E-Klausuren eröffnen ganz neue Möglichkeiten

Seit eineinhalb Jahren optimieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Siegen E-Klausuren. Am Montag stellen sie eine Prüfung, die es so in Deutschland noch nie gegeben hat, und beraten das Justizministeriums NRW in Fragen, die das juristische Staatsexamen revolutionieren könnte.

(wS/red) Siegen 13.09.2016 | 250 Prüflinge, die konzentriert vor Laptops sitzen und in die Tasten hauen: So wird es am 19. September im Audimax und dem Blauen Hörsaal der Uni Siegen aussehen. Drei Stunden lang werden Studierende ihre elektronische Klausur im Privatrecht schreiben. So viele Prüflinge, die über einen so langen Zeitraum eine juristische Volltext-Klausur schreiben – das gab es in diesem Umfang in Deutschland noch nie. Egal ob Raumtemperatur, technische Sicherheit oder Lautstärkepegel – damit alles reibungslos klappt, haben die Organisatoren hart gearbeitet. Und vielleicht kommt aus Siegen bald ein weiteres Novum: Am Montag werden Vertreter des Justizministeriums NRW mit Experten der Uni Siegen diskutieren, ob Studierende künftig die juristische Staatsexamensprüfung elektronisch ablegen können.

Bei der optimalen E-Klausur kommt es auch auf Raumtemperatur, Lautstärke und ausreichend Platz auf den Tischen an. (Foto: Universität Siegen)

Bei der optimalen E-Klausur kommt es auch auf Raumtemperatur, Lautstärke und ausreichend Platz auf den Tischen an.
(Foto: Universität Siegen)

„Wir können die Prüflinge nicht einfach an einen Tisch setzen und sie ihrem Schicksal überlassen“, erklärt Marc Sauer, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Uni Siegen. Er koordiniert die E-Klausuren und unterstützt Dozent*innen bei der Planung und Umsetzung. Seit eineinhalb Jahren läuft das Pilotprojekt in Siegen, bei dem unter anderem die Software und Zusammenarbeit mit dem mobilen Dienstleister IQUL getestet und Mitarbeiter geschult werden. Gerade ist Projekthalbzeit. Marc Sauer hat mit seinem Team die Zeit genutzt, um die Prüfungsumgebung zu optimieren. Angehende Juristen zum Beispiel bringen dicke Gesetzesbücher zur Klausur mit. „Also müssen wir sicherstellen, dass die Tische groß genug sind und die Prüflinge genug Platz haben.“ Das ist nicht die einzige Herausforderung. Wenn sich viele Menschen mit entsprechender Elektronik über einen langen Zeitraum in einem Raum aufhalten, wird es warm und laut. „Wir haben in Testläufen zum Beispiel die Temperatur der Umgebungsluft und die Lautstärke gemessen und optimieren so die Prüfungssituation. Außerdem ist es wichtig, dass wir barrierefreie Klausuren stellen können“, sagt Sauer.

Geistes- und Wirtschaftswissenschaftler stellen die meisten Prüflinge

Bisher haben in eineinhalb Jahren über 6.500 Studierende an den E-Klausuren teilgenommen. Viele von ihnen empfinden die neue Art der Prüfungen als Gewinn, zum Beispiel, weil sie während der Klausur Fehler sauberer korrigieren und ihre Gedanken einfacher strukturieren können. Studierende können Antworten als unsicher markieren oder Lesezeichen an unbearbeitete Aufgaben stecken, um über eine Übersichtsseite gezielt danach zu filtern. Die Geistes- und Wirtschaftswissenschaftler stellen die meisten Prüflinge. Für sie sind die geschlossenen Aufgabentypen, wie Multiple-Choice und Lückentexte, und Freitext-Klausuren am besten geeignet. In einer Medienanalyse-Klausur zum Beispiel bekamen 300 Prüflinge Kopfhörer, damit sie Musikstücke oder Filmsequenzen individuell nach ihrem Tempo analysieren konnten. „E-Klausuren eröffnen ganz neue Möglichkeiten. Denn das wäre in Papierform so gar nicht möglich gewesen“, meint Projektinitiator Prof. Dr. Roland Wismüller. Für Mathe, Ingenieurs- oder Technikstudiengänge seien die Klausuren bisher nicht ideal geeignet. Für mathematische Lösungswege zum Beispiel brauchen die Studierenden im Regelfall am Laptop viel länger als mit Zettel und Stift. Also bleibt es in diesen Fällen zumindest momentan bei Papier-Klausuren.

Für den Dozenten Wismüller bedeuten die E-Klausuren vor allem eine bessere Klausurqualität: „Ich kann durch die Statistik in der Software besser einschätzen, ob ich trennscharfe, gute Aufgaben stelle. Ich achte dadurch viel mehr darauf, ob ich durch meine Fragen die geistige Leistung teste und werfe schlechtgestellte Aufgaben raus.“ Ein weiterer Vorteil: Dozenten können viel objektiver bewerten. „Wenn ich erst alle Antworten zu einer Frage durchgehe, kann ich die Leistungen unter den Studierenden viel besser vergleichen, als wenn ich eine Klausur erst komplett bewerte und dann zur nächsten übergehe“, sagt Wismüller. Für die Studierenden haben die E-Klausuren außerdem den Vorteil, dass sie schneller ihre Ergebnisse bekommen. Die Dozenten müssen keine Handschriften mehr entziffern.

Siegener Experten beraten Justizministerium NRW

Weil sich die Siegener mittlerweile zu Experten bei E-Klausuren entwickelt haben, beraten sie am Montag Vertreter des Justizministeriums NRW. Sie diskutieren die Frage, ob künftig die zweite Phase des juristischen Staatsexamens elektronisch geprüft werden kann. Die technische Seite der Prüfungen sei für die Juristen Neuland und sicher ein Paradigmenwechseln, so Dr. Andreas Hoffmann, der schon einige Jahre zu E-Klausuren an der Uni Siegen forscht. Die Experten der Uni Siegen wollen deshalb Prozesse so optimieren, dass die Prüfungen technisch und organisatorisch einwandfrei möglich sind. „Alteingesessene Juristen sind mit Papier und Stift groß geworden. Angehende Juristen arbeiten schon im Studium fast ausschließlich digital und werden das auch im Arbeitsalltag tun“, erklärt Hoffmann. „Deshalb ist es logisch, wenn wir die Prüfungen ebenfalls elektronisch anbieten.“

Mit den E-Klausuren möchte die Uni Siegen ein Umdenken anstoßen und die Qualität der Prüfungen für Studierende und Dozenten verbessern. Während der Pilotphase, die 2015 startete und drei Jahre läuft, werden die Kosten komplett vom Rektorat der Universität übernommen.

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