(wS/dia) Siegen 12.06.2023 | Simone Dickel hat sie erlebt – diese innere Leere, „wenn alles nur noch schwer ist, alles schwarz ist“. Die 46-Jährige steht inzwischen wieder mitten im Leben, doch es gab Phasen, in denen ihr Leben für sie nicht mehr lebenswert war, Zeiten, in denen sie keinerlei Antrieb, Freude oder Zuversicht mehr verspürte.
„Heute bin ich sehr glücklich, es geht mir gut“, sagt die Bad Berleburgerin. Ihre wiedererlangte Energie möchte sie nutzen, um im Wittgensteiner Land einen Gesprächskreis für Menschen zu gründen, die von Depressionen betroffen sind. Unterstützung erfährt sie dabei von der Selbsthilfekontaktstelle der Diakonie in Südwestfalen.
Was bei ihr selbst die Krankheit auslöste, lässt sich rückblickend nur schwer sagen. Fest steht: Simone Dickel hat in ihrem Leben mehrere Schicksalsschläge erfahren. Angefangen beim plötzlichen Tod ihres Vaters, der schon früh mit Mitte 40 verstirbt. Simone Dickel ist da erst 15 Jahre alt, ein Mädchen mitten in der Pubertät. Ihre Familie und Freunde hätten sie aufgefangen, sagt sie, eine professionelle Bewältigung dieses Traumas sei jedoch ausgeblieben.
Trotzdem schließt sie die Mittlere Reife mit gutem Zeugnis ab und absolviert eine Ausbildung zur Krankenschwester. Die Arbeit im heimischen Akutkrankenhaus ist zweifellos fordernd, aber Simone Dickel scheint ihren Traumberuf gefunden zu haben – bis zu jenem einschneidenden Tag im Jahr 2000: Nach einem Spätdienst erleidet die junge Frau in der Umkleidekabine plötzlich ein Kammerflimmern, das symptomatisch einem Herz-Kreislauf-Stillstand entspricht. Sie wird noch vor Ort von ihren Kollegen reanimiert und realisiert erst Tage später, was geschehen ist. Allerdings ist danach nichts mehr, wie es vorher war: „Ich musste dieses Ereignis erstmal verarbeiten und dann wurde mir gesagt, dass ich nicht mehr in dem Beruf arbeiten kann, in dem ich gerade durchstarten wollte, dass ich keine Kinder kriegen und auch kein Auto mehr fahren sollte. Und das mit 23.“
Die folgenden Jahre im Leben von Simone Dickel sind geprägt durch Höhen und Tiefen. Sie heiratet, bringt 2004 trotz Risikoschwangerschaft einen gesunden Sohn zur Welt. Doch das familiäre Glück überlagert nur vordergründig das Gefühl der Überforderung, das die junge Frau zusehends beschleicht. „Rückblickend gesehen habe ich zu diesem Zeitpunkt in allen Bereichen nur noch funktioniert und gar nicht wahrgenommen, dass mir all meine Gefühle verloren gehen. Das war ein schleichender Prozess, der sich auf einmal extrem zugespitzt hat“, berichtet Simone Dickel. Über Wochen, ja Monate habe sie extrem viel Energie aufwenden müssen, um „immer mit einem Lächeln im Gesicht“ den äußerlichen Schein zu wahren. „Doch in meinem Inneren sah es da längst völlig anders aus. “
Schließlich kommt der Tag, an dem gar nichts mehr geht. „Freitags habe ich noch normal gearbeitet, am Montag darauf habe ich die Reißleine gezogen.“ Außerstande zur Arbeit zu gehen, lässt sich Simone Dickel von ihrem Mann in eine psychiatrische Fachklinik fahren. Zehn Wochen verbringt sie auf der Station. Die erste Zeit habe sie „wie eine leere Hülle“ dort gelegen: „Da war nichts mehr, was ich noch gespürt habe: keine Freude, keine Wut, keine Traurigkeit. Einfach nichts.“ Rückblickend sei dieser Tiefpunkt zugleich aber auch ein wichtiger Wendepunkt gewesen. „Ein Klinikaufenthalt ist nie schön, doch das war der erste wichtige Schritt – mir Hilfe zu holen.“
Die zurückliegenden neun Jahre hat Simone Dickel in Dortmund gelebt und dort bereits eine Selbsthilfegruppe für Betroffene mit Depressionen gegründet. Sie habe durch Therapie, Eingliederungsmaßnahmen für psychisch Erkrankte und auch den Austausch mit anderen Betroffenen der Selbsthilfegruppe vieles gelernt und sich persönlich sehr weiterentwickelt, sagt sie.
Mittlerweile erkenne sie Vorzeichen frühzeitig, um dann früh genug zu reagieren. „Wenn ich zum Beispiel vermehrt Schulter- und Nackenprobleme bekomme, weiß ich ganz genau, dass ich kürzertreten muss und meine Ruhe brauche.“ Sowas ist natürlich individuell ganz unterschiedlich, aber viele Betroffene schildern ein verändertes Schmerzempfinden, Schlafstörungen, verminderten Appetit oder auch ein übermäßiges Bedürfnis zu essen.
Nach ihrer Rückkehr aus Dortmund lebt Simone Dickel heute in ihrer alten Heimat Bad Berleburg.
Beruflich geht sie zum einen in ihrer Selbstständigkeit im Empfehlungsmarketing auf, zum anderen ist sie Teil des Teams einer Rehaklinik und zieht viel Motivation daraus, die Patienten bei deren gesundheitlichen Fortschritten zu begleiten. „All die Erfahrungen, die ich gemacht habe, sind Teil meiner Geschichte, meines Lebens“, betont Simone Dickel abschließend, „heute kann ich sagen, dass sie mich gestärkt haben.“ Ganz offen über Depressionen zu sprechen, hält sie für enorm wichtig – nur so lasse sich soziale Isolation vermeiden. Mit der Gründung einer wohnortnahen Selbsthilfegruppe möchte sie ein Forum schaffen, in dem sich Betroffene ohne fachliche Begleitung über Erfahrungen, Therapien und Hilfen austauschen können. Und nicht zuletzt möchte sie den Menschen in Gesprächen Mut machen, „dass es im Leben auch wieder bergauf gehen kann“.
Interessierte können sich an die Selbsthilfekontaktstelle der Diakonie in Südwestfalen wenden: unter Telefon 0271 / 500 31 31 sowie per E-Mail an selbsthilfe@diakonie-sw.de
Simone Dickel möchte im Wittgensteiner Land eine Selbsthilfegruppe gründen für Menschen, die an Depressionen erkrankt sind. Foto: Diakonie in Südwestfalen