„Menschen lassen sich nicht vermessen“

(wS/uni) Siegen | Prof. Dr. Hans Brügelmann rät in der Denk- und Ideenschmiede Scoutopia zum Erfahrungsaustausch zwischen Lehrern statt Handlungen nach Statistiken, um unsere Schulen besser zu machen.

Archivbild: Uni Siegen

Archivbild: Uni Siegen

Was ist denn nun das Beste für unsere Schülerinnen und Schüler? Tests, um mathematisch genau ihre Leistung zu messen? Oder der Erfahrungsaustausch zwischen Lehrerinnen und Lehrern und der individuelle Blick auf jedes Kind? Für Dr. Hans Brügelmann gibt es kein „entweder oder“, der emeritierte Professor für Erziehungswissenschaft sagt: „Ich bin ein Fan des ‚sowohl als auch’. Es geht mir nicht darum, zu sagen: ‚Werft alle Tests weg!’ Was ich will, ist: ‚Unterwerft euch nicht den Tests’. Ich muss jedes einzelne Kind anschauen und nicht die Gruppe trainieren, weil eine Statistik etwas aussagt.“

Brügelmann, bis 2012 Professor an der Universität Siegen, besuchte die Denk- und Ideenschmiede „Scoutopia“ und referierte zum Thema: „Vermessene Pädagogik. Zwei Kernprobleme und zwei Exkurse“. Im Publikum hörten viele Studierende aufmerksam zu und diskutierten mit Brügelmann über die Kontroverse zwischen einem Erfahrungsaustausch in sogenannten „communities of practice“ und den statistisch belegten Ergebnissen der empirischen Bildungsforschung.

Wie werden Schulen also besser? Im Rahmen der Bildungsforschung können Forschungsergebnisse von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Handlungsanweisungen für Politik, Verwaltung und Lehrerinnen und Lehrer umgesetzt werden. Was sich in Tests bewährt hat, wird verwirklicht – auf der Basis einer nachgewiesenen Statistik. Das ermöglicht Handeln nach System und gilt zugleich als objektiv. „Diese Sicht hat sich nicht bewährt“, sagt Brügelmann.

Für ihn ist das Verhalten eines Kindes immer abhängig von der Kultur der Klasse, von der Lernsituation, den individuellen Lebensumständen. Brügelmann betont die subjektive Bedeutung: „Menschen und ihr Lernen lassen sich nicht vermessen wie Maschinen und technische Prozesse – und noch vermessener wäre es, zu glauben, sie ließen sich vergleichbar steuern und planen.“

Für Brügelmann gilt in der Pädagogik nicht, was für Autoreifen oder Kühlschränke möglich ist: „Eine ‚Stiftung Warentest’ für Schulen führt in die Irre. Erfolge und Misserfolge von pädagogischen Maßnahmen streuen weit. Die Besonderheit des Einzelnen geht verloren, wenn ich abstrakte Mittelwerte bilde.

Alle führen Computer ein, aber ob Computerunterstützung immer gut ist, ist nicht zu beantworten. Hier muss differenziert werden, nach der Aufgabenform, der Art des Inhalts oder ob jemand allein oder gemeinsam mit jemand anderem gearbeitet hat.“ Für Brügelmann schaffen Studien vermeintliche Bilder der Wirklichkeit, durch die Verdichtung auf Kennwerte gehen abweichende Aspekte verloren.

Seine Empfehlung: „Lehrerinnen und Lehrer wachsen durch den Erfahrungsaustausch, durch die Diskussion über Fälle aus der Praxis, durch Feedback-Schleifen. Es ist die Kompetenz ihrer Person gefragt, nicht das simple Anwenden von Regeln. Es gibt keine allgemeinen Handlungsanweisungen für Einzelfälle. Die standardisierte Forschung unterschätzt die Praxiserfahrung.“

Brügelmann mahnt deshalb: „Weder ist Bildungsforschung zu Vorschriften berechtigt, noch ist sie in der Lage, konkrete Handlungsentscheidungen aus Daten abzuleiten. Ihre Aufgaben sind Anregung, Herausforderung, Zweifel und kritische Befragung. Sie kann Chancen und Risiken benennen, aber keine Allgemeingültigkeit ihrer Urteile beanspruchen. Schulen brauchen deshalb Unterstützung statt Testeritits.“

Ein Modell könnten für Brügelmann Schulbesuche sein, bei denen Schulen Kolleginnen und Kollegen, Schülerinnen und Schüler und Eltern einladen, ihre Schule vorstellen und über die Schulentwicklung informieren. Die Gäste geben Rückmeldung, das Kollegium der Gastgeberschule analysiert diese und zieht Konsequenzen für die Weiterarbeit. Brügelmann: „Praktische Erfahrungen können systematisch gesammelt, kritisch gesichtet werden und zwischen Lehrerinnen und Lehrern und Externen ausgetauscht werden.

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