Vortrag zum Thema Umgang mit Depressionen in der Arbeitswelt

wS/ksw   Siegen – Wittgenstein     –  „Hinsehen statt Wegschauen“, so lautete Landrat Paul Breuers eindringlicher Appell an die Mitarbeiter des Kreises Siegen-Wittgenstein und der Kommunen im Kreis Siegen-Wittgenstein, die jetzt zu einem Vortrag zum Thema „Arbeit und psychische Gesundheit – Umgang mit Depressionen in der Arbeitswelt“ im Medien- und Kulturhaus Lyz gekommen waren. Zu der Informations- und Vortragsveranstaltung hatten der Runde Tisch Siegen in Kooperation mit dem Kreis Siegen-Wittgenstein und dem Bündnis gegen Depression in Olpe-Siegen-Wittgenstein eingeladen.

Depressionen sind längst eine Volkskrankheit. Rund 50% aller berufsbedingten Erkrankungen sind auf psychische Belastungen zurückzuführen. Allein in Siegen-Wittgenstein seien knapp 30% der Bevölkerung davon betroffen, sagte Dr. Heiko Ullrich, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kreisklinikums Siegen. Dies, so Ullrich weiter, sei aber „erst die Spitze des Eisbergs“. Erster Ansprechpartner sei immer der Hausarzt, der dann an Fachkollegen oder Kliniken weitervermitteln könne.

Depressionen sind zwar kein Tabuthema mehr – Landrat Paul Breuer verwies auf die breite Diskussion noch dem Freitod des Nationaltorhüters Robert Enke – dennoch fällt es Betroffenen nach wie vor schwer, sich mit ihrer Erkrankung in ihrem Umfeld zu outen. Breuer bat die Anwesenden, einen offeneren Umgang mit dem Thema zu pflegen, Hilfe anzubieten und eben nicht „die Augen zu verschließen“. Die baldige Genesung der Betroffenen sei schon aus rein menschlicher Sicht zu wünschen. Gleichzeitig habe der Arbeitgeber aber auch aus wirtschaftlichen Gründen ein Interesse daran, denn durch Krankschreibungen und Arbeitsausfall entstehe ein hoher wirtschaftlicher Schaden.

Berufstätige verbringen acht Stunden oder mehr am Tag in ihrem Job. Es ist daher nur natürlich, dass Ursachen und Auslöser depressiver Erkrankungen häufig dort zu suchen sind. Kollegen und Vorgesetzte sind dann gefordert, das wurde auf der Tagung deutlich. Wie kann eine Erkrankung frühzeitig erkannt werden, wie kann man helfen? Dies waren nur einige der Fragen, denen die Referenten nachgingen.

„Jetzt reiß’ dich doch mal zusammen!“ – das müssen sich Erkrankte oft anhören, berichtete Dr. Ullrich. Depressionen seien keine Frage von Schuld. Häufig haben Erkrankte eine genetische Veranlagung zu psychischen Erkrankungen. Die Patienten verändern sich dabei nicht nur in ihrem Verhalten, es können auch körperliche, so genannte psychosomatische Symptome auftreten.
Wie man mit betroffenen Kollegen am Arbeitsplatz umgehen kann, aber auch was Unternehmen aktiv zur Vorbeugung beitragen können, erläuterte Diplom-Psychologin Heike Walgenbach von der Unfallkasse Münster. „Leben bedeutet Belastung“, führte sie aus. Die Frage sei, was Einzelne, aber auch Unternehmen diesem Stress entgegensetzen können. Die Mitarbeiter durch Seminare zu fördern, Sportprogramme anzubieten und sie weder zu unter- noch zu überfordern, dies seien Maßnahmen, die die psychische Gesundheit in der Arbeitswelt unterstützen können. Das Arbeitsklima, so Walgenbach, lasse sich durch mehr Kommunikation, Transparenz, regelmäßige Mitarbeitergespräche und eine umsichtige Personalstruktur verbessern. Hier seien besonders die Vorgesetzten gefragt.

Als „Rentner im Unruhezustand“ bezeichnet sich Hannes Schuck, ehemaliger Mitarbeiter der Deutschen Post. Als selbst von Depressionen Betroffener schilderte er den Verlauf seiner Krankheit. In seinem Job unterfordert, in sinnlosen Projekten „geparkt“ und dem Konkurrenzkampf innerhalb des eigenen Teams ausgeliefert, zog sich Schuck immer mehr in seine eigene Welt zurück. Auch seine Familie fand schließlich keinen Zugang mehr zu ihm. Erst nach seinem zweiten Selbstmordversuch konnte ihm im Rahmen einer stationären Therapie geholfen werden. Heute hat er das Vertrauen in sich selbst wiedergewonnen und engagiert sich in vielfältiger Weise ehrenamtlich. Aus seiner Krankheit gelernt hat Schuck, auch einmal „Nein!“ zu sagen.

Wichtig ist nicht nur für Betroffene und Angehörige, dass sie verstehen, was da mit ihnen passiert und sie lernen, über die Krankheit zu sprechen. Hilfe anzubieten und Hilfe anzunehmen, das sei zwar schwierig, aber enorm wichtig. Aufklärung spielt da eine zentrale Rolle. Zahlreiche Akteure, wie beispielsweise regionale Beratungsstellen und Selbsthilfeorganisationen, bieten qualifizierte Hilfe und Unterstützung für Betroffene und Angehörige an. Verschiedene Ansprechpersonen waren auch bei der Veranstaltung vertreten und haben über ihre Angebote informiert. „Der Krankheit ein Gesicht geben!“, das fordert als Fazit auch Dr. Heiko Ullrich.

Bildunterschrift: Der ehemalige Postmitarbeiter Hannes Schuck hat von den Erfahrungen mit seiner Depressions-Erkrankung berichtet.

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