(wS/red) Siegen 29.10.2018 | Für die Arbeit an einem Quantencomputer erhält das Siegener Team 600.000 Euro.
Als Konrad Zuse 1941 den ersten funktionsfähigen Digitalrechner in der Größe eines Wandschranks baute, war nicht daran zu denken, dass etwa 80 Jahre später Milliarden Menschen einen Computer in Form eines Handys in der Hosentasche mit sich tragen würden. Doch auch die modernsten Rechner stoßen heutzutage in bestimmten Einsatzbereichen an ihre Grenzen. Lösungen könnten Quantencomputer liefern, die allerdings aufgrund ihrer Komplexität bislang vor allem von WissenschaftlerInnen in Laboren eingesetzt werden – so auch am Emmy-Noether-Campus der Universität Siegen.
Dort arbeitet das Team um Prof. Dr. Christof Wunderlich, Leiter des Lehrstuhls Quantenoptik, an der Zukunft des Quantencomputers. Auf diesen setzt auch die EU. Am 29. Oktober ist in Wien der Startschuss für das milliardenschwere EU-Flaggschiffprojekt zur Quantentechnologie gefallen, das auf insgesamt zehn Jahre ausgelegt ist. 141 Zusammenschlüsse haben sich für die erste Runde, die über drei Jahre läuft, mit ihren Projekten beworben, 20 wurden am Ende ausgewählt – mittendrin die Uni Siegen. Rund 600.000 Euro stehen dem Siegener Team zur Verfügung. Die Siegener werden gemeinsam mit den Universitäten Hannover und Sussex für die experimentelle Forschung zuständig sein, während WissenschaftlerInnen aus Sofia und Jersualem die Theoriegruppe in diesem Konsortium stellen.
Die Bedeutung des gesamten Projektes ist immens. Es ist eine der größten und ambitioniertesten Forschungsinitiativen der EU. Ziel ist es, die Forschung zur Quantentechnologie auf die nächste Stufe zu heben und den Sprung raus aus dem Labor auf den Industriemarkt zu schaffen. Europa will bei der zweiten Quantenrevolution eine Vorreiterrolle einnehmen. „Wir sind sehr glücklich, beim Flaggschiff-Projekt dabei zu sein. Dass wir bei solch einem prominenten Projekt vertreten sind, ist ein schöner Erfolg. Es spricht auch für die Pionierarbeit, die die Physik in Siegen leistet“, sagt Prof. Wunderlich.
Für den Physiker und sein Team wird es nun darum gehen, der bereits begonnenen Geschichte die nächsten Kapitel hinzuzufügen. „Wir haben neue Konzepte und Methoden entwickelt, mit denen wir versuchen wollen, einen Quantencomputer zu realisieren, der mit einzelnen Ionen arbeitet“, erklärt Wunderlich. Eine Demoversion des Rechners steht im Labor am Emmy-Noether-Campus. Ionen werden dabei als kleinstmögliche Schalteinheit genutzt. Ähnliche Computer gibt es auch in anderen Einrichtungen, das Siegener Modell ist in seiner Art allerdings einzigartig. Das Besondere: Die gespeicherten Ionen werden über Mikrowellenimpulse gesteuert. „Ein solch frei programmierbarer Quantencomputer wurde erstmalig in Siegen realisiert“, so Wunderlich. In vergleichbaren Projekten werden die Ionen über Laserlicht gesteuert. Laserlicht in der erforderlichen Qualität ist aufwendig zu erzeugen und zu kontrollieren. Diese Laser sind oft raumfüllende Geräte und damit nur bedingt massentauglich. Unternehmen wie Google und Microsoft oder aus der Pharmazie bei der Medikamentenherstellung und der Autoindustrie im Bereich der Verkehrsplanung investieren bereits in die Quantentechnologie. Die Erwartungen sind dementsprechend groß.
Bild: Das Herzstück eines Quantencomputers an der Universität Siegen basierend auf gespeicherten Ionen. Mit diesem frei programmierbaren Quantencomputer haben die Forscher zum Beispiel demonstriert, wie der Entscheidungsprozess beim maschinellen Lernen gegenüber klassischen Algorithmen drastisch beschleunigt werden kann. Alle quantenlogischen Operationen werden ausschließlich durch Mikrowellenimpulse gesteuert, die über die Leitung rechts oben im Bild zu den Ionen übertragen werden.
An der Uni Siegen lautet das Motto dementsprechend: aus groß mach klein. Was es als Demoversion schon gibt, soll künftig auch außerhalb des Labors eingesetzt werden können. Es geht darum, einen kompakten Quantencomputer zu realisieren, technologisch möglichst leicht umsetzbar. „Die Mikrowellen überwinden Schwierigkeiten, die andere mit der Technologie haben“, nennt Wunderlich den Vorteil gegenüber vergleichbaren Vorhaben.
Bleibt die Frage, worin der Vorteil der Quantencomputer gegenüber gängigen Rechnern liegt. Ein Bit, die kleinste Schalteinheit in einem Computer oder einer Speicherkarte, kennt zwei Zustände: 1 oder 0, An oder Aus. Klassische Physik. Im Quantencomputer kann die kleinste Schalteinheit, genannt Qubit und hergestellt aus Ionen, zwei Zustände gleichzeitig haben – also 1 und 0. Ein sogenannter Überlagerungszustand. Ein solcher Rechner könnte mehrere Rechenschritte parallel laufen lassen, während die klassischen Geräte alle Zahlen nacheinander abarbeiten. „Die Möglichkeit, beliebige Zustände gleichzeitig einzunehmen, ermöglicht extrem mächtige Computer“, sagt Prof. Wunderlich. Dafür müssen die Ionen allerdings wissen, was sie tun sollen. Die Überlagerungszustände müssen präpariert werden und die Qubits miteinander agieren, damit Algorithmen ausgeführt werden können.
Die Steuerung der Ionen erfolgt per Mikrowellenstrahlung. Das Ziel ist es, die Genauigkeit so weit zu erhöhen, dass viele Qubits zusammengeschaltet werden können. „Dann kann in nicht allzu ferner Zukunft ein Quantencomputer Dinge tun, die auch kein klassischer Super-Rechner schaffen würde“, erklärt Wunderlich. „Was letztendlich möglich sein wird, wird wahrscheinlich alle unsere bisherigen Vorstellungen übertreffen.“ Ähnlich wie bei Konrad Zuses Computer Mitte des 20. Jahrhunderts.
Hintergrund
Die Forschungsinitiative zur Quantentechnologie ist das dritte sogenannte Flagschiff-Projekt der Europäischen Kommission. Zuvor ging es in den Großforschungsprojekten um Hirnsimulation und Graphen. Die Förderung des Bereichs Quantentechnologie ist auf insgesamt zehn Jahre ausgelegt. Mehr als 5000 ForscherInnen und Industriepartner werden daran beteiligt sein. Für die Teilprojekte stehen insgesamt mindestens eine Milliarde Euro zur Verfügung. Die Universität Siegen erhält aus diesem Topf rund 600.000 Euro während der dreijährigen Startphase des Projekts.
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