ALTERAktiv verbindet Welten: Bildungspartnerschaft mit Vietnam als gelebte Erkenntnis

(wS/aa) Siegen 29.05.2025 | Seit April 2023 kümmern sich die Ausbildungspaten von ALTERAktiv um einige junge Vietnamesinnen, die im Klinikum Siegen und weiteren Partnern der Internationalen Pflegeschule (BIGS) zu Pflegefachkräften ausgebildet werden.

Diese jungen Menschen kommen zu uns aus ihrer ostasiatischen Kultur in unsere für sie sehr unterschiedlichen Lebens- und Alltagsbedingungen, was ein hohes Maß an Anpassung erfordert. Ein Problem ist die deutsche Sprache. Auch wenn die jungen Leute in ihrer Heimat die erforderlichen Abschlusszertifikate in deutschen Sprachenschulen erworben haben, reichen ihre Sprachkenntnisse noch nicht wirklich zum notwendigen Verständnis im Unterricht der Pflegefachschule, bzw. für ihre fachliche und auch persönliche Verständigung im Alltag aus.

Die Ausbildungspaten, die eine solche Patenschaft übernommen haben, helfen so gut es geht bei auftretenden Problemen, und sie versuchen, den jungen Frauen durch die Schwierigkeiten und Probleme der Ausbildung zu einem erfolgreichen Abschluss zu helfen.

Um die Probleme der vietnamesischen Pflegeschülerinnen besser verstehen und ihnen effektiver helfen zu können, haben die Ausbildungspaten beschlossen, mehr über die kulturellen Hintergründe und die Ausbildungsbedingen in ihrer vietnamesischen Heimat zu erfahren. Günter Hensch von ALTERAktiv hat sich kundig gemacht und über das Thema referiert:
Bildungs- und Schulsystem der Sozialistischen Republik Vietnam.

Zum Verständnis des kulturellen Hintergrundes betonte Hensch, dass, obwohl die Mehrheit der Bevölkerung atheistisch geprägt ist, die Kultur Vietnams stark durch Buddhismus, Taoismus und Konfuzianismus und naturreligiöse Einflüsse geprägt ist.
Durch mehrfache Kolonialisierung und Missionierung vermischte sich diese Prägung auch mit westlichen Werten. Neben der atheistischen Bevölkerungsmehrheit sind ca. 20 Mio. Buddhisten, ca. 6 Mio. röm. Katholiken und ca. 0,5 Mio. Protestanten (starke Einflüsse durch US-Evangelikale).

Es besteht ein großes soziales und bildungsmäßiges Gefälle zwischen der Bevölkerung in den landwirtschaftlich geprägten Gegenden und den 40% der in den boomenden modernen Mega-Cities des Landes lebenden Bevölkerung. Hensch gab einen Abriss über die mehr als 4000-jährige, sehr wechselvolle Geschichte des Landes. Eine erste Teilung des Landes erfolgte zwischen 1620 und 1802 durch zwei rivalisierende Fürstenhäuser. Es folgte die Kolonisierung von Vietnam und seinen Nachbarländern durch Frankreich.  Eine erneute Landesteilung war die Folge der Verwerfungen durch den zweiten Weltkrieg und der Kriege gegen die Kolonialmacht Frankreich, später dann gegen die USA in den 50iger bis 70iger Jahren. Erst nach deren Ende 1975 wurde das Land wieder vereint unter der Führung von Ho Chi Mingh, dem Führer des langen antikolonialen Freiheitskampfes und damaligen Präsidenten des kommunistischen Nordvietnams.

Laut Schilderung der anwesenden Vietnamesinnen besteht aber immer noch ein großer Unterschied zwischen dem ärmeren, stark kommunistisch geprägten Norden und dem eher lockereren, auch wohlhabenderen Süden.
Hensch: Der Konfuzianismus prägt die Bildungsphilosophie Asiens maßgeblich und legt Wert auf Respekt, Disziplin und moralische Integrität:
„Echtes Wissen besteht darin, das Ausmaß der eigenen Unwissenheit zu erkennen.“
„Lernen, ohne zu denken, ist verlorene Mühe; denken, ohne zu lernen, ist gefährlich.“
„Lerne, als könntest du das Wissen nie erreichen und als fürchtest du es wieder zu verlieren”
„Bildung ist der Schlüssel zur goldenen Tür der Freiheit.“
„Der Mensch hat dreierlei Wege, klug zu handeln: durch Nachdenken, das ist der edelste; durch Nachahmen, das ist der leichteste; und durch Erfahrung, das ist der bitterste.“
(Konfuzius)

Vietnam kennt keine gesetzliche Schulpflicht, aber bedingt durch die kulturell konfuzianisch geprägten Grundhaltung der Vietnamesen gehen durchweg alle Kinder zur Schule. Mit Ausnahme der Grundschule müssen die Eltern für alle Einrichtungen die Ausbildung ihrer Kinder bezahlen. Trotz starker Subventionen sind dadurch die Chancen auf eine gute Ausbildung für alle ungerecht verteilt.
Das Bildungs- und Schulsystems Vietnams hat international einen guten Ruf. Laut Pisa-Studie liegt Vietnam im mittleren Bereich, ähnlich wie die Bundesrepublik Deutschland. Es bestehen Unterschiede im Aufbau des Schulsystems im Vergleich zu unserem Bildungssystem. Die Franzosen entwickelten zur Kolonialzeit ein westliches Bildungssystem, das die konfuzianische Bildung vernichten sollte. Beide Systeme haben sich in der Praxis verbunden.

Das Bildungssystem des Nordens orientierte sich am sowjetischen Vorbild, das des Südens war eher westlich geprägt. Ab 1975 wurde es vereinheitlicht, seit 1981 gibt es ein einheitliches Bildungssystem.
Die Berufsausbildung in Vietnam findet zunächst rein theoretisch an den Berufsschulen und Fachhochschulen statt, mit im Vergleich sehr viel kürzeren Praxisphasen, die an den Theorieunterricht anschließen. Learning by doing ist weniger das Prinzip.

Anders als bei uns ist der direkte Unterricht stark geprägt durch Auswendiglernen und ist stark Lehrer bezogen. Eine Methode, die eigentlich im Widerspruch zur Lehre des Konfuzius steht, dem das Mitdenken beim Lernen sehr wichtig war. Dabei stehen die Schüler und Studierenden stark unter Druck, weil sie ein enormes Pensum erfüllen müssen.

Es ist also für die vietnamesischen Auszubildenden ein ganz neuer Ansatz in unserem Schul- und Ausbildungssystem, sich ihr Wissen weitgehend selbst und im Dialog erarbeiten zu müssen, evtl. sogar gemeinsam mit anderen in Kleingruppen.
Man kann nicht einfach auswendig lernen, man muss auch inhaltlich verstehen, wasman da lernen soll. Da bekommt dann auch das Sprachverständnis ein noch größeres Gewicht.

Eine der teilnehmenden Ausbildungspatinnen wies darauf hin, dass inzwischen auch in unseren Schulen die verschiedensten Nationalitäten in den Klassen, bzw.
Lerngruppen vertreten sind und die Lehrkräfte sich eigentlich um einen „sprachsensiblen Unterricht“ bemühen müssten. Die drei anwesenden Vietnamesinnen gaben an, das oft das genaue Gegenteil im Unterricht der Fall sei, indem mit vielen Fachausdrücken gearbeitet wird, also „Fachchinesisch“ gesprochen wird.

Im anschließenden Austausch mit den drei Pflegefachschülerinnen wurde deutlich, wie sehr auch in Vietnam die familiäre Herkunft den Grad der Ausbildung bestimmt.
Zwei von ihnen haben ein bis zwei Hochschulabschlüsse, eine hat den Abschluss einer Berufsfachhochschule, weil der Besuch einer Hochschule für ihre Familie nicht
bezahlbar war. Natürlich gilt auch hier: hoher Abschluss, bessere Berufsaussicht und bessere Bezahlung.

Die meisten jungen Vietnamesen, die die Chance einer Ausbildung in Europa wahrnehmen, kommen aus dem ärmeren Norden, Für sie bietet sich so finanziell eine Möglichkeit, ihre beruflichen Zukunftschancen zu verbessern. Für die Ausbildungspaten von ALTERAktiv war die Veranstaltung sehr informativ und hilfreich für ihre ehrenamtliche Tätigkeit.


Links:Thien Doan, Bärbel Koppenhagen, Mitte, Günter Hensch.: Trang Le, rechts: Quynh Le
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