(wS/uni) Siegen 11.09.2023 | Die Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker ist in Deutschland hoch angesehen, während sie in England als Beruf zweiter Klasse gilt. Prof. Erika Gericke von der Uni Siegen erforscht Unterschiede und Gemeinsamkeiten des berufsschulischen Anteils des Ausbildungsberufs in den beiden Ländern.
In Deutschland ist die Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker laut Statistiken seit Jahrzehnten eine der beliebtesten unter jungen Männern und in der Bevölkerung hoch angesehen. In England sieht das ganz anders aus. Wie sich der berufsschulische Anteil der Berufsausbildungen zum Kfz-Mechatroniker in Deutschland und England unterscheiden – das untersucht Prof. Dr. Erika Gericke von der Uni Siegen in ihrer Studie „Berufsbildungskulturen im Europäischen Vergleich: soziale Praktiken in Berufsschulklassen für Kfz-MechatronikerInnen und Kaufleute für Büromanagement in England und Deutschland“. Gericke ist Professorin für Schul- und Unterrichtsentwicklung am Berufskolleg.
In Sachsen-Anhalt und Cornwall (England) besuchte Gericke berufsbildende Schulen, beobachtete die Lehrkräfte und Schüler, das Verhältnis zwischen ihnen, ihre Kommunikation und Tätigkeiten. Sie führte ausführliche Interviews mit Lehrkräften und Schülern. „Ich möchte Unterschiede und Ähnlichkeiten aufzeigen, um zu verdeutlichen, dass Bildung kulturell geprägt ist“, erklärt die Bildungswissenschaftlerin. „Man kann das eine Berufsbildungssystem nicht einfach auf ein anderes übertragen.“ Die ersten Ergebnisse liegen jetzt vor.
Grundsätzlich sehen die meisten Menschen in England Ausbildungsberufe als Berufe zweiter Klasse an, berichtet Gericke. Kfz-Mechatroniker im Speziellen würden häufig noch immer als „greasemonkeys“ wörtlich: „Öl-Affen“) beleidigt, vor allem die älteren Generationen hätten damit sehr zu kämpfen gehabt. „Generell kann man sagen, dass das Selbstwertgefühl der Schüler sehr niedrig ist, wenn sie ihre Ausbildung beginnen.“ In Deutschland sieht das anders aus: Aufgrund der jahrzehntelangen Tradition der dualen Ausbildung, ist die Reputation in der Bevölkerung und auf dem Arbeitsmarkt (noch) hoch, berichtet Gericke. Unter jungen Männern liegt laut Statistiken (z.B. destatis, Arbeitsagentur) der Ausbildungsberuf zum Kfz-Mechatroniker weiterhin mit Abstand auf Platz Eins – der Hauptgrund für Gericke, sich genau diesem Berufsbild zu widmen.
Ausbildung ohne Berufsziel
Was Gericke besonders überrascht hat: „Viele junge Menschen in England machen die Ausbildung tatsächlich aus privatem Interesse und nicht, weil sie später in einer Kfz-Werkstatt arbeiten möchten.“ In Deutschland stehe hinter der Ausbildung in den allermeisten Fällen ein klares Berufsziel.
In England sei es außerdem so, dass viele Werkstätten auf bestimmte Bauteile spezialisiert sind, zum Beispiel auf Bremsen oder Reifen. Das spiegelt sich in der stark modularisierten Berufsausbildung wider: Englische Auszubildende absolvieren keine dreieinhalb jährige Ausbildung und können danach alles am Auto reparieren – wie es in Deutschland der Fall ist. Sie besuchen nur eine gewisse Anzahl an Modulen und können später entsprechend dieser Modulthemen ein Auto reparieren. In Deutschland hingegen würden die Auszubildenden ganzheitlich ausgebildet, sodass sie danach unabhängig und in vielen Unternehmen einsetzbar sind.
In England dominiert die Marktorientierung
Grundsätzlich seien die englischen berufsbildenden Schulen extrem marktorientiert. Das spiegele sich auch in der Bewertung der Lehrkräfte wider. Diese müssen Zielzahlen erfüllen. „Verfehlt eine Lehrkraft die Quoten, kann es passieren, dass der Vertrag nicht verlängert wird“, berichtet Gericke. Während es in England auch für langjährig tätige Lehrkräfte Unterrichtsbewertungen gibt, endet in Deutschland die Bewertung mit erfolgreichem Bestehen des Referendariats.
Neben all den Unterschieden gibt es aber auch ein paar Gemeinsamkeiten: Sowohl die Lehrkräfte in Deutschland als auch die in England empfinden die Menge an Verwaltungsarbeit als belastend. „Viele haben mir berichtet, dass ihnen dadurch Zeit fehlt für die Schüler und die Lehrvorbereitung.“ Was außerdem in beiden Ländern ähnlich ist: Um die Schüler besser zu fördern, werden sie nach den drei Leistungsniveaus schwach, mittel und stark gruppiert. Differenzierter Unterricht für die verschiedenen Leistungsgruppen wird in beiden Ländern hauptsächlich über das Unterrichtsgespräch versucht umzusetzen.
Foto: Uni Siegen