Professorin Dr. Petra Lohmann hielt Vortrag über "Becher-Häuser"

(wS/red) Netphen-Grissenbach 01.03.2016 | Auf Einladung der Vereine „DKS Grissenbach“ und „Grissenbach Aktiv“ kam jetzt Professorin Dr. Petra Lohmann vom Department Architektur (Fakultät II: Bildung – Architektur – Künste) der Universität Siegen in das Bürgerhaus Grissenbach. Im Rahmen der Jubiläumsveranstaltungen zum 25-jährigen Bestehen des 1991 gegründe­ten DKS hielt sie vor 50 Gästen einen Vortrag zum Thema „Die Fachwerkwohnhäuser der Arbeiter der Siegerländer Eisenindustrie, mit besonderem Blick nach Grissenbach“.

Professorin Dr. Petra Lohmann hielt einen Vortrag im Bürgerhaus in Netphen-Grissenbach. Fotos (3): Verein

Professorin Dr. Petra Lohmann hielt einen Vortrag im Bürgerhaus in Netphen-Grissenbach. Fotos (3): Verein

Unter den interessierten Zuhörern konnten die Vereinsvorsitzenden Thorsten Görg und Annette Scholl auch Netphens Bürgermeister Paul Wagener, Manfred Schröder als Vorsit­zenden des Ausschusses für Umwelt, Kultur; Tourismus der Stadt Netphen, Heimatge­bietsleiter Dieter Tröps, den Vorsitzenden des Wittgensteiner Heimatvereins Otto Marbur­ger und Hilchenbachs Stadtarchivar Reinhard Gämlich begrüßen.

Anhand von zahlreichen Bildern erläuterte Lohmann entsprechend den Forschungen von Professor Dr. Dr. Karl Kiem die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den so genannten „Becher-Häusern“. Durch das Fotografen-Ehepaar Bernd und Hilla Becher seien die nur im Siegerland und der näheren Umgebung um 1900 gebauten Fachwerkhäuser inzwischen weltweit bekannt.

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Professorin Dr. Petra Lohmann von der Universität Siegen.

Zum künstlerischen Nachlass der Bechers gehöre auch das Foto des heute noch vorhandenen Grissenbacher Fachwerkhauses „Schöerlersch Hus“ (Siegtal­straße 50). Deshalb habe die Stadt Netphen im Rahmen des Tourismus-Projekts „Stehen­de Stadtführung“ hierzu Ende Oktober 2015 neben dem zeitgleich ebenfalls in diesem Baustil errichteten „Schrinnersch Hus“ (Siegtalstraße 58) eine neue Info-Tafel aufgestellt.

Die Siegerländer Sparfachwerkhäuser, die unter Beachtung der neuen, vom fürstlichen Baumeister Johann Friedrich Skell unterschriebenen und am 11. Dezember 1790 in den »Dillenburgischen Intelligenz-Nachrichten« veröffentlichten Bauordnung errichtet wurden, waren eine Vorstufe der von 1870 – 1920 entstandenen „Becher-Häuser“.

Diese riegellosen Fachwerkhäuser kamen ohne die früher zur Stabilisierung der Gefache erforderlichen waagerechten Querbalken aus. Die Gefache wurden nicht mehr mit einem Lehm-Stroh-Gemisch verfüllt, sondern mit Bimsstein ausgemauert. Ein fortgeschrittenes technisches Bauverständnis und die damit einher gehenden genaueren baustatischen Kenntnisse ließen an vielen Stellen des Fachwerks auch den Einsatz von dünnerem Fich­tenholz anstelle von Eichenbalken zu.

Diese preiswerten und dennoch individuell geplan­ten Wohnhäuser seien aber nicht von Architekten entworfen worden, sondern von Hand­werksmeistern, z. B. Maurermeistern, was anhand der Unterschriften unter den teilweise noch erhaltenen Bauplänen ersichtlich sei. Oft seien es Absolventen der Wiesenbauschule in Siegen gewesen, die dort in den Meister-Klassen das Fach „Elemente der Architektur“ belegt hatten und von dem dort von 1891 – 1924 tätigen Lehrer Heinrich Gamann unter­richtet wurden.

In 2011 habe sie mit ihren Mitarbeitern von den 201 von den Bechers in dem Buch „Fach­werkhäuser des Siegener Industriegebietes“ (Verlag Schirmer/Mosel, München, 1977) vor­gestellten Häusern die 145 noch vorhandenen erneut fotografiert, deren aktuellen Zustand mit dem auf den Becher-Fotografien verglichen und deren Bewohner befragt, erläuterte Lohmann.

Dabei standen die zu den Vorreitern der fotodokumentatorischen Kunst zählenden „Be­cher-Häuser“ nicht als Objekte der Kunstgeschichte im Fokus der Untersuchungen. Dies sei allerdings ein anderes, ebenso spannendes Betätigungsfeld, da zum Nachlass der Be­chers circa 1.000 Fotografien solcher Fachwerkhäuser gehören, bei deren Auswertung man sicher noch bisher nicht veröffentlichte Fotos von anderen „Becher-Häusern“ entdecken werde.

Vielmehr wurden von Professorin Lohmann auf der Grundlage der Forschungen von Professor Dr. Dr. Karl Kiem die Häuser als Objekte der Baugeschichte einer historischen Hausfor­schung unterzogen und der Fokus dabei auf die Gebäude selbst gelegt. Dabei wurde auch nicht die Typologie der Bechers übernommen, die ihre Fotos nur nach gemeinsamen äu­ßerlichen Merkmalen der Häuser eingruppiert hatten.

Rund 50 Gäste besuchten die Veranstaltung im Bürgerhaus Grissenbach.

Rund 50 Gäste besuchten die Veranstaltung im Bürgerhaus Grissenbach.

Vielmehr wurden nunmehr aus der Sicht des Architekten danach, ob der Eingang der bis zu fünfachsigen Häuser auf der Gie­bel- oder auf der Traufseite lag, zwei Haustypen unterschieden. Zum Einsatz kamen bei den Untersuchungen auch moderne Verfahren wie die La­ser-Scan-Technik. Bei sich bietenden Gelegenheiten wie dem Abriss eines „Becher-Hauses“ in Siegen an der Eiserfelder Straße wurden von Studenten der Universität Siegen Bauauf­nahmezeichnungen angefertigt und wesentliche Details der Fachwerkkonstruktion foto­grafiert.

Es bestätigte sich, dass diese Fachwerkhäuser nicht vorfabriziert worden waren, da sie keine Standardmaße hatten, und dass sie sich gleichwohl sehr schnell in nur drei bis vier Tagen errichten ließen. Anschließend wurden auch noch Modelle der Fachwerkkonstruk­tionen dieser Häuser hergestellt und später im Museum für Gegenwartskunst in Siegen im Rahmen einer Ausstellung der Öffentlichkeit präsentiert.

Diese riegellosen Arbeiterwohnhäuser mit Raumhöhen von um die 2,70 m gelten als ty­pisch für das Siegerland, denn in dieser Form existieren sie nur in einem Umkreis von rund 30 Kilometern um Siegen. Dieses identitätsstiftende Alleinstellungsmerkmal der „Be­cher-Häuser“ sei bisher noch nicht hinreichend erkannt worden. Diese Häuser würden sich alle in vielen, oft erst bei genauerer Betrachtung ersichtlichen liebevollen Details, wie z. B. noch vorhandenen barocken Fensterrahmen, voneinander unterscheiden.

Dennoch stün­den diese Häuser leider noch immer nicht unter Denkmalschutz und seien heute oft durch in der Vergangenheit erfolgte Außendämmung, An-, Umbau- und Renovierungsmaßnah­men kaum noch als „Becher-Häuser“ zu erkennen, bedauerte Lohmann.

Sie lobte daher ausdrücklich die Bewohner von „Schöerlersch Hus“ und von „Schrinnersch Hus“ an der Siegtalstraße in Grissenbach für die Erhaltung ihrer Fachwerkhäuser in einem gepflegten und vor allem weitest gehend ursprünglichen Zustand.

Im Anschluss an den etwa einstündigen Vortrag beantwortete Lohmann bereitwillig noch viele Fragen, die aus dem Saal an sie herangetragen wurden. Anschließend konnten die Gäste den Abend noch im Rahmen eines gemütlichen Beisammenseins ausklingen lassen.

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