(wS/red) Wilnsdorf 21.11.2019 | 100 Läufe in ein neues Leben
Wilgersdorfer Carsten Koczor erster Siegerländer im 100-Marathon-Club Deutschland e.V. – Berlin als 100. Marathonlauf – sechs Starts über die 100 Kilometer von Biel
Wilgersdorf. „Wenn du laufen willst, lauf eine Meile. Wenn du ein neues Leben kennenlernen willst, dann lauf Marathon.“ Die Lauflegende Emil Zatopek, 1952 Olympiasieger über 5000, 10.000 Meter sowie im Marathon, wusste sehr genau, wie das Laufen das Leben eines Menschen verändern kann. Nimmt man die Philosophie der „Tschechischen Lokomotive“ für bare Münze, so hat der Wilgersdorfer Carsten Koczor nicht nur ein, sondern sogar schon 100 neue Leben kennen gelernt. Für den 46-jährigen gebürtigen Kreuztaler war der Berlin-Marathon 2019 vor einigen Wochen zwar eine Premiere über die 42,195 Laufkilometer durch die Hauptstadt, doch es war bereits sein 100. Marathon/Ultramarathon. Damit erfüllte sich der Sportler des ASC Weißbachtal, der erst vor neun Jahren mit dem Laufen begonnen hat, einen sportlichen Traum: Mit 100 Marathonläufen und Ultraläufen ist er nun als erster Siegerländer Mitglied im legendären 100-Marathon-Club Deutschland e.V. Im Ziel des regenreichen Berlin Marathons nach 4:42 Stunden freute sich Carsten Koczor auf Freundin Tanja, die ihm das quietschgelbe T-Shirt des 100 Marathonclubs – das nur Vereinsmitglieder erhalten, die 100 und mehr Marathonläufe oder Ultraläufe bewältigt haben – überstreifte. Zur offiziellen Aufnahme in den Club überreichte ihm Mario Sargasser, der 1. Vorsitzende des 100 MC, in Berlin auch die offizielle Urkunde. Koczor ist nun das 496. Mitglied des Clubs. 100 Marathon- oder Ultraläufe mit bis zu 100 Kilometern – und das in nur neun Jahren – eine wirklich beachtliche Ausdauer- und Willensleistung.
Für den ASC Weißbachtal, der über 450 Läuferinnen und Läufer beheimatet, ist die Leistung von Carsten Koczor auch etwas Außergewöhnliches. Hannes Gieseler, Vorsitzender des ASC Weißbachtal findet deshalb auch nur anerkennende Worte: „Jedes Jahr sprengt Carsten Koczor die Statistik unseres Vereins, jedes Jahr überbietet er sich selbst und sammelt die meisten Lauf-km. Wir haben viele außergewöhnliche Athleten in unseren Reihen, doch 100 Marathon zu laufen, ist auch für unseren Verein eine neue Spitzenleistung.“
Den Laufsport hat der Betriebsleiter von Energieservice Jung in Gladenbach erst 2010 für sich entdeckt. „Ich wollte damals etwas verändern in meinem Leben und war auf der Suche nach neuem Lebensglück. Ich habe angefangen zu laufen. Heute kann ich sagen, ich bin in ein neues Leben gelaufen“, erzählt der Wilgersdorfer. Erst ein paar Kilometer, dann immer mehr und immer länger und im Oktober 2011, im Alter von 38 Jahren, lief er den ersten Marathon in Palma de Mallorca. „Ein tolles Gefühl, zum ersten Mal die Strecke von 42,195 Kilometer geschafft zu haben.“ Ein Jahr später bewältigte er mit dem 50-Kilometer-Lauf seinen ersten Ultramarathon (als Ultramarathon werden alle Läufe bezeichnet, die länger sind als die Marathondistanz). Und dann stellte sich Carsten Koczor der nächsten Herausforderung, dem 100-Kilometer-Lauf. Inspiriert von der von Werner Sonntag verfassten „Bibel“ der Ultraläufer mit dem Titel „Irgendwann musst du nach Biel“ zog die Stadt im Schweizer Kanton Bern auch Carsten Koczor magisch an. „Biel, da wollte ich dabei sein. Ein Mal durch die Nacht laufen und am nächsten Tag die Medaille um den Hals bekommen.“ 2014 war er zum ersten Mal in Biel am Start, noch weitere fünf Mal sollten folgen, der „Mythos Biel“ hat ihn fortan nicht mehr losgelassen. Dabei ist so ein 100-Kilometer-Lauf nicht immer ein reiner Genuss. 2014 wurde der Hunderter zur Qual. Eine Sehnenentzündung hatte Koczor gebremst. „Für die letzten 10 Kilometer habe ich dreieinhalb Stunden gebraucht, ich bin nur noch über die Strecke gehumpelt und am Ende nach 19:37 Stunden ins Ziel gekommen. Danach bin ich mit der Entzündung noch zwei Marathonläufe gelaufen, aber der Fuß wurde immer wieder dick und erst nach einem Dreivierteljahr war die Verletzung auskuriert.“ Zum Vergleich: In diesem Jahr hat er den Hunderter von Biel wieder richtig genießen können. Mit 13:37 Stunden war er sogar exakt sechs Stunden schneller als fünf Jahre zuvor.
Seit vier Jahren läuft er nun schon im Dress des Ausdauer-Sportclubs Weißbachtal, startet bei vielen heimischen Volksläufen, ist Dauerstarter beim Ausdauer-Cup. Und natürlich muss er sich auch gezielt auf die ganz langen Läufe vorbereiten. 150 bis 200 Kilometer pro Monat kommen da schnell zusammen, dazu Intervalltraining und Stabilisationstraining. „Im Jahr laufe ich so etwa zehn, bis zwölf Marathonläufe, das ist dann schon eine gute Vorbereitung für die anstehenden Ultras. Im Training mag ich es eigentlich nicht länger als 30 Kilometer“, erläutert er den Umfang, als sei das nur ein Sprinttraining. Manchmal kommen noch Schwimm- und Radtraining mit dem Rennrad oder Mountainbike hinzu, denn auch der Triathlon begeistert den Wilgersdorfer. So hat er 2018 in Essen erfolgreich seinen ersten Triathlon über die Mitteldistanz von 1,9 Kilometer Schwimmen, 90 Kilometer Radfahren und 20 Kilometer Laufen absolviert. Natürlich gehört auch die richtige Ernährung vor einem Ultralauf zur gezielten Vorbereitung – und da hat er seine ganz eigene Philosophie: „Nudeln klar, das macht ja jeder Läufer. Am liebsten trinke ich aber am Abend vor dem Marathon ein Glas Wein und esse ein paar Nüsse. Mir ist es wichtig, dass ich mich wohlfühle. Wichtiger als eine spezielle Wettkampfernährung ist für mich, dass es mir und meinem Körper gutgeht.“ Am großen Tag macht er dann all das, was „Alte Hasen“ in dem Sport so machen: Eingelaufene und bloß keine neuen Laufschuhe tragen, doppellagige Strümpfe zur Vermeidung von Blasen, den Schritt mit Vaseline einreiben, um den „Wolf“ zu vertreiben und die Brustwarzen abkleben, um ein Wundscheuern zu verhindern. Als er vor einem Jahr unter der Anleitung von ASC-Läufer Rüdiger Stahl einen Ausflug in das gezielte Lauftraining zur Verbesserung seiner Schnelligkeit unternahm, da purzelten die persönlichen Bestzeiten wie reife Äpfel vom Baum. „Ich habe in der Zeit 16 neue Bestzeiten aufgestellt“, freut sich Koczor über die sportliche Entwicklung.
Dass er mit einer Marathonbestzeit von 4:31 Stunden nicht zu den allerschnellsten in seiner Altersklasse M45 zählt, juckt ihn wenig. Laufzeiten, die Jagd nach immer neuen Bestzeiten, haben Carsten Koczor eigentlich nie wirklich interessiert. Für ihn zählen Erlebnisse, nicht Ergebnisse. Vom olympischen Motto, „citius, altius, fortius“, also „höher, schneller, weiter“, hat den Genussläufer nur die letzte Maxime begeistert. In den nun knapp neun Jahren ist er bei 71 Marathonläufen und 29 Ultraläufen gestartet. Dabei haben den Wilgersdorfer nicht nur die großen und oft auch anonymen Stadtmarathons gereizt, es sind die besonderen Läufe, die in Erinnerung bleiben: Zum Beispiel die 100 Kilometer bei der TorTour de Ruhr, der Knast-Marathon hinter Gefängnismauern und Stacheldraht der JVA in Darmstadt, bei dem seit 2007 Häftlinge und Auswärtige zusammen auf einer nur zwei Kilometer großen Runde die 42,195 Kilometer abstrampeln; der Kristall-Marathon in Merkers altem Salzbergwerk, wo die Läufer 500 Meter unter Tage im Februar bei warmen 21 Grad Lufttemperatur mit Helm und Stirnlampen immerhin 750 Höhenmeter zu bewältigen haben; oder aber der recht kuriose Indoor-Marathonlauf in der Niederlausitzhalle in Senftenberg mit 169 Runden auf einer 250-Meter-Bahn. Nur ein Mal versagten ihm die Kräfte: Beim Eschollbrücker 50-Kilometer-Ultralauf auf dem Sportgelände in Pfungstadt ist er krankheitsbedingt unter Einnahme von Antibiotika an den Start gegangen. Ein großer Fehler wie er heute weiß. Bei Kilometer 20 ging dann nichts mehr und er musste das Rennen aufgeben. „Erstmals in einer Ergebnisliste hinter meinem Namen dieses blöde DNF, für did not finish. Die Startnummer hängt zur Erinnerung bei mir zu Hause an der Wand. Mit diesem Ultra habe ich noch eine Rechnung offen…“
Marathon und Ultraläufe, das sind für Koczor keine Rennen gegen die Uhr oder ein Wettstreit in Konkurrenz zu anderen. Für den Wilgersdorfer sind es vor allem Lustläufe, von denen er seit Jahren als Autor des Online-Magazins „Marathon 4You“ die Eindrücke in Erlebnisberichten und mit Fotos von der Strecke festhält. Die letzten Meter des Berlin-Marathons 2019 beschreibt er dann zum Beispiel so: „Und dann beginnt er endlich, der schönste Kilometer des Tages, auf der Prachtstraße Unter den Linden. Zuschauer rechts und links, Jubel und Applaus. Geradeaus sieht man schon das Brandenburger Tor. Gänsehaut. Immer wieder versuche ich, die Momente im Bild festzuhalten. Egal, wie viele mich überholen, ich genieße jeden Schritt und jeden Meter. Was für ein Erlebnis, durch dieses symbolhafte Tor laufen zu dürfen. Ich bleibe stehen, drehe mich um. Kann sein, dass manche wegen mir den Kopf schütteln. Mir geht es genau anders herum: Ich kann nicht verstehen, dass man an diesem Ort mit gesenktem Blick Richtung Ziellinie jagen kann. Wen interessiert hier eine Minute? Bewusst langsam trabe ich entlang der applaudierenden Zuschauer. Fast wünsche ich mir, es würde kein Ende nehmen. Auf der Ziellinie reiße ich die Arme hoch, ich hab’s geschafft! Berlin – ein ganz besonderer Marathon. Einer der größten der Welt und der absolut größte in Deutschland. Deshalb wollte ich mir hier einen Traum erfüllen, auf den ich acht Jahre hingearbeitet habe: Es ist mein 100. Marathon/Ultramarathon.“
Nun ist er also Mitglied im renommierten 100-Marathon-Club Deutschland – die Ziele werden Carsten Koczor aber noch lange nicht ausgehen. „Bei 300 Läufen beginnt das World Ranking, aber das ist kein Ziel für mich. Ich will mir in den nächsten Jahren vor allem schöne Läufe heraussuchen. Mein Plan ist, die zehn größten Deutschen Marathonläufe zu schaffen, also Berlin, Hamburg, Düsseldorf, Bonn, Hannover, den Rennsteig, Münster, München, Dresden und Frankfurt.“ Darüber hinaus liebäugelt er mit der Teilnahme an den größten Marathonläufen der Welt, der „World-Major-Serie“ zu der neben Berlin, die Stadtmarathons von London, Tokio, Chicago und Boston gehören. Und natürlich hat auch Carsten Koczor den Traum, den jeder Langstreckenläufer in seinem Leben hat: „Einmal den Marathon in New York erleben, dass muss großartig sein.“
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