Der Publizist Dr. Fritz Glunk war zu Gast bei der Vortragsreihe „Forum Siegen“

„Demokratie wird umgangen“

(wS/red) Siegen 06.05.2017 | „Transnationale Regime – Herrschaft ohne Kontrolle“ lautete der Titel des Vortrags von Dr. Fritz Glunk zum Auftakt des Sommersemesters der Vortragsreihe „Forum Siegen“. Glunk, Jahrgang 1936, ist Übersetzer, Literaturwissenschaftler und Publizist. Derzeit arbeitet er an einem Buch „Schattenmächte“, das im Herbst erscheinen soll. Um unsere Demokratie ist Glunk offenkundig besorgt. So lautet seine eingangs in den Raum gestellte Hauptthese: „Demokratie wird nicht gefährdet, die Demokratie wird umgangen.“

Prof. Dr. Gustav Bergmann (li.) und Dr. Fritz Glunk. Foto: Universität Siegen

Demokratie werde bei politischen Entscheidungen beiseite gelassen, Entscheidungen würden immer häufiger an Stellen getroffen, an denen keine demokratische Beteiligung möglich sei. Als Grundlage dieser Tendenz wertet er eine Vielzahl von Problemen und Fragestellungen, die nicht mehr allein national behandelt werden könnten. Als Beispiele nannte der Publizist das Internet, den Klimawandel, die Finanzindustrie, den Terrorismus und mehr. Glunk: „Es ist eigentlich eine private Veranstaltung, die das Internet macht. Wir akzeptieren das, weil es uns nützt.“
Transnationale und globale Probleme und Fragestellungen würden zunehmend im Rahmen internationaler Zusammenarbeit thematisiert. Festlegungen gingen nicht von Gesetzen oder nationalen Regierungen aus, sondern würden in internationalen Konsensrunden vereinbart (Informationalisierung). Da manche Probleme nicht mehr auf einen Staat begrenzt seien und von einem nationalen Parlament gelöst werden könnten, komme es zu Entterritorialisierung. Behandelt würden solche Themen auf internationaler Ebene in unterschiedlichen Gruppen, deren Status in der Regel ungeklärt sei, was wiederum ein informelles Agieren ermögliche. In diesen Gruppen vertreten seien Vertreter staatlicher Exekutive und manchmal auch Wirtschaftsvertreter. Der Organisationsgrad dieser Gruppen sei unterschiedlich; manchmal existiere nicht einmal eine Adresse. Diese Gruppen seien keine Rechtspersönlichkeiten und daher nicht greifbar. Der Verpflichtungsgrad der Vereinbarungen sei unklar. Als Beispiel führte Glunk den Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht an. Glunk: „Diese Umgehung der Demokratie beunruhigt.“

Eine weitere wichtige Gruppe sei ICH (Technical Requirements for Registration of Pharmaceuticals for Human Use), 1990 von den Zulassungsbehörden der USA, der EU und Japans gegründet. Mittlerweile gehören der Gruppe weitere Mitglieder an. Die ICH sei eine „hybride“ Gruppe, da neben Vertretern der Exekutive auch Vertreter der Privatwirtschaft dazu gehörten. Die Aufgabe der ICH bestehe in der Festlegung von Standards der Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit von Medikamenten. Dies geschehe in einem mehrstufigen KonsensVerfahren. Die Richtlinien besäßen keine rechtliche Bindung, würden aber als De-facto-Regeln  auch von nicht beteiligten Regie-rungen akzeptiert. Die ICH sei nicht die einzige globale Regulierungsstelle, die De-facto-Standards setze. Deren Anzahl sei in den letzten beiden Jahrzehnten stark gestiegen.

Glunk stellte zudem die These in den Raum, dass Parlamente mittlerweile mehr an der Bildung und Stützung von Regierungen interessiert seien als an deren Kontrolle. Er plädierte daher für zusätzliche Kontrollmechanismen beispielsweise auf der Basis der Tribunen in der römischen Republik sowie dafür, dass vorhandene Kontrollinstanzen – wie der Bundespräsident – ihre Kontroll- und Vetomöglichkeiten konsequenter nutzten. Mit Blick in die Zukunft verlieh der Referent, der Gründungsherausgeber des politischen Magazins „Die Gazette“ ist, seiner Hoffnung Ausdruck, dass einmal eine Demokratie eingerichtet werde, „die es wert ist, dass man sie kultiviert“.

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