Zocken in der Fabrikhalle

Wie können mittelständische Unternehmen ihre Produktionsmitarbeiter dazu motivieren, ihre Betriebsdaten zeitnah zurückzumelden? Das Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Siegen setzt in einem Test-Betrieb ein Spiel für Tablets ein, um unter anderem eine schnellere und genauere Produktionsplanung zu ermöglichen.

(wS/red) Siegen 11.12.2017 | Der Vogel muss durch das Loch in der Mauer fliegen. Das ist das Ziel des Tablet-Spiels, das die Mitarbeiter der Firma ALU-Technik Attendorn künftig während ihrer Arbeit an den Maschinen spielen. Wissenschaftler der Uni Siegen haben es gemeinsam mit dem Unternehmen entwickelt, um die Mitarbeiter dazu zu motivieren, ihre Auftrags- und Qualitätsdaten aus der Produktion zurückzumelden. Nur wenn alle im Team ihre Daten regelmäßig digital dokumentieren, erreicht der Vogel die richtige Flughöhe und fliegt zu jeder Stunde durch das Loch. Gespielt wird dabei Schicht gegen Schicht. Ziel ist es, mit dem Team einen Platz in der ewigen Bestenliste zu erreichen. Wenn es Ausreißer gibt, fliegt der Vogel gegen die Wand – Game Over.

Der Vogel muss durch das Loch in der Mauer fliegen. Das ist das Ziel des Tablet-Spiels. (Fotos: Uni)

Über das Tablet-Spiel melden die Mitarbeiter zum Beispiel, wie viele Aluminiumteile sie schon gestanzt haben, wie viele fehlerhafte Stücke sie wegwerfen mussten und ob das Ergebnis den Qualitätsvorgaben entspricht. So behält der Mitarbeiter in Echtzeit den Überblick über das geleistete Pensum und auch der Produktionsleiter kann schnell auf Ereignisse reagieren und umplanen. Fehler in der Produktion fallen sofort auf und Maschinen können rechtzeitig neu eingestellt werden.

Aus Zettelwirtschaft wird ein digitales Echtzeit-System

Bisher sah das anders aus: Stündlich bzw. am Ende einer Acht-Stunden-Schicht trugen die Mitarbeiter ihre Zahlen und Qualitätsmessergebnisse auf Papierzettel ein. Manchmal waren die Angaben nicht korrekt oder unvollständig. Die Firma ALU-Technik Attendorn hat insgesamt 35 Mitarbeiter. Anders als in großen Unternehmen war niemand explizit darauf spezialisiert, die Daten zu digitalisieren. Also sammelten sich die Zahlen in Aktenordnern. Falls jemand bestimmte Daten brauchte, konnte es länger dauern, bis man sie fand. Im schlimmsten Fall hätte das Unternehmen bis dahin bereits falsch produzierte Ware an den Kunden geliefert – ein Super-GAU. Das kann nicht mehr passieren, wenn die Mitarbeiter in der Fabrikhalle die Betriebsdaten direkt digitalisiert eingeben und etwaige Probleme echtzeitnah ermittelt werden können.

Dr. Thomas Ludwig ist Geschäftsführer des Mittelstand 4.0 Kompetenzzentrums Siegen.

„Wir geben dem Betrieb eine digitale Eingabehilfe an die Hand, individualisiert abgestimmt auf das Unternehmen“, sagt Projektleiter Christoph Kotthaus. Der Diplom-Wirtschaftsinformatiker hat gemeinsam mit Dr. Thomas Ludwig, Geschäftsführer des Mittelstand 4.0 Kompetenzzentrums Siegen, das Spiel im Projekt „EKPLO“ der Uni Siegen (Echtzeitnahes kollaboratives Planen und Optimieren) entwickelt. Das Spiel wird nun im Rahmen des Kompetenzzentrums in kleine und mittlere Unternehmen transferiert. Durch Interviews mit den Produktionsmitarbeitern, den Produktionsleitern und dem Geschäftsführer hat das Team des Kompetenzzentrums erfahren, worauf es im Betrieb ankommt. „Unsere empirischen Methoden haben zum Beispiel früh gezeigt, dass wir nicht, wie ursprünglich gedacht, Einzelpersonen gegeneinander spielen lassen, sondern die Mitarbeiter Teams je Schicht bilden“, erzählt Ludwig.

Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Siegen unterstützt mittelständische Unternehmen

„In der Firma ALU-Technik Attendorn testen wir spielerische Elemente in einer Umgebung, in der das Spielen eigentlich unüblich ist. Gamification nennt sich das. Damit setzen wir Anreize, die bei den Mitarbeitern unheimlich gut ankommen“, erklärt Dr. Thomas Ludwig. Das Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Siegen bündelt die Expertise aus verschiedenen Fachrichtungen und der Projektpartner – der Ruhr-Universität Bochum, der Fachhochschule Südwestfalen und dem Fraunhofer-Institut für Angewandte Informationstechnik FIT – und bringt das Wissen in die Betriebe, zum Beispiel mit spielerischen Anreizen. Das Kompetenzzentrum gehört zur Förderinitiative Mittelstand-Digital. Mit Mittelstand-Digital unterstützt das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie die Digitalisierung in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) und dem Handwerk. Unter dem Motto „Qualifizierte Arbeit im digitalen Wandel“ unterstützt das Kompetenzzentrum KMU besonders in Südwestfalen und im Ruhrgebiet aber auch bundesweit dabei, ihre digitale Kompetenz zu steigern und sich zukunftsfest aufzustellen. Egal ob die Aneignung von 3D-Druckern, die Einführung neuer Managementmodelle oder der Einsatz von Augmented oder Virtual Reality bei Umrüstprozessen – das Kompetenzzentrum bringt innovative Ideen in die Betriebe ein. Dabei stehen die Mitarbeiter im Fokus des kostenfreien und anbieterneutralen Angebotes.

Christoph Kotthaus hat das Tablet-Spiel mit entwickelt.

Die Mitarbeiter von ALU-Technik-Attendorn bewerten das Spiel momentan in verschiedenen Workshops. Danach wird es in einer Testphase in der Fabrikhalle eingesetzt. „Wir versprechen uns von dieser App eine gesteigerte Motivation der Mitarbeiter bei ihrer doch recht monotonen Tätigkeit. Wir hoffen, dass sich durch die Fortschrittsanzeige das Stresslevel reduziert und sich dadurch letztendlich eine sorgfältigere Arbeitsleistung einstellt“, sagt Stefan Schlephorst, kaufmännischer Leiter der Attendorner Firma. Produktionsmitarbeiter Edmund Hartmann ergänzt: „Man kann mit dem Spiel leicht erkennen, wie weit man schon ist und ob man gut in der Zeit liegt. Das war bisher nicht so. Außerdem ist es leichter die Daten zu erfassen als vorher.“ Im Vordergrund stehen betriebliche Zahlen, aber natürlich wird sich auch zeigen, ob das Spiel den Zusammenhalt zwischen den Mitarbeitern fördert. Wenn es nötig ist, das Spiel oder die Geräte nachzubessern, kann das Kompetenzzentrum sofort eingreifen. „Wir bringen mit unserem Mittelstand 4.0-Kompetenzzentrum Siegen neue Arten der Digitalisierung in die Unternehmen und lernen dann aus der Praxis, wie wir Produkte und Software noch besser machen können. Davon profitieren wir alle“, erklärt Ludwig.

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