Welche Zukunft hat das Wisent-Projekt? Umweltausschuss des Kreises beschäftigt sich mit Zukunft des Artenschutzprojektes

(wS/si) Siegen 11.11.2022 | Am 1. Dezember wird sich der Ausschuss für Umwelt- und Klimaschutz, Land- und Forstwirtschaft des Kreises Siegen-Wittgenstein mit den jüngsten Entwicklungen rund um das Artenschutzprojekt „Wisente im Rothaargebirge“ beschäftigen – und damit in der ersten Sitzung nach den überraschenden Entwicklungen der letzten Wochen, in denen der Trägerverein die öffentlich-rechtliche Vereinbarung mit den Genehmigungsbehörden gekündigt hat und verlautbarte, man habe das Eigentum an den Wisente aufgegeben und diese seien nun herrenlos.

Landrat Andreas Müller möchte die Sitzung nutzen, um aus Sicht der Genehmigungsbehörden den aktuellen Sachstand zu erläutern und die möglichen Entwicklungen darzulegen. Im Vorfeld macht der Landrat deutlich, dass ihn die jüngsten Entwicklungen zutiefst bestürzen: „Vor zehn Jahren wurde bei uns ein Artenschutzprojekt gestartet, dass in Europa einzigartig war und ist und eine Strahlkraft weit über die Region hinaus entfaltet. Für viele gehören die Wisente heute einfach schon zu Siegen-Wittgenstein dazu. Leider ist es dem Trägerverein in den vergangenen zehn Jahren aber nicht gelungen, das Projekt auf so solide Füße zu stellen, dass die Tiere am Ende in die Herrenlosigkeit entlassen werden konnten“, bedauert Müller.

Der Landrat erinnert an das Schreiben des Trägervereins vom 19. Juli 2022, „das bei uns alle Alarmglocken schrillen ließ“, so Müller. In dem Schreiben teilt der Verein mit, dass er sich nicht in der Lage sehe, ein Urteil des Oberlandesgerichtes Hamm umzusetzen, in dem der Verein verpflichtet wird, die Wisente von Grundstücken im Hochsauerlandkreis fernzuhalten. Deren Besitzer hatten ein Betretungsverbot für die Tiere eingeklagt und am Ende Recht bekommen. „Gleichzeitig hatte der Verein uns mit einem Schreiben angekündigt, dass er die zuständigen Behörden vorsorglich um die Erlaubnis zur Tötung aller Wisente als ‚letzte Alternative‘ bitten wird  – was ich in meinem Antwortschreiben natürlich strikt und mit deutlichen Worten abgelehnt habe“, betont Müller: „Aber spätestens zu diesem Zeitpunkt wurde erneut deutlich, was das Gutachten der Tierärztlichen Hochschule Hannover bereits im August 2021 festgestellt hatte: Der Trägerverein ist den Anforderungen, die aus fachlicher Sicht an ein so komplexes Artenschutzprojekt zu stellen sind, nicht gewachsen und mit dem Management des Projektes überfordert.“

Das Experten-Gutachten der Tierärztlichen Hochschule Hannover habe deswegen verschiedene Rahmenbedingungen benannt, die zwingende Voraussetzungen darstellen, um überhaupt auf einer neuen Grundlage über eine Fortführung des Projektes diskutieren zu können. Von diesen konkrete Maßnahmen sei seither aber praktisch keine umgesetzt worden. Auch deswegen sei es nicht gelungen, den Konflikt mit den Waldbauern im Hochsauerland zu befrieden und einen Konsens in der Region herzustellen.

Für die Aufsichtsbehörden – Kreis, Bezirksregierung und Land – ist klar, dass die Kündigung der öffentlich-rechtlichen Vereinbarung durch den Trägerverein keinen Bestand haben kann und die Tiere nach wie vor Eigentum des Trägervereins sind: „Hier geht es um komplizierte juristische Fragen, die sich aber im Kern einfach erklären lassen“, erläutert der Landrat: „Die öffentlich-rechtliche Vereinbarung ist nichts anderes als eine Bündelung von Genehmigungen, die regelt, unter welchen Voraussetzungen der Trägerverein die Tiere ins Rothaargebirge holen und hier halten durfte. Dass man solch eine Genehmigung nicht einfach kündigen kann, erschließt sich eigentlich auch juristischen Laien“, so Müller: „Gleiches gilt für die vermeintliche Aufgabe am Eigentum der Tiere. Das ist, als ob sich jemand einen Hund kauft und ihn dann vor die Türe setzt uns sagt: ‘Der gehört mir nicht mehr, der ist jetzt frei und ich übernehme auch keine Verantwortung mehr für das, was der Hund macht.‘ Dass das so nicht funktioniert, ist leicht nachzuvollziehen.“

Der Landrat hofft immer noch auf ein Einsehen des Trägervereins und ein einvernehmliches Vorgehen auf Basis der Regelungen in der öffentlich-rechtlichen Vereinbarung: „Es ist ohne Zweifel für die Region am besten, wenn der Trägerverein die Kündigung der Vereinbarung zurücknimmt und wieder mit den Genehmigungsbehörden konstruktiv zusammenarbeitet. Die Türe dafür steht weit offen!“

Müller macht auch darauf aufmerksam, dass die mit dem öffentlich-rechtlichen Vertrag erteilten Genehmigungen nur für die Freisetzungsphase gelten, also für einen Zeitraum, der auch als Test- oder Versuchsphase zu verstehen sei. Für eine Fortführung des Projektes müssten umfangreiche neue Genehmigungsverfahren, z.B. nach natur- und artenschutzrechtlichen Bestimmungen und mit Beteiligung der Bevölkerung durchlaufen werden. Angesichts der derzeitigen Verfassung des Projektes sei nicht erkennbar, wie die dafür notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden könnten.

Mit Blick auf die Beratungen im Umweltausschuss des Kreises erinnert der Landrat noch einmal daran, dass es sich beim Projekt „Wisente im Rothaargebirge“ um ein privat initiiertes und getragenes Projekt handelt: „Es gab keine politischen Beschlüsse zum Start des Projektes und der Kreis war auch nie Mitglied im Trägerverein.“ Zuletzt hatte sich der Kreistag im Zusammenhang mit der Einrichtung eines Schadenfonds in 2016 mit den Wisenten beschäftigt. Dessen Einrichtung hatte Landrat Müller zur Befriedung des Konfliktes mit den Waldbauern im Hochsauerlandkreis vorgeschlagen. Letztlich konnte aber auch dieser finanzielle Ausgleich nicht verhindern, dass die Waldbauern weiter den Klageweg beschritten haben, um die Wisente von ihren Grundstücken fernzuhalten. „Der Kreis ist nicht Projektträger, sondern Teil der Aufsichts- und Genehmigungsbehörden, die die Einhaltung der Bestimmungen aus der öffentlich-rechtlichen Vereinbarung zu überwachen haben“, so Müller: „Und genau in dieser Rolle sind wir zurzeit gefordert.“

„Aktuell muss es jetzt vor allem darum gehen, eine rechtskonforme Lösung zum besten Wohle der Tiere zu finden“, betont Andreas Müller: „Da die Voraussetzungen für eine Entlassung der Tiere in die Herrenlosigkeit nicht vorliegen und wohl auch nicht geschaffen werden können, scheint das Eingattern der Tiere und eine Übersiedlung in andere Regionen derzeit die realistischste Perspektive zu sein“, so der Landrat: „Für die Region ist das ein bedeutender Verlust, rechtlich zeichnet sich aktuell aber keine andere Lösung ab.“

Foto: wirSiegen

 

[plista widgetname=plista_widget_slide]