(wS/red) Netphen 18.05.2025 | Im Stadtrat von Netphen ist ein tiefer Riss sichtbar geworden. Eine Mehrheit aus CDU, SPD, Grünen und FDP fordert die Abberufung des Beigeordneten Andreas Fresen. Die UWG stellt sich entschieden dagegen – und spricht offen von einem politischen Komplott. Was als Frage der Führungskultur dargestellt wird, entpuppt sich mehr und mehr als grundsätzlicher Machtkampf um Einfluss und Kontrolle im Rathaus.
Begründeter Misstrauensantrag – oder parteitaktisches Kalkül?
Die Erklärung der vier Fraktionen, PM vom 16. Mai, klingt entschieden: Man habe das Vertrauen in den Beigeordneten verloren. Genannt werden interne Umstrukturierungen im Hoch- und Tiefbauamt, die angeblich zu zahlreichen Kündigungen geführt hätten. Der Führungsstil von Fresen sei aus Sicht der Unterzeichner nicht mit modernen Anforderungen an Leitungspersonen vereinbar. Man befürchte weiteren personellen Schaden für die Verwaltung – und strebt daher seine Abberufung an. 27 Stadtverordnete unterstützen den Vorstoß.
Die UWG hält dagegen – mit deutlicher Sprache
Nur einen Tag später folgt die Antwort der UWG. Und sie fällt ungewöhnlich deutlich aus. Die Fraktion macht kein Geheimnis daraus, dass sie hinter dem Antrag einen politischen Plan vermutet – keinen Ausdruck tatsächlicher Missstände. In ihrer Stellungnahme stellt sie klar: Die Beigeordnetenstelle sei nach der Kommunalwahl 2020 auf Betreiben der CDU geschaffen worden. Ziel sei gewesen, einen Gegenpol zum parteilosen Bürgermeister zu etablieren – jemanden, der inhaltlich auf CDU-Linie und politisch steuerbar sei.
Fresen, selbst CDU-Mitglied, sei genau dafür vorgesehen gewesen. Doch die Realität habe die Pläne durchkreuzt: Der neue Beigeordnete habe von Anfang an betont, parteiunabhängig arbeiten zu wollen. Statt sich in parteipolitische Erwartungen einzuordnen, habe er loyal mit dem Bürgermeister und kollegial mit allen Fraktionen zusammengearbeitet – auch mit der UWG.
Veränderungen in der Bauverwaltung – umstritten und missverstanden
Dass es Veränderungen im Hoch- und Tiefbauamt gab, bestreitet auch die UWG nicht. Sie weist aber darauf hin, dass nicht alle Personalwechsel auf strukturelle Maßnahmen zurückzuführen seien. Einige Mitarbeitende hätten die Verwaltung aus privaten Gründen verlassen, andere hätten ihre eigenen Spuren – teils problematisch – hinterlassen. Der Versuch Fresens, gewachsene Verwaltungsabläufe zu modernisieren, habe bei manchen auf Widerstand gestoßen. Die UWG spricht von Blockadehaltung, internen Querelen – und Mobbing gegen den Dezernenten.
Vorwürfe der Ausgrenzung und Hinterzimmerpolitik
Besonders schwer wiegt aus Sicht der UWG jedoch das politische Vorgehen rund um den Antrag. Immer wieder, so die Kritik, würden Gespräche und Entscheidungen ohne Beteiligung der UWG getroffen – etwa mit dem Betriebsrat der FON oder in nicht-öffentlichen Runden. Selbst Fresen sei zu einem Treffen außerhalb des Rathauses geladen worden, zu dem er wegen eines Trauerfalls nicht erscheinen konnte. Auch dies habe man ihm anschließend ausgelegt.
Für die UWG ist das ein Zeichen dafür, dass die Entscheidung gegen Fresen längst gefallen war – und nun nur noch begründet werden soll. Der eigentliche Grund: Er passt nicht mehr ins politische Kalkül. Wer sich nicht lenken lasse, werde abgesägt.
Ein Appell an die politische Vernunft
Die UWG geht in ihrer Kritik noch weiter. Sie ruft Mitglieder der beteiligten Fraktionen auf, ihre Führung zu hinterfragen und parteipolitisches Taktieren zu beenden. Es gehe nicht nur um eine Personalie – sondern um die politische Kultur in Netphen. Um Fairness, Respekt und Transparenz.
Ein Stadtrat im Ausnahmezustand
Der Streit um Andreas Fresen ist längst mehr als eine Frage des Vertrauens in eine einzelne Person. Er offenbart tiefe Spannungen zwischen Fraktionen, Misstrauen untereinander – und eine Atmosphäre, in der parteipolitisches Kalkül über Zusammenarbeit zu stehen scheint.
Ob die Abberufung kommt oder nicht: Der politische Umgang in Netphen wird sich an diesem Konflikt messen lassen müssen. Die Fronten sind verhärtet, die Debatte ist persönlich geworden – und der Weg zurück zu einem konstruktiven Miteinander dürfte weit sein.
Geheime Unterlagen werfen neue Fragen auf
Unserer wirSiegen-Redaktion liegen mehrere bislang nicht veröffentlichte Dokumente im Original vor. Sie geben Einblicke in interne Abläufe und enthalten Einschätzungen, die den politischen Vorgang in einem neuen Licht erscheinen lassen – deutlich differenzierter als bislang öffentlich dargestellt.
So wird unter anderem von einem vertraulichen Treffen berichtet, zu dem der Beigeordnete für 11 Uhr eingeladen wurde – am selben Tag, an dem um 13 Uhr die Beerdigung seines Schwiegervaters im Ruhrgebiet stattfand. Dass ein solches Gespräch ausgerechnet an diesem Tag angesetzt wurde, wird in einem der Schreiben als „respektlos“, teils sogar als „kalkuliert“ beschrieben. Es verstärkt den Eindruck, dass der politische Kurs gegen Fresen bereits festgelegt war – und persönliche Umstände dabei keine Rolle spielten.
Persönliche Nähe – politische Wende
Ein weiteres internes Dokument weist darauf hin, dass mindestens ein führender Unterzeichner des Abwahlantrags noch Monate zuvor in freundschaftlicher Runde mit dem Ehepaar Fresen essen gegangen sein soll. Der Verdacht: Durch persönliche Nähe habe man möglicherweise das politische Vertrauen des Beigeordneten gezielt stabilisieren wollen – nur um ihn dann unerwartet zu isolieren.
Abmahnungen, Mediation – und Widersprüche
Besonders brisant: Ein anonym eingereichtes Schreiben aus dem Verwaltungsumfeld wirft Fresen autoritäres Verhalten, vier zweifelhafte Abmahnungen sowie einen persönlichen Konflikt mit dem Leiter des Tiefbauamts vor. Doch ein Abgleich mit internen Vorgängen ergibt ein differenziertes Bild: Die betreffenden Abmahnungen sollen juristisch geprüft, vom Personalrat begleitet und durch dokumentierte Pflichtverletzungen – etwa im Zusammenhang mit einer Hochwasserschutzpflicht – begründet gewesen sein.
Auch die häufig zitierte „Umstrukturierung im Bauhof“ relativiert sich: Sie ist bislang gar nicht vollzogen. Es ging lediglich um eine geplante Neuregelung des Unterstellungsverhältnisses – keine tiefgreifende Umstrukturierung. Und dennoch: Bereits diese Ankündigung soll im Vorfeld auf Widerstand gestoßen sein. In einem der Unterlagen ist von intern angekündigten Krankmeldungen die Rede – als bewusst gesetztes Signal gegen die geplanten Veränderungen.
Zweifel an Strategie und Timing
Schwerer wiegt jedoch der Zeitpunkt: Nur wenige Monate vor der Kommunalwahl soll Fresen abberufen werden. Laut Hauptsatzung müsste die Stelle binnen sechs Monaten neu besetzt werden – bei laufendem Wahlkampf, Sommerpause und üblichen Verfahren ein kaum durchführbares Vorhaben. Intern ist sogar von einer „gezielten Destabilisierung“ die Rede – einem politischen Machtvakuum, das strategisch genutzt werden könnte.
Fazit: Führungsproblem – oder politisch motivierte Demontage?
Was als sachliche Kritik begann, wirft inzwischen mehr Fragen auf als es beantwortet. Die Position der UWG, die als einzige Fraktion gegen die Abberufung stimmt, gewinnt angesichts dieser Hintergründe an Substanz: Ist Andreas Fresen tatsächlich der Falsche – oder nur der Falsche für eine bestimmte politische Agenda?
Klar ist: Der Fall ist komplexer, als es die „offizielle Begründung“ vermuten lässt. Und er zeigt, wie eng in der Kommunalpolitik Sachverantwortung, persönliche Motive und strategisches Kalkül miteinander verflochten sein können. In diesem Spannungsfeld wird nicht nur über eine Person entschieden – sondern über politische Kultur, Glaubwürdigkeit und das Vertrauen in demokratische Abläufe vor Ort.