Mit welchen Taktiken und Strategien kann bei Vertragsverhandlungen das bestmögliche Ergebnis erreicht werden? An der Universität Siegen forschen die Juristen Jun.-Prof. Dr. Stefanie Jung und Prof. Dr. Peter Krebs zu diesem Thema.
(wS/red) Siegen 17.01.2017 | Ein guter Verhandler kann zuhören und stellt die richtigen Fragen. Er tritt selbstbewusst auf, denkt analytisch und reagiert schnell auf neue Situationen. Diese Eigenschaften beruhen teilweise auf Talent und Erfahrung – aber: erfolgreiches Verhandeln kann man auch lernen. An der Universität Siegen beschäftigen sich die Juristin und Junior-Professorin Dr. Stefanie Jung und ihr Kollege Professor Dr. Peter Krebs seit einigen Jahren intensiv mit dem Thema „Vertragsverhandlungen“. Welche rechtlichen Regeln müssen die Verhandlungspartner berücksichtigen? Und welche Strategien und Taktiken verhelfen zum gewünschten Ergebnis?
„Von großer Bedeutung ist bei Vertragsverhandlungen das erste Angebot“, erklärt Stefanie Jung. „Wer das erste Angebot unterbreitet, setzt damit einen ‚Anker‘, der den gesamten, weiteren Verlauf der Verhandlung bestimmen kann. Profi-Verhandler wissen das und nutzen diesen Anker-Effekt taktisch.“ Wer in eine Verhandlung geht, sollte vorher außerdem seine Alternativen kennen, sagt Jung: „Auch das ist ein taktischer Vorteil. Denn nur dann kann ich beurteilen, ob das verhandelte Ergebnis im Vergleich zu anderen Handlungsmöglichkeiten wirklich sinnvoll ist.“ Auch Täuschungen und Bluffs seien in Verhandlungen üblich, ergänzt Peter Krebs. „Das fängt schon beim vorherigen Smalltalk an, wenn man vorgibt, einen bestimmten Fußballverein zu mögen, weil man weiß, dass der Verhandlungspartner Fan dieses Vereins ist.“
Die Juristen bieten Schulungen und Veranstaltungen für Unternehmer, Anwälte und Institutionen wie die Welthandelsorganisation (WTO) an. In Seminaren und Vorlesungen geben sie ihr Wissen außerdem an Studierende weiter. „Wir simulieren Verhandlungssituationen und werten sie unter anderem per Videoanalyse aus“, erklärt Jung. „Wer Jura oder BWL studiert, wird im späteren Berufsleben definitiv verhandeln müssen. Ich halte das Thema deshalb für überragend wichtig“, sagt Krebs. Im Unterschied zu den USA werde es an deutschen Universitäten trotzdem eher stiefmütterlich behandelt: „Eine umfassende, wissenschaftliche Forschung gibt es bei uns bisher kaum. Das hängt sicherlich auch damit zusammen, dass so viele unterschiedliche Disziplinen mit hineinspielen: Kommunikationswissenschaften, Psychologie, Betriebswirtschaftslehre und natürlich Jura.“
Jung und Krebs orientieren sich in ihrer Arbeit an der interdisziplinären Verhandlungs-Forschung in den USA. Hinzu kommen eigene Praxis-Studien mit Studierenden und Interviews mit ProfiVerhandlern wie Geschäftsführern oder Einkäufern mittelständischer Unternehmen. „Wir wollen herausfinden, welche Strategien und Taktiken sie in der Praxis tatsächlich anwenden“, so Jung.
Um „Irreführung in Vertragsverhandlungen“ und deren rechtliche und moralische Bewertung geht es in einer groß angelegten, internationalen Studie, bei der Jung und Krebs mit einem Kollegen an der New York University (NYU) zusammenarbeiten. Rund tausend Studierende, Profi-Verhandler, Juristen und sogar Richter aus neun verschiedenen Ländern wurden dazu schon befragt, in Kürze sollen die Ergebnisse ausgewertet werden.
Ihre bisherigen Erkenntnisse haben Jung und Krebs in dem Buch „Die Vertragsverhandlung – Taktische, strategische und rechtliche Elemente“ zusammengefasst, das gerade im Springer Gabler Verlag erschienen ist. „Das Buch richtet sich an eine breite Zielgruppe und vermittelt die wesentlichen Begriffe, Techniken und Hilfsmittel zu Vertragsverhandlungen“, sagt Stefanie Jung. „Wir möchten damit vor allem Praktiker ansprechen, also Menschen, die in ihrem Job täglich verhandeln müssen.“ Das Buch sei auch ohne Vorkenntnisse gut verständlich.
In den kommenden Jahren möchten die Siegener WissenschaftlerInnen ihre Forschung zum Thema „Vertragsverhandlungen“ noch vertiefen und die internationale Zusammenarbeit weiter ausbauen. Dazu wurde an der Uni Siegen jetzt die Forschungsgruppe „Contract Governance und Contract Negotiation“ gegründet. Hinzu kommen verschiedene Forschungskooperationen. „Themen, die uns interessieren, gibt es noch jede Menge“, sagen Jung und Krebs. Beispielsweise die aktuelle Brexit-Verhandlung. „Die verfolgen wir seit Beginn und haben schon einen dicken Ordner dazu angelegt“, so Jung. „Es handelt sich um eine der komplexesten Verhandlungen, die man sich überhaupt vorstellen kann. Sie näher zu analysieren ist sehr reizvoll“, ergänzt Krebs.