Jung Stillings dritte Schulmeisterstelle

(wS/hi) Hilchenbach-Dahlbruch. Heute erreichte die wirSiegen-Redaktion erneut ein sehr schöner Beitrag des Dahlbrucher Heimatforschers Heinz Bensberg. Diesen Bericht über Jung Stilling wollen wir unseren Lesern auch dieses Mal nicht vorenthalten…

Jung Stillings dritte Schulmeisterstelle

Der Aufenthalt von Heinrich Jung aus Grund in Himmelbert bei Plettenberg war trotz Erniedrigungen und Bitterkeiten nicht ohne Nutzen für ihn geblieben. Hatten doch seine Weltfremdheit und Empfindsamkeit einen gewaltigen Stoß bekommen und somit sein späteres Leben mitgeprägt.

Ein Verwandter von Heinrichs Mutter (Dortchen), Pastor Göbel aus Netphen, hatte der Dreisbacher Gemeinde Jung-Stilling, wie er sich später nannte, mit seinen großen Begabungen als Schulmeister vorgeschlagen. Die Dreisbacher Gemeindeväter begrüßten dies und die Schule begann für den gerade 17-jährigen Schulmeister am 29. September (Michaelis) 1757 in Dreisbach. Der Tag verdankte seinen Namen dem Erzengel Michael und hatte in den Gemeinden des Fürstentums Siegen von jeher eine große Bedeutung. An diesem Tag begann immer das Schuljahr, das Vieh wurde von der Weide geholt, aber auch die Hirten, Knechte und Mägde bekamen ihren Lohn.

Stilling unterschied sich in Dreisbach wesentlich in Wissen, Bildung und Haltung von seinen Vorgängern, was die Dorfväter beeindruckte. Man merkte dies an seiner Erziehung und den klaren, trefflichen Antworten, die der Knabe seinem Pastor gab. Er war reifer geworden und hatte sich später hier durch Lebensbeschreibungen, Kriegsgeschichten, Kirchenhistorien usw., fortgebildet. Sein lernbegieriger Geist nahm vieles auf, was ihm als erwachsenem Manne von großem Nutzen war. Netphen gehörte schließlich zu den Urkirchen des Siegerlandes. Sein Wahlspruch lautete: ,,Der Herr wird’s versehn‘‘.

Das Quartier mit Verpflegung bekam Stilling bei der wohlhabenden Witwe Solms in Tiefenbach. Sie hatte zwei schöne Töchter von 18 und 20 Jahren. Sie wohnten in einem alten Fachwerkhaus, welches erst nach dem letzten Kriege abgebrochen wurde. Der letzte Besitzer war der alte Friedrich Heitze. Er zeigte gerne das Eckzimmer mit seinen sechs Fenstern, in dem der Schulmeister gewohnt haben sollte. Neben der Unterrichtung der Jugend musste er auch die sonntägliche Predigt lesen. Die Netpher Kirche hatte 11 Bezirke, die 1701 in acht Schulbezirke neu geordnet wurden. Die Kirchenbezirke waren seinerzeit auch die Schulbezirke. Von daher kam auch der Name Kapellenschule. Zu dem Schulbezirk Dreisbach gehörte noch Tiefenbach sowie Nieder- und Obersetzen. Der Bezirk war seit 1651 simultan. Im späten 19.Jahrhundert vereinigten sich die Orte Dreisbach und Tiefenbach zu Dreis-Tiefenbach.

Die Schule war im 17. Jahrhundert an der Kapelle angebaut worden. Die Schule war, wie auch in den anderen Orten, einklassig. Somit waren alle Jahrgänge in einer Klasse zusammen. Neben der Schule stand eine alte Linde, die später Stillingslinde genannt wurde. Sie musste 1979 dem Ausbau der B62 weichen und wurde auf 760 Jahre geschätzt. Stilling erfand allerlei Wettspiele um die Kinder für das Lernen anzuregen. Auch ein Liebhaber der Musik war der junge Schulmeister und führte das vierstimmige Singen ein. Er zog abends mit den älteren Kindern singend durch das Dorf, so dass die Bewohner vor die Türe kamen und ihnen andächtig zuhörten.

In der Schule malte Heinrich mit schwarzer Ölfarbe eine Sonnenuhr unter die Decke, worin die zwölf Himmelszeichen genau in 30° Abständen eingeteilt waren. Über der Uhr standen die Worte ,,Coeli enarran gloriam Dei‘‘ (Die Himmel erzählen die Ehre Gottes). Vor dem Fenster war ein Spiegel auf dem eine Kreuzlinie mit Farbe gezogen war. Dieser warf die Stunden des Tages, wenn die Sonne schien, genau unter die Decke. Von seinem Ohm, dem Landmesser Johann Jung aus Littfeld, hatte er diese Kunst gelernt.

Als er einige Monate in Dreisbach Lehrer war, verliebten sich die beiden Töchter seiner Gastgeberin in ihn. Er hatte Neigung zu Maria, der Älteren, unterdrückte aber die aufkeimende Liebe. Mit beiden behielt er dadurch einen freundlichen Umgang. Der Schulmeisterberuf war für Frau Solms ein schlechtes Mittel um eine Familie zu ernähren. Ganz tragisch endete die Liebeshoffnung der älteren Tochter nämlich im Wahnsinn.

Stilling war außerordentlich bemüht, seinen Schülern viel Wissen beizubringen. Hierzu erfand er ständig etwas Neues und hielt sich nicht an die allgemeine Schulmethode, die bestimmt reformbedürftig war. Er erfand immer wieder neue Spiele um den Kindern den Stoff regelrecht spielend beizubringen. Viele Eltern sahen diese Methode als sinnvoll an, denn er hatte Erfolg damit. Andere dagegen sahen dieses Lernen als Kinderei an. Auch die nette freundliche Art, mit der Jung- Stilling jedem im Dorf begegnete, gefiel seinen Gegnern nicht. Als er dann noch zur leichteren Erlernung die Fragen des Heidelberger Katechismus auf Karten schrieb, sie mischte und unter die Kinder verteilte, war es um ihn geschehen. Seine Gegner waren zwar in der Minderheit, verlangten aber zur Michaelis seinen Rücktritt.

Pfarrer Göbel bestellte Jung-Stilling zum Report. Dieser erzählte ihm alles, führte das Spiel vor und erklärte den großen Nutzen. Der Pastor antwortete schnell: ,,Mein lieber Vetter! Man darf heutigen Tages nicht bloß auf den Nutzen einer Sache sehen, sondern man muss auch allezeit wohl erwägen, ob die Mittel geeignet sind, den Beifall der Menschen zu haben, sonst erntet man Stank für Dank und Hohn für Lohn. So geht es euch jetzt, denn eure Bauern sind so aufgebracht, dass sie euch nicht länger als Michaelis behalten wollen. Ich rate euch, dankt ab und sagt, Ihr wäret des Schulehaltens müde. Ihr werdet dann gar leicht eine andere, bessere Schule als diese bekommen. Ich werde euch indessen lieb haben und euch weiterhelfen, so viel ich kann.‘‘

Dieses traf Stilling hart, denn er hatte mit solch einem Ausgang nicht gerechnet. Aber er musste seinem Vetter Recht geben. Merkwürdig war es ihm doch, wie die ,,mehrsten seiner Amtsbrüder mit weniger Fleiß und Geschicklichkeit doch mehr Ruhe und Glück genössen als er.‘‘

Warum erlitt Jung-Stilling erneut Schiffsbruch als Schulmeister? Fehlte noch etwas bei ihm? Lag es an der damaligen Schulbehörde oder trugen seine Gegner die Schuld? Bestimmt waren alle drei daran beteiligt. Wenn Jung auch wieder eigene Wege gegangen war, gehörten die Dreisbacher Kindern zu den leistungsstärksten von allen Netpher Schulen. Die schmerzlichen Absagen als Schulmeister waren, im nach hinein betrachtet, von großem Segen für ihn. Denn als Schulmeister wäre Jung-Stilling nie eine so bedeutende Persönlichkeit geworden. Genau nach zwei Jahren am Michaelistag wanderte Jung-Stilling über den Lieschberg nach Kredenbach zu seinem Vater zurück. Auf Bergeshöhe drehte er sich noch einmal um und nahm Abschied von seinem liebgewonnenen Dreisbach, wobei ihm die Tränen rollten.

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