Den Duden haben wir in fast allen Sprachen

Auf einem Fachtag an der Universität Siegen haben sich Lehrkräfte über die Arbeit mit Flüchtlingskindern im Schulalltag ausgetauscht. Ein Beispielprojekt heißt FLUSS, bei dem Studierende mit Jugendlichen in Schulen Deutsch lernen.

(wS/red) Siegen 08.11.2016 | Das Stimmen-Wirrwarr tönt durch die Gänge der Geschwister-Scholl-Schule und mischt sich mit dem Klackern der Tischtennisbälle. Es ist große Pause und die Jugendlichen tummeln sich im Foyer. Dass manche von ihnen kein oder wenig Deutsch sprechen, fällt beim Tischtennisspielen nicht auf. Im Regelunterricht schon. Um zugewanderte SchülerInnen beim Deutschlernen zu unterstützen und die Lehrerinnen und Lehrer zu entlasten, setzt die Geschwister-Scholl-Schule genauso wie 34 andere Schulen in Siegen-Wittgenstein Studierende der Uni Siegen ein. Das FLUSS-Projekt (Flüchtlingskinder: Unterstützung der Schulen in Si-Wi) der Arbeitsstelle SiNet der Uni macht das möglich. Um die Schularbeit für zugewanderte Kinder und Jugendliche weiter zu verbessern, veranstalteten der Kreis Siegen-Wittgenstein und die Uni Siegen den Fachtag „(Neu-)Zugewanderte Kinder im Schulalltag – Herausforderungen und Chancen für alle“.

Kim Larissa Böger ist Lehramtsstudentin an der Universität Siegen und unterrichtet im Rahmen des FLUSS-Projektes Flüchtlingskinder an der Geschwister-Scholl-Schule in Geisweid. (Fotos: Universität Siegen)

Kim Larissa Böger ist Lehramtsstudentin an der Universität Siegen und unterrichtet im Rahmen des FLUSS-Projektes Flüchtlingskinder an der Geschwister-Scholl-Schule in Geisweid.
(Fotos: Universität Siegen)

Kim Larissa Böger ist Lehramtsstudentin an der Uni Siegen und unterrichtet Flüchtlingskinder an der Geschwister-Scholl-Schule. Manchmal hilft sie Lehrerinnen und Lehrer bei ihrer Arbeit, manchmal gestaltet sie den Unterricht für sechs oder sieben Jugendliche ganz alleine. „Wenn wir Lehramtsstudenten ein Praktikum machen, sitzen wir oft nur hinten drin und gucken zu. Hier kann ich Erfahrungen sammeln, die unbezahlbar sind“, sagt die 26-Jährige. Und dass nicht nur in fachlicher, sondern auch in persönlicher Hinsicht. „Ich beschäftige mich mit den Schicksalen der Schüler. Das Emotionale kannst du nur begreifen, wenn du die Kinder erlebst. Im Hörsaal ist das nicht möglich.“

Von den 320 SchülerInnen, die die Ganztagshauptschule in Siegen-Geisweid besuchen, belegen 60 neben dem Regelunterricht spezielle Deutschstunden. Manche von ihnen verstehen im Regelunterricht nichts oder nicht viel. Trotzdem hilft ihnen der Kontakt mit den anderen SchülerInnen bei der Integration. Viele von ihnen sind vor Krieg oder Armut geflohen, zum Beispiel aus Syrien, dem Irak oder Rumänien. Manche sind Analphabeten und haben noch nie in ihrem Leben eine Schule besucht.

Aufgeteilt werden die Jugendlichen in den Deutschkursen nicht nach Alter, sondern nach Deutschkenntnissen. Kim Larissa Böger unterrichtet vor allem die SchülerInnen, die kein Vorwissen mitbringen. Wenn sie mit ihnen Vokabeln lernt, dann zeigt sie ihnen Bilder, aber manchmal verstehen die Jugendlichen auch die Abbildungen nicht. „Dann verständigen wir uns mit Händen und Füßen oder ich male an die Tafel. Den Duden haben wir in fast allen Sprachen“, erzählt Böger. Die Studentin lehrt nicht nach Lehrbuch, sondern nimmt Alltagssituationen wie das Shoppen und übt daran die Kommunikation. Sie kann sich für kleine Gruppen Zeit nehmen. Im Regelunterricht wäre das nicht möglich.

Für die Schulen bedeutet das eine große Entlastung. „Als vor einem Jahr sehr viele Flüchtlinge kamen, fühlten wir uns allein gelassen“, berichtet Christoph Weißer, Konrektor der Geschwister-Scholl-Schule. „Das FLUSS-Projekt war das einzige, das uns schnell und kostenlos Hilfe angeboten hat.“ Die SchülerInnen finden in den Studierenden Ansprechpartner und Begleiter. „Sie werden nicht als Lehrer wahrgenommen, weil sie jünger sind und keine Noten vergeben. Es entsteht schnell eine Nähe“, sagt Dr. Jörg Siewert, Schulpädagoge an der Uni Siegen und Leiter der Arbeitsstelle SiNet.

Damit sich vor allem Lehrkräfte über ihre Arbeit mit zugewanderten Kindern und Jugendlichen austauschen können, hat Siewert den Fachtag „(Neu-)Zugewanderte Kinder im Schulalltag – Herausforderungen und Chancen für alle“ mitorganisiert. Patentrezepte gibt es keine, aber viele gute Ansätze in der Region. Diese wurden auf der Fachtagung gewürdigt, zur Diskussion gestellt und weiterentwickelt.

Das FLUSS-Projekt sucht weiterhin Studierende, die Flüchtlingskinder in der Schule unterstützen möchten. Die Studierenden können sich ihre Arbeit unter bestimmten Voraussetzungen für ihr Studium anrechnen lassen. Interessierte Schulen können sich anmelden, wenn sie Unterstützung für den Unterricht brauchen. Mehr Informationen unter http://www.sinet-schulentwicklung.de/Fluechtlingskinder.html

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