(wS/Red) Ferndorf 27.10.2024 | Knappe Kiste! TuS Ferndorf verpasst die Sensation gegen Balingen
TuS Ferndorf gegen HBW Balingen-Weilstetten: 24:26 (14:12)
Wenn mir vor Saisonbeginn jemand gesagt hätte, dass am 8. Spieltag die Paarung TuS Ferndorf gegen HBW Balingen-Weilstetten ein TOP-Spiel der 2. BL werden würde, hätte ich ihn sicherlich lächelnd angeschaut und gefragt, ob er heute Morgen die falschen Tabletten eingenommen hat. 😉
Was ist das eigentlich für eine Paarung? Es spielt der Aufsteiger aus der 3. Liga, nämlich TuS Ferndorf, gegen den Absteiger aus der 1. BL, HBW Balingen-Weilstetten.
Gefühlt liegen Welten zwischen diesen beiden Teams: Balingen tut derzeit das, was alle in der Liga erwarten, nämlich den direkten Wiederaufstieg anpeilen, und ihr Tabellenstand zeigt auch, dass sie auf dem richtigen Weg sind. Ferndorf hingegen tut das, was absolut niemand erwartet hat, denn Ferndorf rockt die 2. BL nach Belieben und liegt punktgleich mit dem Tabellendritten Balingen auf dem 5. Platz. Und nicht nur das – Ferndorf gehört derzeit zu den Abwehrstärksten Teams der 2. Bundesliga.
Somit war schon vor Spielbeginn klar, dass heute eine knisternde Spannung durch die Stählerwiese ziehen wird und alles nach einer Abwehrschlacht roch. Balingen wollte nach einem „Stahlbad“ im Hexenkessel etwas Zählbares mitnehmen. Sie sind nicht gekommen, um sich die Halle nur anzusehen und warm zu duschen. Sie wussten, was sie hier im Wohnzimmer der „Familie Ferndorf, Familie TuS“ erwartet: eine volle Halle, eine „dezibelgewängerte“ Lautstärke und eine Stimmung, die so manchen Gegner vor Ehrfurcht erblassen lässt.
Spielbericht:
Jaa, die Gallier von der Alb haben ein Stahlbad im Hexenkessel Stahlerwiese genommen, aber diesen Hexenkessel schadlos überstanden und dem TuS die 2 Punkte stibitzt.
Man kann Spiele verlieren, weil man schlecht gespielt hat, aber man kann auch gut spielen und trotzdem verlieren. Genau so ein Spiel sahen 1315 Zuschauer am gestrigen Tag. Sollte ein Zuschauer zum ersten Mal den TuS Ferndorf spielen gesehen haben, käme er nie auf die Idee, dass noch vor einem Jahr diese beiden Teams zwei Ligen trennten. Coach Matthias Flohr (Ex-Nationalspieler), der heute Balingen trainiert, war vom Match richtig begeistert und sprach von einem Spiel auf Augenhöhe.
In der 1. Halbzeit dominierte der TuS dieses Spiel, und auch da war schon zu erkennen, dass wir diesem hochfavorisierten Gegner Paroli bieten können. Bis zum 3:3 (Marvin, Janko, Mattis) war es ein Wechselspiel beider Teams. Dann zog der TuS durch Josip Eres, Mattis Michel und Marvin Mundus auf 6:3 davon. Schon von Beginn an präsentierten die Ferndorfer ihre gewohnt hammerstarke Abwehr, mit einem sehr starken Can Adanir dahinter, und gestalteten das Spiel völlig offen. Aber auch die Gallier konterten immer wieder und machten aus dem 6:3 innerhalb von 4 Minuten ein 6:6. In der Folge war der TuS kurz unkonzentriert, verlor dreimal den Ball, und in der 21. Minute ging Balingen zum ersten und einzigen Mal in der 1. Halbzeit mit dem 8:9 in Führung. Kurz zuvor war Neuzugang Marko Vignjevic ins Spiel gekommen und erzielte mit dem 8:7 sein erstes Pflichtspieltor für Ferndorf. Da steckte schon eine gewaltige Wurfkraft dahinter, und weil ihm das so gut gefiel, stand hinter dem 9:9 und dem 11:9 auch wieder sein Name.
Er wusste wirklich zu gefallen und freute sich nach dem Spiel natürlich auch darüber. Sehenswert waren auch wieder bühnenreife Aktionen von Janko Kevic und Mattis Michel, ein nahezu blindes Verständnis führte immer wieder zu sehenswerten und spektakulären Toren. Wenn der Gegner dann mal die TuS-Abwehr geknackt hatte, standen sie oft vor dem nächsten Problem – und das hieß Can Adanir. Wir zählten in der 1. Halbzeit 9 Paraden bei ihm, wobei er bei einem Angriff der Gallier nicht nur den Wurf, sondern auch den Nachwurf hielt. Er war nach dem Spiel ein wenig enttäuscht über das Ergebnis, denn es wäre ja auch ein Sieg drin gewesen, aber in der Crunchtime klappte nicht alles wie gewünscht. Zum Ende der 1. Halbzeit (25. Minute) kamen zwei Spieler der Gäste kurz hintereinander zum zweiminütigen Ausruhen auf die Bank. Ferndorf führte durch ein irres Tor von Julius Fanger (Dreher) mit 12:10, und Balingen warf trotz Unterzahl noch das 12:11. Gabriel Viana und wiederum Julius Fanger erhöhten erneut, und Balingen beendete die 1. Halbzeit mit dem 14:12.
Die 2. Halbzeit begann, Ferndorf hatte Anwurf, und Mattis Michel erhöhte auf 15:12. Die Gäste konterten mit dem 15:13, und Hampus Dahlgren stellte mit dem 16:13 den 3-Tore-Vorsprung wieder her. Danach folgte eine fragwürdige Entscheidung der Schiris, die eine Zeitstrafe gegen Hampus Dahlgren nach sich zog. Das brachte einen Bruch ins bis dahin gute TuS-Spiel, denn es folgten das 16:14, 16:15, 16:16 und sogar das 16:17 (38. Min.), Balingen lag zum zweiten Mal in Führung.
Das saß, und die Gäste hatten sich berappelt, spielten nun sicherer, machten weniger Fehler und hatten nun auch mit dem Top-Keeper Mateusz Kornezki einen Unterschiedsspieler in ihren Reihen, der dem TuS bis zum Abpfiff das Leben ganz schön schwer machte, denn er glänzte mit insgesamt 11 Paraden. Aber wir sagen es gerne noch einmal: Ferndorf ist Aufsteiger und Balingen spielte noch im Frühjahr in der 1. Bundesliga – das dürfen wir hier auch nicht vergessen. Und wir können uns auch nicht vorstellen, dass von den Galliern noch jemand einem normalen Beruf nachgeht, wie es in Ferndorf bei einigen der Fall ist.
Nach dem 16:17 kam Ferndorf in Zugzwang, denn Balingen legte immer wieder eine neue Führung vor, und der TuS musste nachziehen, um diesen 1-Tore-Rückstand wieder aufzuholen. Das gelang auch bis zum 21:21 in der 45. Minute, Ferndorf blieb immer in Schlagdistanz. Dann gab es eine Zeitstrafe gegen Philip Würz, die Schiri-Entscheidungen wurden durch eine lautstarke Halle quittiert, denn danach zog Balingen mit 3 Treffern in Folge bis zur 50. Minute auf 21:24 davon. Ceven Klatts Unmut quittierten die „Kartengeber“ mit GELB, und die Halle schraubte die Dezibelzahl nochmal in die Höhe. Kinners, Handball ist ein harter Sport – muss man denn wegen jeder Kleinigkeit zur Karte oder Zeitstrafe greifen?! Das brachte das Ferndorfer Spiel ins Stottern. Nach Marvin Mundus‘ 22:24 in der 51. Minute war der Spielfluss gebremst, Coach Matthias Flohr nahm eine Auszeit (52:07), Balingen markierte das 22:25, und nun buzzerte auch Ceven Klatt (54:32), um das Spiel eventuell noch zu drehen. Aber sie konnten sich nicht mehr für die gute Leistung gegen die Gallier belohnen, die in der 56. Minute nun auch noch das 22:26 erzielten. Doch unser Wirbelwind Julius Fanger, der heute, genau wie Mattis Michel, 5 Treffer erzielte, hatte da etwas dagegen und erzielte unter dem Jubel der Fans noch das 23:26 und 2 Minuten später das 24:26. Ende, Schluss, Aus – Ferndorf verlor gegen den hohen Favoriten knapp. Zwei, drei Fehler weniger und die Sache hätte auch anders ausgehen können.
Ein Remis hätte das Spiel und der TuS schon verdient gehabt, aber es sollte nicht sein. So kommt Ferndorf nach diesem 3. Spieltag der „Englischen Woche“ auf 1:5 Punkte. Sie spielen aber immer noch im Konzert der ganz Großen oben mit und bleiben die Überraschung der Liga. Es war eine geschlossene Mannschaftsleistung, in der Julius Fanger und Mattis Michel die Top-Scorer waren. Überrascht hat uns zudem die wirklich gute Leistung von Neuzugang Marko Vignjevic, der sich mit 4 knallharten Würfen für den Einsatz bedankte – wir hätten ihn gerne noch länger gesehen, denn er hatte sich „warmgeschossen“. Er kam für Daniel Hideg, der heute nicht so gut zum Zuge kam. Die Gallier hatten Hideg schon auf dem Plan und schränkten seinen Wirkungskreis ein. Die krasse englische XXL-Woche geht weiter: Heute wird noch trainiert, morgen geht es schon los, denn Dessau erwartet am Mittwoch die Liga-Rocker aus dem Siegerland. Die machen aber erst noch Station in Eisenach, legen dort eine Trainingseinheit ein, übernachten und fahren dann ausgeruht nach Dessau, die am Wochenende auswärts bei Lübeck-Schwartau mit 26:22 gewonnen haben. Es wird auch eine Fahrt zu Freunden, denn die Fanclubs (Brigade C) beider Vereine verbindet eine wirklich innige Freundschaft, die immer wieder durch gegenseitige Besuche usw. aufrechterhalten wird.
An diesem Mittwoch ist einiges in der Tabelle möglich: Sollte Ferndorf gewinnen, sind sie auf Tabellenplatz 5. Und sollten die Eulen Ludwigshafen zu Hause gegen Lübeck verlieren (eher unwahrscheinlich), könnte es den TuS sogar auf Platz 3 hochspülen. Freitag geht es dann weiter für die anderen Teams, und dann kann alles wieder anders aussehen. Aber hätte, hätte, Fahrradkette – die Saison bleibt weiter verrückt, und deshalb lieben wir doch alle diesen Sport.
DAS IST FERNDORF – DAS BIST DU
Statistik:
Tor: Can Adanir 12 Paraden, Jonas Wilde 5 Paraden
Torschützen:
Mattis Michel und Julius Fanger je 5
Marko Vignjecic 4
Marvin Mundus 3
Hampus Dahlgren und Janko Kevic je 2
Daniel Hideg, Gabriel da Rocha Viana und Josip Eres
Stimmen zum Spiel
Gästecoach Matthias Flohr: „Ferndorf hat es uns definitiv nicht einfach gemacht. Das war die Mannschaft, die wir auch im Video schon analysiert haben und die ich in den letzten Wochen gesehen habe. Es ist eine tolle Truppe, die kämpferisch agiert, zusammensteht, sich in der Abwehr hilft und im Angriff mit richtig guter Power kommt. Ich glaube, dass es insgesamt sogar ein Spiel auf Augenhöhe war, und dann entscheiden ein paar Paraden mehr, die unser Keeper Kornecki dann frei wegnimmt – der war heute auch im richtigen Moment da. Ansonsten treffen auch die Attribute, die ich gerade gesagt habe, nicht nur auf Ferndorf, sondern auch auf uns zu. Ich glaube, es war insgesamt ein großartiges Handballspiel, das mit viel Leidenschaft geführt wurde. Vielleicht qualitativ nicht immer so gut, ein paar technische Fehler zu viel auf beiden Seiten, aber was die ganze Emotion und das betrifft, was Handball so geil macht – das war da. Man sah, dass beide Mannschaften unbedingt den Sieg wollten und dafür alles reingeworfen haben.
Ceven Klatt: Torhüter Kornecki kommt rein und hält 11 Bälle – damit liegt er bei 50 % in der 2. Halbzeit und ist damit der Unterschiedsspieler beider Mannschaften. Wir haben heute zwei sehr gute Abwehrreihen präsentiert, beide Mannschaften wollten sehr viel, und der einzige ‚Vorwurf‘, den ich den Jungs heute machen kann, ist, dass wir ein bisschen an unserer Chancenverwertung in der 2. Halbzeit gescheitert sind. Wenn wir zwei, drei Bälle um die 40. Minute effektiver verwerten, kann das Spiel auch in die andere Richtung gehen. Man muss auch heute Dinge einordnen: Wir sind heute enttäuscht über eine Niederlage gegen den Bundesliga-Absteiger aus Balingen. Wir sind ein Aufsteiger und gehen mit unterschiedlichen Zielen, was die Saison betrifft, in so eine Saison rein. In so einem Spiel möchte jeder gewinnen, und ich finde es beeindruckend, was unsere Mannschaft gerade leistet und dass sie es schafft, auch die großen Mannschaften – wie zuletzt Elbflorenz oder jetzt auch Balingen – vor große Aufgaben zu stellen.
Marko Vignjevic: Für mich persönlich war es gut, die Mannschaft akzeptiert mich, aber ich brauche trotzdem noch Zeit, um besser reinzukommen. Bei allem will ich der Mannschaft helfen, aber ich glaube, wir verlieren das Spiel in der 2. Halbzeit. Die 1. Halbzeit haben wir gut gespielt, unsere Chancen genutzt und waren in der Abwehr ziemlich stark. In der 2. Halbzeit haben wir dann zu viele einfache Bälle verworfen, das waren so sechs oder sieben Würfe von 6 Metern. Zum Schluss haben wir unsere Chancen nicht genutzt, aber an den Kräften hat es nicht gelegen – die haben wir.
Can Adanir: Jetzt überwiegt natürlich die Enttäuschung. Wenn du so eine gute 1. Halbzeit spielst und mit 2 Toren führst, ist es am Ende natürlich frustrierend. Ich denke, wir haben in der 2. Halbzeit nicht mehr ganz diese Prozente auf die Platte bringen können wie in der 1. Halbzeit. Dann muss man Balingen auch ein Kompliment aussprechen – das ist eine absolute Topmannschaft in der 2. Liga. Sie haben in der 2. Halbzeit bessere Lösungen gegen uns gefunden, und uns fehlte dann auch ein wenig das Wurfglück, sodass diese bittere Niederlage zustande kommt. Wir merken, dass wir gegen diesen Gegner mithalten können, wir sind auf Augenhöhe und alle sind so gierig nach Punkten und Siegen. Dann ist es natürlich frustrierend, auch wenn es ein Top-Gegner war.
Bericht: Peter Trojak
Bilder: Andreas Domian