehört haben. Der Angriff am 16. Dezember war so grauenvoll, dass selbst nach Tagen und Wochen, ja sogar noch nach Kriegsende Leichen geborgen wurden. 348 Tote hat es bei diesem Vernichtungsschlag gegeben. Die Opfer waren zum größten Teil Zivilisten. Wären nicht so viele hervorragende Luftschutzbunker da gewesen, hätte es ganz bestimmt weit, weit mehr Tote gegeben.
In der Siegener Zeitung, die an einem anderen Ort gedruckt wurde, stand wenig später: ’’Was Bürgerfleiß in sieben Jahrhunderten errichtete, wurde in sieben Minuten vernichtet.‘‘
In dem Heft Nordpol – Richard 4 schildert Dr. Erich Baeumer, der nach kurzer Dienstzeit als Sanitätsoffizier zur ärztlichen Versorgung der Bevölkerung zurückberufen wurde, einige Begebenheiten nach diesem Angriff. ,,Eine beträchtliche Zahl von Menschen, die ich ärztlich betreute, starb an diesem Tag. Annemarie Frevel, ein frisches junges Mädchen, das am Vortage noch bei mir war, lag tot in der unteren Wilhelmstraße. Fritz Weigel, Straßenbahnführer, kehrte nach Verlassen seines Wagen noch einen Augenblick zurück, um sein Butterbrot zu holen, dann lief er in den Sprengbereich einer der ersten Luftminen, die fielen. Von den gleichen Luftminen wurden mehrere Häuser zerschmettert und begruben zurückgebliebene Einwohner unter sich. So auch das Ehepaar Schuhmacher Kraemer, das ich oft besuchte. Straßenweise lagen einzelne oder mehrere Tote in verschütteten Kellern.
Ein freundlicher Franzose D‘ Autriche, pflegte samstags mit seinen Freundinnen Yvette aus Paris und L‘eone aus der Normandie zu einem kleinem Amüsement nach Siegen zu gehen. Am Tiergarten kurz vor der Stadt fand man sie, nur noch Reste von Menschen, viele Meter durch die Luft gewirbelt, an Kleiderfetzen erkennbar.
In der Breitenbachstraße lag mein Patient Rothenpieler mit Mandelentzündung und feuchtem Halsumschlag zu Bett. Seine gemütsruhige Frau spähte nach dem Himmel und sagte: ,Itz sehn ech de Fliejer, en ganze Masse. – Itz fenge se Lechter ah!‘ Dem Kraken wurde es unheimlich, er erhob sich. Als seine Frau berichtete: ,Itz schmisse se Denger ronner wee Deckwurzeln‘, da sauste er die Treppe hinab von seiner Frau gefolgt. Hinter ihnen her kamen Scheiben und Dachziegel, glücklicherweise nicht mehr, weil die Bomben nicht ganz in der Nähe fielen.
Ewald Haas, damals 17 jährig, der in der Heinrichstraße nahe der koch‘schen Kesselschmiede wohnte, erzählte mir: ,Mit meinem Bruder und einem Freund war ich hinter unserem Haus beschäftigt. Meine Eltern waren in die Stadt gegangen. Die ständig wiederholten Alarme, denen in unserer Gegend bisher noch kein Unheil gefolgt war, hatten uns sorglos gemacht. So blieben wir diesmal beim Haus um unsere 40 Kaninchen zu versorgen. Da hörten wir leise und dann sehr schnell immer lauter das tiefe Brummen, wie es große Kampfverbände hervorbringen. Mein Freund rief: ,Flieger, Flieger der ganze Himmel voll.‘ Von drei Seiten kamen sie in großer Zahl, ich sah sie Rauchzeichen geben. Mein Bruder rief: ,Sie werfen schon,‘ dabei suchte er unter dem Kaninchenstall Deckung. Dann sah ich unser Haus auseinander fliegen. Ich fühlte mich halb taub und hatte die Vorstellung, es würde rund um mich an schrecklich dröhnende Blechfässer geschlagen. Ich fühlte Schmerzen am Kopf und Rücken. Dann muss ich bewusstlos geworden sein. Als ich wieder zu mir kam, hörte ich lautes Schreien. Die Mutter meines Freundes jammerte um ihren toten Jungen. Er und mein Bruder waren durch Splitter zerfetzt und ihre Körper von Trümmern bedeckt.
Lasst uns nun mit unseren Gedanken nach Weidenau gehen, wo unser Arzt zu Hause war, und über den Angriff vom 7. April 1944 auf seinen Heimatort, einige Aussagen von ihm in gekürzter Form aufgelistet:
,,Es waren etwa 200 schwere Sprengbomben die in einem Teppichabwurf fielen. Er umfasste die Schulstraße, den mittleren Teil der unteren Friedrichstraße, die Gegend von Oberschule und Krankenhaus und das Gelände der Grube Neue Haardt. Ich blieb nach dem Angriff beim Hammerwerk, weil ich dort am ehesten gefunden werden konnte. Es hat eine große Verwüstung gegeben und viele Häuser waren bis auf die Grundmauern zerstört. Es hatte aber den Anschein, dass alle Bewohner in Sicherheit gewesen waren.
Da kam nach einer Stunde ein Bote gerannt: Ärzte zum Stollen an der Grube Neue Hardt. Dort sind Tode und Verletzte. Ich eilte durch ein ausgedehntes Trichterfeld auf das verwüstete Grubengelände. Dort waren schon Leute dabei, Menschen aus dem Stollen zu schleppen. Tote und röchelnde Bewusstlose mit bläulich blassen Gesichtern.
Bald lagen auf zusammengetragenen Brettern die Reihen der mit großen Anstrengungen aus dem engen Stollen heraus geschafften Männer, Frauen und Kinder. Bei vielen war Hilfe nicht mehr möglich. Aber bei einer großen Zahl führte das Freimachen der Atmung durch Vorziehen der Zunge und Einschieben von Holzstückchen zwischen die Zähne zur Behebung des Luftmangels. Bei anderen war außerdem künstliche Atmung und Einspritzen von Kreislaufmitteln nötig um Erfolg zu sichern. Verzweifelte Eltern verlangten von den Ärzten das Wunder der Rettung ihrer Kinder, die blass und stumm da lagen. Männer knieten im trostlosen Schmerz neben ihren toten Frauen. Und über allem stand dumpf drohend und beklemmend der Gedanke: Was geschieht, wenn der Angriff jetzt wiederholt wird?
Vier Kinder, Böhmer und Schmidt, alle Enkel von Frau Spelz und mir von Geburt an bekannt, erwachten nicht wieder. Ebenso der nette kleine Junge Nowak. Bei einem älteren Mann suchte ich vergebens nach Lebenszeichen, erst dann erkannte ich, dass es Lehrer Bernhardt war, der so manchen schönen Abend bei uns verbracht hat. Etwa zwanzig Leben forderte dieser Angriff und besonders traurig war, dass der Tod hier tückisch seine Opfer holte als scheinbar längst alle Gefahr vorbei war. Es waren Explosionsgase einer Bombe durch die beschädigte Abschlusstür in den Bunker hinein gezogen und die Leute wurden vergiftet. Der Tod kam so unmerklich, dass die Leute buchstäblich einschliefen.
Die Toten wurden zum Teil in die Friedrichschule gebracht. Es dauerte zwei Wochen bis alle
begraben waren, denn nun war die Zeit gekommen, in der es keine Stunde mehr gab, um in
Ruhe ein Grab zu schaufeln oder einen Sarg zu schreinern. In der Morgendämmerung wurden die Opfer, meist in Kisten, die Angehörige und Freunde aus Tür- und Fußbodenhölzer zerschmetterter Häuser hergestellt hatten, von diesen begraben.
Es ist verständlich, aber doch auffallend, dass in Zeiten so schwerer Not eine große Abstumpfung der Menschen gegen Todesnachrichten eintritt. Im trostlosen Spätwinter 1945 war bei sehr vielen Menschen der Gedanke an den eigenen Tod kein Schrecken mehr. Sie fürchteten die Qualen der Verschüttung und des Verbrennens, aber sie waren des Lebens müde. So manchmal hörte ich sagen: Wie schön, so leicht zu sterben, wie im Stollen an der Haardt am 7. März.‘‘