Die renommierte Soziologin Prof. Dr. h.c. Jutta Allmendinger Ph.D. ist mit dem Helge-Pross-Preis der Universität Siegen ausgezeichnet worden. Der mit 5.000 Euro dotierte Preis ehrt WissenschaftlerInnen für herausragende Leistungen auf dem Gebiet der Familien- und Geschlechterforschung.
(wS/red) Siegen 16.12.2017 | Knapp zwei Stunden dauerte die Verleihung des Helge-Pross-Preises im Senatssaal der Universität Siegen, vier Redebeiträge standen auf dem Programm. Langeweile kam trotzdem in keiner Sekunde auf. Das lag an der begeisternden Rede der Preisträgerin Prof. Dr. Jutta Allmendinger selbst, aber auch an der unterhaltsamen Laudatio des Sprechers des Seminars für Sozialwissenschaften der Uni Siegen, Prof. Dr. Wolfgang Ludwig-Mayerhofer. Außerdem war die CDU-Politikerin und frühere Bundestagspräsidentin Prof. Dr. Rita Süssmuth aus Berlin angereist, um im Rahmen der Preisverleihung an Helge Pross zu erinnern. Die Soziologin und langjährige Uni-Siegen Professorin Helge Pross wäre in diesem Jahr 90 Jahre alt geworden – für die Universität Siegen Anlass zur erneuten Verleihung des Helge-Pross-Preises, der zuletzt vor zehn Jahren vergeben worden war.
„Table dance und die Buchmesse: Warum Helge Pross fehlt“ lautete der Titel von Allmendingers Festvortrag. Sie eröffnete ihn höchst anschaulich mit der Schilderung einer anderen Preisverleihung, an der sie in diesem Jahr bereits teilgenommen hatte: Handelsblatt-Herausgeber Gabor Steingart hatte im Rahmen der Frankfurter Buchmesse den israelischen Autor Noah Harari mit dem Wirtschaftsbuchpreis geehrt. Anlässlich der Preisübergabe lief auf großer Leinwand ein in Israel aufgezeichnetes Interview mit Harari, an dessen Ende Steingart es sich nicht nehmen ließ, dem intellektuellen Publikum einen „kleinen Einblick“ in die andere Seite Tel Avivs zu präsentieren – in Form von äußerst knapp bekleideten jungen Frauen, die in einer Diskothek beim Table Dance gezeigt wurden. Allmendingers Fazit zu der Episode: „Dass eine solche Entgleisung im Jahr 2017 noch möglich ist, zeigt, dass wir noch viel zu tun haben.“
Nicht nur die öffentliche Darstellung von Frauen sei nach wie vor problematisch, führte Allmendinger in ihrem Vortrag weiter aus, sondern auch ihre Repräsentanz in höheren Positionen in Wirtschaft und Wissenschaft. Selbst bei Frauen, die es in die Vorstandsetagen oder auf eine Professur schaffen, setze anschließend häufig ein Prozess des „cooling out“ ein, beobachtet die amtierende Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. Sie nennt es auch den „Drehtür-Effekt“: „Die Frauen werden schnell wieder rausgedreht, sie kommen nicht so weit nach oben, wie sie eigentlich könnten.“ Ein weiterer Grund für fehlende Gleichberechtigung sieht Allmendinger in den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen – sei es auf dem Arbeitsmarkt, oder beim Steuer- und Sozialsystem. „Wir setzen falsche Anreize. Der Heiratsmarkt ist für Frauen in Deutschland immer noch lukrativer, als der Arbeitsmarkt.“
Jutta Allmendinger ist mit ihren Forschungsergebnissen in den Medien präsent und stößt mit der erfrischenden Art ihrer Präsentation auf breite Aufmerksamkeit. Das war auch das Anliegen von Helge Pross, die nicht nur im Elfenbeinturm forschte, sondern ihre Forschungsergebnisse, deren Interpretation und ihre Ansichten nicht nur an die Frau, sondern auch an den Mann und vor allem in die Gesellschaft brachte. Sozialwissenschaftliche Forschung zu „popularisieren“ und so einem breiten Publikum bekannt zu machen, sei auch ein Ziel des Helge-Pross-Preises, betonte Prof. Dr. Gabriele Weiß, Prorektorin für Bildungswege und Diversity an der Uni Siegen, zum Auftakt der Preisverleihung.
Helge Pross habe sich engagiert eingemischt und niemals aufgehört, Fragen zu stellen, erinnerte Rita Süssmuth, die Helge Pross auch persönlich kannte, in ihrem Grußwort. Helge Pross lehrte von 1976 bis 1983 als Professorin an der Uni Siegen und gilt bis heute als Pionierin der Familien- und Geschlechterforschung. Ihr Interesse galt der Erforschung der Lebenswirklichkeit von Hausfrauen, den Bildungschancen von Mädchen und den Rollenbildern von Männern. „Helge Pross hat dabei auch kritisch danach gefragt, welchen Anteil wir Frauen selbst daran haben, dass die Dinge so sind, wie sie sind. Sie hat dazu aufgerufen, nicht in alten Rollenmustern zu verharren, sondern neue Wege zu gehen“, so Süssmuth. Wie Pross sei auch Preisträgerin Allmendinger engagiert, kritisch und tief denkend erklärte die 80jährige weiter, um noch hinterherzuschieben: „Manchen ist sie vielleicht etwas zu wild.“
„Jutta Allmendinger mischt sich mit Leidenschaft und Verve ein, sie erhebt ihre Stimme und sie wird gehört“, schloss Prof. Dr. Wolfgang Ludwig-Mayerhofer in seiner Laudatio an. Um Allmendingers komplexem Forschungs- und Arbeitsfeld und ihren zahlreichen Auszeichnungen, Ämtern und Gremien-Mitgliedschaften gerecht zu werden, bediente er sich eines Stilmittels, das Allmendinger auch selbst gerne einsetzt, um vermeintlich steife Veranstaltungen aufzulockern: In so genannten „Stand-Ups“ erhoben sich immer wieder Frauen und Männer aus dem Auditorium, unterbrachen die Laudatio scheinbar spontan – und taten dem erstaunten Publikum ihre Sicht auf Jutta Allmendinger und ihr Wirken kund.
Die musikalische Unterhaltung vom „trio lirico“ war auf die Lebensstationen von Helge Pross abgestimmt und sorgte bei der Preisträgerin und dem Publikum für Begeisterung.
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