Siegener Forscherinnen haben weltweit die ersten magnetischen und nachleuchtenden Nanopartikel entwickelt

(wS/red) Siegen 19.08.2020 | Die patentierte Erfindung soll unter anderem in der Medizin bei der Krebserkennung oder der Detektion von Feinstaub in lebenden Organismen zum Einsatz kommen.

Forscherinnen der Universität Siegen haben die weltweit ersten Nanopartikel entwickelt, die sowohl magnetische Eigenschaften besitzen, als auch nachleuchtend sind. Das Anwendungspotenzial ist groß: Mithilfe der neuartigen Partikel könnten zum Beispiel Krebszellen im Körper entdeckt oder die konkrete Verbreitung von Feinstaub in Organen und damit deren Giftigkeit nachgewiesen werden.

Nanopartikel sind kleinste Teilchen mit einem Durchmesser von unter 0,0000001 Metern, also 100 Nanometer, die für das menschliche Auge nicht ohne leistungsstarke Mikroskope sichtbar sind. Ihre Größe hat entscheidende Vorteile: Im medizinischen Bereich zum Beispiel können sie als Biomarker in die Blutbahn injiziert werden. Wären die Partikel zu groß, würden sie nicht durch die Zellwände passen und in der Blutbahn sofort zu Boden sinken. Bei Nanopartikeln ist das anders: aufgrund ihrer geringen Größe „schweben“ sie in der Blutbahn. Auch Feinstaub sind kleine Partikel mit solcher Größenordnung. „Die Forschung und Entwicklung von Nano-Materialien ist ein Thema von weltweit zunehmender Bedeutung. Die neuen Eigenschaften dieser Materialien werden in vielen Bereichen, wie der Energieumwandlung und der Sensorik, zum Einsatz kommen“, sagt Prof. Dr. Claudia Wickleder, Lehrstuhl für Anorganische Chemie und Mitglied im Center for Micro- and Nanochemistry and Engineering (Cµ) an der Uni Siegen.

Leuchtende, magnetische Nanopartikel gibt es schon seit einigen Jahren. Sie leuchten, wenn man sie mit Licht bestrahlt. Sobald man die Lichtquelle aber wegnimmt – zum Beispiel, weil man sie in den Körper injiziert – leuchten sie nicht mehr. Nachleuchtende Magnete hingegen haben den Vorteil, dass sie auch in Dunkelheit weiterleuchten. Sie funktionieren wie die lumineszierenden Sterne im Kinderzimmer, die für einige Zeit weiterleuchten, nachdem man das Licht ausgeschaltet hat. Für Anwendungen in der medizinischen Sensorik sind nachleuchtende Materialien sehr gut geeignet, wie die Forscherinnen der Universität Siegen, Dr. Huayna Terraschke (ehemalige Doktorandin an der Uni Siegen und mittlerweile Juniorprofessorin an der Universität Kiel) und Prof. Dr. Claudia Wickleder herausfanden. Das Problem bei nicht-nachleuchtenden Sensoren ist, dass sie mit UV-Strahlung zum Leuchten gebracht werden müssen, welche nicht durch die Haut dringt. Setzt man nachleuchtende Stoffe ein, kann man diese durch UV-Licht anregen bevor man sie injiziert, und danach leuchten sie weiter. Die magnetischen Eigenschaften sind für den Einsatz in medizinischen Verfahren wie der Magnetresonanztomographie (MRT) nötig.

Die Herausforderung dieser speziellen Multifunktionalität: Magnetische Stoffe heben normalerweise das Nachleuchten auf. Bisher existierten solche Nanopartikel deshalb schlicht nicht. Die Siegener Forschungsgruppe um die Chemikerin Prof. Dr. Claudia Wickleder hat dieses Problem gelöst. Zwischen dem magnetischen Kern und der nachleuchtenden Außenschicht fügten sie eine Mittelschicht hinzu. „Diese Schicht wie auch der Kern und die Hülle durfte ausschließlich aus Stoffen bestehen, die nicht giftig für Lebewesen sind“, sagt Prof. Dr. Wickleder. „Denn sonst wären medizinische Anwendungen nicht möglich.“ Die Forscherinnen fanden heraus, dass sich das Mineral Eisenoxid (Magnetit) für den Kern, Siliciumdioxid (SiO2) für die Zwischenschicht und Sr-Aluminat dotiert mit Seltenen Erden für die Hülle sehr gut eignen.

Die nächste Herausforderung bestand darin, die Größe der Nanopartikel so klein wie möglich zu halten. Dafür musste jede der drei Schichten – Kern, Zwischenschicht und Hülle – so klein und dünn wie möglich hergestellt werden, das war die Herausforderung. Der Kern aus Eisenoxid allein misst 15 Nanometer Durchmesser. Zum Vergleich: Eine 1-Cent-Münze ist zehn Millionen Mal so groß. Mit der Zwischenschicht beläuft sich der Durchmesser auf 25 Nanometer und mit der Hülle auf 67 Nanometer. „Für den praktischen Einsatz, zum Beispiel in der Medizin oder der Biosensorik, müssten die Partikel allerdings noch kleiner und vor allem das Nachleuchten effizienter werden“, sagt Wickleder.

In der Biosensorik könnten die Partikel dann zum Beispiel eingesetzt werden, um an Krebszellen anzudocken. Ein einzelner nachleuchtender Nanopartikel alleine wäre allerdings zu klein, um im Körper sichtbar zu sein. Hier kommt die magnetische Eigenschaft ins Spiel. Durch äußere Magnete können die nachleuchtenden Nanopartikel im Körper konzentriert werden, sodass sie leicht nachgewiesen werden können.

Mit den Kooperationspartnern Dr. Stefan Lienenklaus und Dr. Siegfried Weiß von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) testeten die Siegener Forscherinnen mit einem Feinstaub-Experiment die neuen Nanopartikel an Mäusen – mit Erfolg. Die Nanopartikel wurden so modelliert, dass sie Feinstaub in der Luft imitierten. Die Mäuse wurden diesem Feinstaub ausgesetzt. Durch die nachleuchtenden Magnete konnten die ForscherInnen genau nachvollziehen, in welchen Organen sich der Feinstaub festsetzte. Das Leuchten konnte durch bildgebende Untersuchungen sichtbar gemacht werden. Dabei konnte außerdem gezeigt werden, dass die eingesetzten Nanopartikel im Gegensatz zu anderen verwendeten Materialien völlig ungiftig für die Mäuse sind, also auch noch einen Beitrag zum Tierschutz liefern.

Auch im nicht-medizinischen Bereich können die neuartigen Nanopartikel Anwendung finden. Dabei könnten sie z.B. als Qualitätskontrolle für Stahl eingesetzt werden, um kleinste, nicht sichtbare Risse sichtbar zu machen, welche die Stabilität von Stahl deutlich mindern. Dies ist möglicherweise auch für die lokalen Firmen der Stahl-verarbeitenden Industrie ein relevantes Thema und kann zu Kooperationen mit der Uni Siegen führen.

Anfang dieses Jahres haben die ForscherInnen ihre patentierte Erfindung in der renommierten Fachpublikation „Chemistry – A European Journal“ veröffentlicht: https://chemistry-europe

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