wS/kr – Kreuztal – Zum Stärkungspakt Stadtfinanzen nimmt Kreuztals Bürgermeister Walter Kiß in einem Brief an den Innenminister des Landes NRW, Ralf Jäger, wie folgt Stellung:
Sehr geehrter Herr Minister Jäger,
zwischenzeitlich wurde das Stärkungspaktgesetz und hier insbesondere die Solidarumlage für die abundanten Städte und Gemeinden im Lande Nordrhein-Westfalen auf den parlamentarischen Weg gebracht.
Losgelöst von der Frage, ob der vorgesehene Weg, einen Großteil der Mittel für den „Stärkungspakt Stadtfinanzen“ aus den Reihen der kommunalen Familie selbst finanzieren zu lassen, überhaupt verfassungskonform ist, möchte ich vor dem Hintergrund der starken Betroffenheit im Namen von Rat und Verwaltung der Stadt Kreuztal nochmals in der Sache Stellung beziehen.
In der zweiten Augusthälfte haben Sie eine Gegenüberstellung veröffentlicht, aus der Gemeinde- scharf abzulesen ist, welche Kommunen im Jahre 2014 eine Solidaritätsumlage zahlen sollen und wie hoch der jeweilige Finanzierungsbeitrag für den „Stärkungspakt Stadtfinanzen“ sein soll. Betroffen sind danach lediglich 60 Kommunen – oder anders ausgedrückt – lediglich 15 % der Städte und Gemeinden in unserem Bundesland, die insgesamt mehr als 180 Mio. € an Komplementärmitteln zur anteiligen Finanzierung des „Stärkungspaktes Stadtfinanzen“ aufbringen sol- len. Das zieht für die einzelne Stadt oder Gemeinde eine enorme Zahlungsverpflichtung nach sich, so auch für die Stadt Kreuztal, die nach den vorliegenden Modellrechnungen im nächsten Jahr mit annähernd 3.730.000 € belastet werden soll.
Berechnungsgrundlage für die Solidarumlage stellen nach Ihren Vorstellungen die Mechanismen der jährlichen Gemeindefinanzierungsgesetze dar, in dem ein fiktiv ermittelter Finanzbedarf der „normierten“ Steuerkraft gegenüber gestellt wird. Zur Beurteilung der Zahlungspflicht fällt der Blick also nicht auf die tatsächliche Leistungsfähigkeit einer Kommune, die sich im Zeitalter des Neuen Kommunalen Finanzmanagements in den jährlichen Ergebnisrechnungen wieder spie- gelt, sondern es finden pauschale Berechnungsparameter Berücksichtigung, die nach dem eigentlichen Sinn und Zweck eine ganz andere Zielsetzung haben, nämlich die Frage klären sollen, ob eine Kommune Anspruch auf Schlüsselzuweisungen des Landes hat oder nicht.
Die vorgesehene Berechnungssystematik führt insbesondere für kleinere und mittlere kreisangehörige Städte und Gemeinden mit vergleichsweiser guter Steuerkraft zu unbilligen Ergebnissen. Zum einen wird bei der pauschalen Betrachtung in keiner Weise berücksichtigt, dass die steuerstarken kreisangehörigen Kommunen heute schon überproportional durch die bestehenden Umlagehaushalte der Kreise und Landschaftsverbände belastet und erhebliche Teile ihrer Steuerkraft abgeschöpft werden. Zum anderen erfahren die kleineren und mittleren Kommunen aufgrund der Strukturen der jährlichen Gemeindefinanzierungsgesetze ohnehin eine Benachteiligung, weil durch die Art und Weise des Ansatzes der Gewichtungsparameter der ermittelte Finanzbedarf für sie künstlich klein gehalten wird. Insoweit erfolgt eine bewusste Umverteilung zu Gunsten der Ballungszentren an Rhein und Ruhr und zu Lasten des ländlichen Raumes. Letzteres wird durch das aktuelle sogenannte „FIFO-Gutachten“ eindeutig bestätigt.
Die geplante Heranziehungspraxis für die Solidarumlage hat aus einem weiteren Grund fatale Folgen für die Haushalte kreisangehöriger Städte und Gemeinden, weil sowohl mit Blick auf die Solidarumlage als auch mit Blick auf die Kreisumlage auf die grundsätzlich identische Berech- nungsstruktur abgehoben wird und sich beide Zahlungsverpflichtungen demzufolge kumulieren. Entsprechende Steuerzuflüsse in einer Rechnungsperiode führen nämlich zeitgleich zu entsprechenden Zahlungsverpflichtungen bei der Solidarumlage und bei der Kreisumlage, ohne dass der Gesetzesentwurf aus Ihrem Hause ein etwaiges Korrektiv enthält.
Sehr geehrter Herr Minister Jäger, nach Ihren eigenen Aussagen bzw. Presseverlautbarungen aus Ihrem Hause haben Sie einen Weg gesucht, bei dem, „der Solidarbeitrag von der betroffenen Kommune leistbar sein muss“, „der Solidarbeitrag keine Kommune überfordern darf“ und „vorhandene Steuerüberschüsse zu einem Teil abgeschöpft werden“.
Im Jahre 2013 verfügen 14 der von der Solidarumlage betroffenen Städte und Gemeinden über einen ausgeglichenen Haushalt, die Haushalte von 32 Kommunen weisen ein strukturelles Defizit auf und 14 Kommunen befinden sich in der Haushaltssicherung, wobei mindestens eine der betroffenen Kommunen sogar kein genehmigtes Haushaltssicherungskonzept aufweisen kann. Von den 60 Städten und Gemeinden, die im Jahre 2014 eine Solidarumlage leisten sollen, können demzufolge heute schon drei Viertel keinen ausgeglichenen Haushalt vorweisen.
Sehr geehrter Herr Minister Jäger, mit dem geplanten Gesetzesvorhaben zur Einführung der Solidarumlage werden Sie Ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht; die gewählte Berechnungssystematik ist eben kein zielführendes Instrument, um die Frage der finanziellen Leistungsfähigkeit einer Stadt oder Gemeinde zu beantworten.
Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang noch den Hinweis auf eine Haushaltsumfrage des Städte- und Gemeindebundes. Im Jahre 2013 können demnach insgesamt 37 Kommunen in Nordrhein-Westfalen einen ausgeglichenen Haushalt vorweisen. Von diesen 37 Städten und Gemeinden sind lediglich 14 Kommunen abundant, während die Mehrzahl von 22 Kommunen schlüsselzuweisungsberechtigt ist. Auch diese Zahlen zeigen recht anschaulich, dass Abundanz nicht gleichzeitig eine auskömmliche Finanzausstattung nach sich zieht.
Genau dies gilt auch für die Stadt Kreuztal. Im städtischen Haushalt klafft eine strukturelle De- ckungslücke von drei bis vier Millionen Euro pro Jahr. Diese Deckungslücke ist auch nicht Folge einer „ausbordenden“ Infrastruktur in unserer Stadt; sie resultiert vielmehr in erster Linie aus der überproportionalen finanziellen Beteiligung an den Aufwendungen der Umlagehaushalte sowie aus den sonstigen Umlagen. Angesichts der Ausgleichsmechanismen für die Kreisumlage (und damit letztlich auch für die Landschaftsverbandsumlage) wird von steuerstarken kreisangehöri- gen Kommunen schon heute ein erheblicher Solidarbeitrag eingefordert. Erwähnen möchte ich in diesem Zusammenhang auch die überproportionale finanzielle Beteiligung an den Kosten für den Aufbau Ost.
Die „Abundanzumlage“ würde die Stadt Kreuztal in dieser – ohnehin schwierigen – Situation on Top treffen und zwangsläufig in die Haushaltssicherung treiben. Einziger Ausweg wäre eine drastische Erhöhung der Steuerhebesätze in einem Maß, das weder der Bevölkerung noch der Wirtschaft zu vermitteln und zuzumuten wäre.
Diese Kernaussage hat im Übrigen nicht nur Gültigkeit für die Stadt Kreuztal, sondern auch für das gesamte Kreisgebiet. Nach der ersten Modellrechnung sind neben unserem Gemeinwesen auch die Stadt Hilchenbach und die Gemeinden Burbach, Erndtebrück, Neunkirchen und Wilnsdorf von der Solidarumlage betroffen. Die Gesamtbelastung im Kreisgebiet beläuft sich auf über 15,0 Mio. € und übersteigt im Übrigen deutlich die Entlastung, die durch die Kostenübernahme bei der Grundsicherung im Alter im Haushalt des Kreises Siegen-Wittgenstein ankommt.
Sehr geehrter Herr Minister Jäger, auch insoweit möchte ich Sie an entsprechende Zusicherungen aus Ihrem Munde erinnern.
Gestatten Sie mir abschließend noch den Hinweis, dass durch die Mittel des „Stärkungspaktes Stadtfinanzen“ lediglich 30 Prozent der Defizite der Empfängerkommunen abgedeckt werden; die finanziellen Probleme der überschuldeten bzw. von Überschuldung bedrohten Städte und Gemeinden in unserem Bundesland werden also durch die Unterstützung nicht nachhaltig gelöst. Die große Mehrheit der von der Solidarumlage betroffenen Kommunen, so auch die Stadt Kreuztal, wird aber eben durch die Zahlungspflicht in eine extreme haushaltswirtschaftliche Schieflage gebracht.
Sehr geehrter Herr Minister Jäger, im Namen von Rat und Verwaltung, und natürlich auch im Namen der Bürgerinnen und Bürgern sowie Gewerbetreibenden der Stadt Kreuztal bitte ich Sie nochmals eindringlich, Ihr Vorhaben eingehend zu überdenken und auf die Einführung der ge- planten Solidaritätsumlage zu verzichten. Andernfalls wird die Stadt Kreuztal gezwungen sein, das Vorhaben einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung zu unterziehen und den Klageweg zu beschreiten.
Mit freundlichen Grüßen
Walter Kiß Bürgermeister