Altersarmut bei "Siegener Tafel" deutlich

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Dienstags und donnerstags stehen die Gäste bei der Tafel an, um sich für die nächsten Tage mit Lebensmittel einzudecken.

wS/rile  – Siegen – Frühe Morgenstunde: 9 Männer sind in Hektik. Bis 13.30 Uhr muss alles gerichtet sein, denn zu diesem Zeitpunkt stehen die ersten Gäste an den sechs Fenstern und werden mit Lebensmitteln versorgt. Die neun Männer verteilen sich auf drei Kühlsprinter und „schwirren aus“, um die Lebensmittel im Umkreis von 50 Kilometern bei den Spendern – das sind 98 Geschäfte und Großmärkte –  Lebensmittel- und Sachspenden abzuholen. Auch eine große Spende in Form von Brot, Brötchen und Kuchen,  kommt regelmäßig von der Bäcker-Fachschule in Olpe. Es beginnt eine ungeheure Logistik  unter der HTS in Weidenau. Denn dort hat die „Siegener Tafel“, die 1998 als gemeinnütziger Verein gegründet wurde, seit 2012  ihr Domizil.

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Insgesamt 114 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer  verrichten umschichtig zweimal die Woche, dienstags und donnerstags, ihren ehrenamtlichen Dienst. Die Männer kommen morgens und schleppen schwere Kisten, die Frauen kommen vormittags und nachmittags, sortieren und sichten die gespendeten Waren aus den Kisten, die sich in vielen Reihen bis unter die Decke stapeln. Da kommen Joghurtbecher zu Joghurtbechern in eine oder auch mehrere Kisten, da werden Tomaten, Kohlrabi, Porree, Möhren und was so alles an Lebensmittelspenden vorhanden ist, säuberlich voneinander getrennt und sorgsam in einzelne Kisten gelegt.

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Martin Tigges (Foto)  hat alles im Griff. Er sorgt seit 8 Jahren dafür, dass die Logistik stimmt, denn durchschnittlich  60 Tonnen Lebensmittel kommen jeden Monat zur Verteilung. Das bedeutet „Stress pur“ für die Crew.

„Wir haben unter den Helfern Studenten, Leute die selbst noch im Job sind, Hausfrauen und Rentner“, erklärt Pressesprecherin Sybille Klein. „Einige sind bereits über 70 Jahre alt. Die älteste Helferin zählt 78 Jahre.  Einige der Helferinnen sind schon von Anfang an bei der Siegener Tafel, die in diesem Jahr 15 Jahre alt geworden ist. Wie zum Beispiel: Foto unten: Reihe unten v.l.) Hanne Kircher, Brunhilde Kapteina, Walli Stoffel, (Foto unten: obere Reihe (v.l.) Sybille Klein, Christa Hadem, Christa Rinsdorf sowie Vorsitzende Anne Schäfer.

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Trotz der anstrengenden Arbeit sind alle Helfer „gut drauf“. Die Stimmung in den kleinen wohlverdienten Pausen ( Foto unten) zwischen den einzelnen „Gästeschüben“ ist locker. Die Damen scherzen und lachen gerne, genießen die Tasse Kaffee oder Tee zwischendurch. Man fühlt sich geborgen in der Runde. Die Atmosphäre unter den Damen ist  freundschaftlich herzlich. Die kleinen Pausen zwischen den Zeitzonen lässt sie ein wenig verschnaufen und an erfreuliche Dinge denken. Die Pausen  sind  Ablenkung von der Problematik, mit der die Helferinnen ständig konfrontiert werden: der Armut und den Einzelschicksalen der Gäste.

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Christa Rinsdorf zum Beispiel (Foto oben) kennt fast alle „Gäste“, die zur Tafel kommen und redet sie mit dem Vornamen an. Sie schenkt ihnen ein Lächeln. „Ein Lächeln oder ein kleiner Scherz baut die Menschen auf“, sagt sie. Und sie muss es wissen, denn die 74-Jährige kennt auch fast alle Schicksale ihrer Gäste. Sie weiß genau, wo es fehlt. Bei dem ausländischen Mann zum Beispiel: „Brauchen Sie wieder Pampers?“, erkundigt sie sich durch das Fenster. Der Mann nickt zustimmend. Dann steht die ältere Dame vor dem Fenster. Sie wagt nicht, den Blick zu erheben, als sie die 2 Euro (die übrigens jeder Gast für sich und jeweils 1 Euro pro Kind bezahlen muss) hinlegt. Christa Rinsdorf kennt auch sie und weiß, warum die Rentnerin hier ist. Die Rente, für die sie ein Leben lang gearbeitet hat, reicht nicht mehr zum Leben. Mit einem aufmunternden Wort versucht Christa Rinsdorf der Frau die Scham zu nehmen. Auch für alle anderen hat die Helferin, die von Anfang an dabei war, immer  ein gutes Wort parat.

Altersarmut greift immer mehr um sich

Wie Martin Tigges die Logistik, so hat  die Vereinsvorsitzende Anne Schäfer die gesamte Organisation im Griff.

„Die Menschen, die zur Tafel kommen müssen einen Nachweis erbringen, dass sie bedürftig sind und von der Grundsicherung leben müssen. Dabei liegt die Grenze bei etwa 800 Euro. Zumeist sind es Arbeitslose, Hartz IV-Empfänger, Alleinerziehende und Rentner, die kommen“, erklärt Sybille Klein. „Doch nicht zu vergessen: 40-50 Prozent der Betroffenen sind Kinder und Jugendliche! Und die Anzahl der Rentner, die regelmäßig kommen, wird zunehmend größer“, fügt sie hinzu. „Die Altersarmut greift mehr und mehr um sich, das merken wir hier seit einiger Zeit recht deutlich. Man sieht es hauptsächlich den Rentner an, dass sie sich schämen und dass sie nie zuvor auch nur annähernd daran gedacht haben, einmal in eine solche Situation zu geraten, denn sie haben ihr Leben lang gearbeitet. Es ist wirklich traurig.“

Straffe Organisationsmethode ist notwendig

Bei der „Siegener Tafel“ erhalten dann die Gäste einen Ausweis, auf dem auch die Uhrzeit und der Tag angegeben sind, wann sie kommen können. „Das muss sein“, erklärt Sybille Klein, „sonst reichte die Schlange möglicherweise bis in die Siegener Innenstadt. Also müssen wir so vorgehen, sonst wäre das Chaos perfekt.“ Wir haben die straffe Organisationsmethode ausgeklügelt, damit die Menschen, die zu den angegebenen Zeiten kommen, nicht zu lange warten müssen. Auch wenn es trotzdem manchmal noch hektisch wird: Wir haben für jeden der Gäste ein aufmunterndes Wort  und die meisten nehmen es auch sehr dankbar an.

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Früh am Morgen sieht es noch so aus: Eine leere Lagerhalle. Doch wenn die Männer mit den Lebensmitteln zurückkommen, stapeln sich die grünen Kisten in der gesamten Halle bis unter die Decke.

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Die Frauen bauen dann schließlich die Regale auf und plazieren dort die nach Art der Lebensmittel sortierten Kisten, damit es bei der Ausgabe später übersichtlich ist und schneller geht.

„Die „Siegener Tafel“ entspricht inzwischen“, so Sybille Klein, „einem mittelständischen Unternehmen. Nicht nur, dass wir hier unsere Leute mit Lebensmittel versorgen. 17 Außenstellen holen einmal wöchentlich hier bei uns ihre Waren ab. Früher kamen alle Gäste hierher. Doch das war irgendwann nicht mehr zu schultern, denn die Anzahl der Gäste wuchs zusehends. Sie kamen von Freudenberg, Kreuztal und aus anderen Ortschaften des Siegerlandes zu uns. Das konnten wir hier nicht mehr bewältigen. Deshalb haben nun auch Freudenberg und Hilchenbach einen „Tisch“, so heißt es dort, denn nur wir hier in Siegen dürfen wir uns „Tafel“ nennen. Zusätzlich gibt es den „Tisch“ auf dem Brennpunkt „Heidenberg“, denn dort leben die meisten Alleinerziehenden. Lebensmittel die hier bei uns übrig bleiben, kommen nach Betzdorf und Neunkirchen und werden dort verteilt“, erzählt die Pressesprecherin.

Auch die Siegener Tafel ist auf Spenden angewiesen

Die Anzahl der Tafel-Gäste steigt rapide an. Die wenigen Euro, die die Gäste zahlen müssen, um für etwa 4-5 Tage in der Woche mit Lebensmitteln versorgt zu sein, sowie Mitgliedsbeiträge reichen bei weitem nicht aus, um die Kosten zu decken. Deshalb ist auch die Tafel als gemeinnütziger Verein auf zusätzliche Spenden angewiesen, damit sie auch den Ärmsten der Armen weiterhin helfen können.

„Unser Motto ist: ´Lebensmittel verteilen statt vernichten´“, sagt Sybille Klein. „Deshalb nehmen wir beides immer gerne an: Sach-und Geldspenden!“

Wer spenden möchte: Spendenkonto der Siegener Tafel e.V.: Sparkasse Siegen, Konto Nr. 30070163, Blz.: 46050001.

Fotos/Bericht: Rita Lehmann

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