„Das hat mich als junges Mädchen fasziniert“

wS/dsw    Siegen  –    „Das hätte ich mir im Leben nicht träumen lassen“, sagt Inge Räuchle lächelnd und schaut zu dem schwarzen Ohrensessel auf der gegenüberliegenden Seite des Zimmers. „Unsere Geschichte ist einmalig“, entgegnet der dort sitzende Heinz Kintz mit einem verschmitzten Grinsen. Er war 22, sie 18 Jahre alt als sie sich das letzte Mal gesehen haben.

Erst jetzt, nach mehr als 60 Jahren, treffen sich die beiden im Haus Obere Hengsbach in Siegen wieder. Hier lebt der 84-Jährige seit rund fünf Monaten. Insgesamt 250 Kilometer von Pfinztal bei Karlsruhe ist Inge Räuchle gemeinsam mit ihrer Schwiegertochter Andrea Räuchle gefahren, um ihren „Jugendtraum“ wiederzusehen. Eine Strecke, die sie gerne in Kauf nahm. Nicht nur um Heinz wiederzusehen, sondern auch, weil beschwerliche Wege irgendwie schon immer mit zu den Treffen der beiden gehörten. Was Inge Räuchle damit meint, weiß ihr Gegenüber ganz genau: „Mitten in der Nacht habe ich Inge damals mit dem Fahrrad nach Hause gefahren  – es waren zwar nur fünf Kilometer, aber dazwischen lag ein steiler Hügel.“ Oft sei er erst um drei Uhr morgens zurück nach Hause geradelt, nachdem die beiden heimlich mehrere Stunden auf der weißen Bank im Garten von Inges Elternhaus gesessen hatten. Erinnerungen wie diese sind es, die Heinz und Inge auch nach über sechs Jahrzehnten miteinander verbinden. Kennengelernt haben sie sich 1948: Er war Kapellenleiter und sie liebte seine Musik. Regelmäßig war die heute 80-Jährige bei seinen Auftritten. Und das aus gutem Grund, wie sie erklärt: „Er war Musiker und spielte Klavier; das hat mich als junges Mädchen fasziniert.“ Und trotzdem haben sich die beiden aus den Augen verloren.

Wegen der Arbeit zog Heinz Kintz von Jöhlingen bei Karlsruhe (heute Walzbachtal) nach Siegen. Erst das beherzte Eingreifen des 84-Jährigen brachte die beiden wieder zusammen. Mit den Worten „Weißt du wo Inge steckt?“ wendete sich Heinz Kintz an eine Bekannte. Die besorgte ihm die Telefonnummer und er machte den ersten Schritt. Seit Februar telefonieren Inge und Heinz täglich mindestens eine Stunde miteinander. An den ersten Anruf erinnert sie sich noch genau: „Anfangs hatte ich Hemmungen, aber als ich seine Stimme hörte, war wieder dieses Gefühl der Vertrautheit da.“ Beide sind froh im anderen jemanden zu haben, mit dem sie über alles sprechen können.

„Mit Heinz kann ich über alltägliche Dinge reden, ihm aber auch mein Herz ausschütten“, sagt Inge Räuchle   – „und ich höre gerne zu“, betont Heinz Kintz.  Aber auch die Musik verbindet die beiden immer noch. Oft spielt Inge auf dem Klavier das Lied „Rot sind die Rosen“ von Semino Rossi. Heinz verfolgt die Musik dann über das Telefon. Den Besuch seiner Inge nutzt der passionierte Musiker und spielt ihr ein Ständchen auf dem Klavier – fast so wie in früheren Zeiten.

Bildunterschrift: Er war 22, sie 18 Jahre alt als sie sich das letzte Mal gesehen haben. Erst jetzt, nach über 60 Jahren, treffen sich Heinz Kintz und Inge Räuchle im Haus Obere Hengsbach in Siegen wieder.

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