Fachkräftemangel nur ein Mythos?

Scoutopia-Diskussion: Was Unternehmen bei der Suche nach neuen Mitarbeitern falsch machen und was das für Siegen-Wittgenstein bedeuten kann.

(wS/uni) Siegen 16.12.2015 | Jeder will sie, aber nur wenige kriegen sie. Fachkräfte sind in Deutschland heiß begehrt. Doch gibt es wirklich zu wenige von ihnen? Wie können Unternehmen Fachkräfte für sich gewinnen? Und was hat das für Auswirkung auf unsere Region? Um Fragen wie diese drehte sich die Diskussionsrunde mit dem Thema „Mythos Fachkräftemangel?“ im Scoutopia, der Denk- und Ideenschmiede der Universität Siegen, der Gründerinitiative Startpunkt57 und dem ForschungsKollegSiegen (FokoS).

Sparkassen-Vorstand Harald Peter (M.) in der Diskussion mit Martin Gaedt (l.) und Moderator Prof. Dr. Christoph Strünck. (Fotos: Uni)

Sparkassen-Vorstand Harald Peter (M.) in der Diskussion mit Martin Gaedt (l.) und Moderator Prof. Dr. Christoph Strünck. (Fotos: Uni)

Für Martin Gaedt ist der Fachkräftemangel tatsächlich ein Mythos. Gaedt vermittelt mit seiner Firma cleverheads selbst Fachkräfte, sein Buch trägt den Untertitel: „Was auf Deutschlands Arbeitsmarkt gewaltig schiefläuft“. Was genau, sagte Gaedt in seinem Vortrag ziemlich deutlich: „Viele Unternehmen senden Bewerbern die Botschaft: ‚Hau bloß ab‘! Doch Mitarbeiter möchten Achtung, Aufmerksamkeit und Wertschätzung. Unternehmen müssen sich deshalb so positionieren, dass sie auf die begehrten Fachkräfte anziehend wie Magnete wirken.“

Gaedts Empfehlungen: Weg mit textlastigen Stellenanzeigen („Ein Mittel des letzten Jahrtausends“), weg mit Bewerbungsmanagement-Systemen, weg mit fest verankerten Verhaltensregeln („Welches Gesetz sagt, das Azubis immer jung sein müssen?“), hin zu einer besseren Unternehmenskultur. „Die Lieblingsmusik der Mitarbeiter zu kennen und gemeinsam auf Konzerte zu gehen, erhöht die Zufriedenheit der eigenen Mitarbeiter. Immer weniger neue Mitarbeiter kommen über Stellenanzeigen, immer mehr über Empfehlungen“, sagt Gaedt. Sein Fazit: „Wirklich gute Mitarbeiter waren schon immer rar“. Er fordert Unternehmen auf, ihre Welt für potenzielle Interessenten zu öffnen, beispielsweise über eine Präsenz auf neuen Plattformen wie Instagram, Twitter oder Snapchat: „Informieren Sie die Leute über die Berufe in ihren Unternehmen, machen sie es wie die Fußball-Scouts: Die gehen dort hin, wo die Talente sind – auf den Platz.“ Sein Vorwurf: Wer unter Fachkräftemangel leidet, ist selber schuld!

Martin Gaedt ist Autor des Buchs „Mythos Fachkräftemangel: Was auf Deutschlands Arbeitsmarkt gewaltig schiefläuft“

Martin Gaedt ist Autor des Buchs „Mythos Fachkräftemangel: Was auf Deutschlands Arbeitsmarkt gewaltig schiefläuft“

Klare Worte, die den Treibstoff für die folgende Diskussion mit Klaus Gräbener (Hauptgeschäftsführer IHK Siegen), Harald Peter (Vorstand Sparkasse Siegen), Frank Luschei und Moderator Prof. Dr. Christoph Strünck (beide Uni Siegen) lieferten. In Richtung von Gaedt sagte Klaus Gräbener: „Ihre Grundthese, dass Firmen zukünftig deutlich mehr in die Personalentwicklung investieren müssen, teile ich. Der Wettbewerb um die Köpfe wird heftiger. Die flinken und kreativen Unternehmen werden dabei die Nase vorn haben. Aber Ihre Interpretation, dass es allein an den Unternehmen liegt, ist mir zu platt. Dafür ist das Problem zu komplex. Und die einfachen Antworten sind vielfach die falschen.“ Frank Luschei stellte dar, wie die Universität durch die aktuelle Studie „Attraktivität von Städten und Regionen“ herausfinden will, wie man demografische Bewegungen (Zu- und Fortzüge) besser verstehen und Weiterentwicklungsmöglichkeiten für die Region entwerfen kann. „Die einfache These, dass Menschen in die großen Städte mit den vielen Arbeitsplätzen ziehen, kann so einfach eben nicht bestätigt werden.“

IHK-Hauptgeschäftsführer Klaus Gräbener (M.) bezog klar Position. Links Moderator Prof. Dr. Christoph Strünck (l.), rechts Frank Luschei

IHK-Hauptgeschäftsführer Klaus Gräbener (M.) bezog klar Position. Links Moderator Prof. Dr. Christoph Strünck (l.), rechts Frank Luschei

Für Gräbener ist es wichtig, dass Unternehmen sehr viel stärker auf Schulen und die heimische Universität zugehen, um die jungen Menschen für einen Verbleib in der Region zu gewinnen: „Wir haben durch die Universität Siegen unendlich viele kritische Geister bekommen. Das ist gut. Diese Region entwickelte zudem in den letzten 20 Jahren ein beeindruckendes kulturelles Angebot. Auch das stellt einen Standortfaktor erster Kategorie dar, den wir noch besser vermarkten müssen. Für uns ist wichtig, diese Region attraktiver zu machen.“ Diesen Ansatz verfolgt auch Harald Peter, gerade im Hinblick auf die kommenden Herausforderungen: „Wir erleben eine Zeit großer Umbrüche: Digitalisierung, Industrie 4.0, die Veränderung in der Antriebstechnik von Fahrzeugen. Die Region muss auf diesen Wandel reagieren, daran arbeiten wir, gerade auch vor dem Hintergrund der sich deutlich abzeichnenden demografischen Herausforderungen.“

Dafür werden infrastrukturelle Maßnahmen nötig wie beispielsweise ein Ausbau der Breitband-Internetverbindung, aber auch ein aktives Personal-Management in den Unternehmen. Gräbener: „In vielen Unternehmen ist in den Köpfen noch verankert, dass eine Ausbildungsstelle eine Art soziales Gut ist. Es gab über Jahre viele Bewerber für wenige Stellen. Das hat sich vollständig gedreht. Viele Unternehmen haben darauf reagiert, einige noch nicht. Das müssen sie, denn Personalentwicklung wird das Mega-Thema der nächsten Jahre.“

Hintergrund:
Scoutopia lädt regelmäßig Menschen ein, die in Siegen neue Impulse setzen: Menschen, die über eine andere Art zu denken und zu handeln referieren, aus ihrer eigenen Forschung und aus ihren Erfahrungen, Region und Umwelt zu gestalten. Scoutopia ist ein gemeinschaftliches Projekt der Universität Siegen, der Gründerinitiative Startpunkt57 und dem ForschungsKollegSiegen (FokoS).

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Douglas

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