Viele Migranten aus der Türkei gründen eigene Fußballvereine in Deutschland. Welche Motive haben sie? Der Wissenschaftler Dr. Stefan Metzger hat drei Vereine ein Jahr lang begleitet.
(wS/red) Siegen 30.01.2018 | Im Berliner Amateurfußball stehen Woche für Woche tausende junge Menschen auf dem Platz. Auch Türkiyemspor Berlin, der 1. FC Galatasaray Spandau oder Steglitzer Genҫler Birliği spielen mit. In Berlin allein gibt es etwa 25 Amateur-Vereine mit türkischem Namen – obwohl es bereits eine große Zahl von etablierten Fußball-Klubs in allen Amateur-Ligen gibt. Warum ist das so? Mit dieser Frage hat sich Stefan Metzger in seiner Doktorarbeit an der Uni Münster beschäftigt, heute forscht er an der Uni Siegen zu den Themen Migration, Integration und Arbeit. „Viele Menschen begegnen den Vereinen mit Türkeibezug misstrauisch, auch weil sie sie als relativ geschlossen empfinden und kaum Einblick erhalten“, berichtet Metzger. Um das zu ändern, begleitete der Wissenschaftler drei Vereine über ein Jahr lang intensiv. Turniere, Spiele, Sportgerichtsverhandlungen, Feste oder Schiedsrichterfortbildungen für Jugendliche – Metzger war überall dabei und sagt: „Ich habe den Alltag im Berliner Amateurfußball aus der Perspektive der Migranten beobachtet.“
Bier und Bratwurst passen nicht zum Islam
Dabei fing alles mit einer Frage an: Warum machen die das eigentlich? „Das war die Frage, die ich in den Gesprächen immer wieder gehört habe“, blickt Metzger auf den Start seiner Forschungsarbeit zurück. Manche wollten das aus reinem Interesse wissen, bei anderen schwang Skepsis mit. Heute kann er die Frage beantworten: „Kultur und Religion spielen in vielen Vereinen eine Rolle, teils mehr, teils weniger stark ausgeprägt.“ Zum Fußball gehören in Deutschland meist Bier und Bratwurst. Alkohol und Schweinefleisch werden auch von weniger religiösen Türkeistämmigen oft gemieden. Die Vereine mit Türkeibezug stellen daher eine Alternative zu den bereits etablieren Vereinen dar, indem sie etwa auf kulturelle Gepflogenheiten ihrer Vereinsmitglieder Rücksicht nehmen. Dazu gehört auch die Rindsbratwurst auf dem Grill, manche Vereine mit Türkeibezug bieten geänderte Trainingszeiten während des Ramadans an.
„Viele türkeistämmige Spieler fühlen sich in den etablierten Vereinen nicht willkommen“, hat Metzger festgestellt. Das galt insbesondere in den 1970er und 1980er Jahren, als ein Großteil der Vereine gegründet wurde, gilt teilweise aber immer noch. Prinzipiell habe es aber nicht nur mit Bratwurst und Bier zu tun. Wenn sie Ämter übernehmen möchten, zum Beispiel als Trainer, Kassenwart oder im Vereinsvorstand, sind diese Positionen oft langfristig vergeben. Es gibt wenig Chancen, etwas zu bewegen. „Gründen sie einen eigenen Verein, können sie mitbestimmen“, sagt Metzger, „sie schaffen sich sozusagen ihre eigenen Teilhabemöglichkeiten.“
Den Vereinsmitgliedern war es auch wichtig, selbst darüber zu bestimmen, wie über sie geredet wird. Von außen werden sie oft als „die Türken“ angesehen, die gegen „die Deutschen“ spielen. Sie selbst fühlen sich meist jedoch ebenso als Berliner, als Kreuzberger oder als Neuköllner. Das hat Metzger in vielen Interviews herausgefunden. Viele Jugendliche fühlten sich in anderen gesellschaftlichen Bereichen benachteiligt, zum Beispiel in der Schule oder im Nachtleben, wenn Spieler mit Migrationshintergrund keinen Zugang zu Diskotheken erhielten. „Am Wochenende auf dem Platz wollen sie das kompensieren. Teilwiese sind sie deswegen auch übermotiviert, was zu Konflikten führen kann“, sagt Metzger. Es käme zum Beispiel vor, dass gestritten wird, welche Sprache auf dem Fußballplatz erlaubt ist und welche nicht. Warum dürften sich Poldi und Klose in der Nationalmannschaft auf Polnisch absprechen, die interviewten Spieler hingegen würden für türkische Zurufe die gelbe Karte erhalten, wurde von den Spielern oft hervorgebracht „Prinzipiell werden im Amateurfußball gesellschaftliche Veränderungsprozesse ausgehandelt, die auch für andere Lebensbereiche gültig sind“, sagt Metzger. „Man kann also sagen: Im Amateurfußball wird Gesellschaft gemacht. Wie unter einem Brennglas werden dort die Herausforderungen der Migrationsgesellschaft besonders deutlich sichtbar.“
Vereine mit Türkeibezug müssen sich öffnen, um eine Zukunft zu haben
Weil viele Menschen in Deutschland wenig über Vereine mit Türkeibezug wissen und diese von außen als geschlossene Gruppe wahrnehmen, käme schnell eine Art Fundamentalismusverdacht auf, berichtet der Siegener Wissenschaftler. Handele es sich gar um Islamisten? Viele haben auch das Gefühl, als wollten sich die Spieler in einer Parallelwelt abschotten. Dass Vereine mit Türkeibezug immer eine homogene Gruppe sind, kann Metzger nicht bestätigen. Ganz im Gegenteil: Im Laufe ihrer Vereinsgeschichte ändern manche Vereine ihren Namen sogar ins Deutsche und werden zum Stadtteilverein, wie etwa der Verein Samsunspor, der sich in FC Kreuzberg umbenannte. Andere verstehen sich als muslimische Vereine und ziehen dadurch viele Herkunftsnationen an, zum Beispiel Spieler aus Syrien, Palästina oder dem Kosovo. Auch alevitische und aramäische Vereine gibt es in Berlin. „Vereine, dich sich nicht für andere Zielgruppen öffnen, lösen sich meist nach einiger Zeit wieder auf. Denn nur wer auf den Nachwuchs setzt, hat im Amateurfußball langfristig eine Zukunft“, sagt Metzger.
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