wS/lg. Siegen / Bad Berleburg – Mit Urteil vom 09.03.2012 (Az. 2 O 30/11) hat die zweite Zivilkammer des Landgerichts Siegen die Stadt Bad Berleburg (im Folgenden: Beklagte) verurteilt, einen Betrag von 920.063,15 € an die Firma „WestGkA Management Gesellschaft für kommunale Anlagen mbH“ (im Folgenden: Klägerin), Düsseldorf, zu zahlen.
Dem Rechtsstreit liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Gesellschaftszweck der Klägerin ist die Unterstützung von Städten und Gemeinden bei der Entwicklung und Erschließung von Baugebieten. Die Beklagte beabsichtigte im Jahr 2000 die Entwicklung von Flächen im Rahmen des Gebietes „Am Sengelsberg“, das damals vier Grundstückseigentümern gehörte und im Wesentlichen landwirtschaftlich genutzt wurde. Geplant war die Entwicklung von 100 Baugrundstücken.
Am 19.12.2000 schlossen die Parteien einen Vertrag, nach dem die Klägerin die betreffenden Grundstücke in Abstimmung mit der Beklagten zum Zweck der Wohnbebauung von den Eigentümern erwerben, vorhalten und an Interessenten veräußern sollte. Im Gegenzug sollte die Beklagte einen Bebauungsplan aufstellen und dessen Rechtswirksamkeit herbeiführen. Zur Durchführung der geplanten Bebauung erwarb die Klägerin in Absprache mit der Beklagten am 19.12.2000 entsprechende Grundstücke zu einem Gesamtpreis von insgesamt 3.000.000 DM.
Gegenstand dieses Grunderwerbs waren unter anderem zwei Flurstücke „Über dem Gunzetal“ mit einer Gesamtfläche von rund 41.000 m². Nachdem Grundstücknachbarn Einspruch gegen die Bebauungsplanung der Beklagten eingelegt hatten, wurde der von der Beklagten für das Gebiet erlassene Bebauungsplan erst am 29.04.2005 rechtskräftig. Auch die beiden Flurstücke „Über dem Gunzetal“ waren Gegenstand dieses Bebauungsplans.
Im Jahr 2006 schlossen die Parteien einen Erschließungsvertrag. Darin wurde die Erschließung des Geländes der Klägerin übertragen, die die Erschließung im eigenen Namen und für eigene Rechnung durchführen sollte. Die beiden Flurstücke „Über dem Gunzetal“ waren nicht Gegenstand dieses Erschließungsvertrags, weil die „äußere Erschließung Sengelsberg“, zu der auch diese Flurstücke gehörten, zu einem späteren Zeitpunkt ausgeführt werden sollte. Die Nachfrage von Bauinteressenten nach Grundstücken entwickelte sich rückläufig. Eine von der Klägerin in Abstimmung mit der Beklagten beauftragte Wirtschaftsprüferin kam zu dem Ergebnis, dass bei einem prognostizierten Verkaufspreis von 105 € pro m² – dem Bodenrichtwert für vergleichbare Grundstücke entsprechend – mit einem Fehlbetrag von rund 1,3 Millionen € zu rechnen war. Ein ausgeglichenes Ergebnis sei mit einem Verkaufspreis von 141,20 € pro m² zu erreichen. Daraufhin beschloss der Rat der Beklagten am 19.06.2006, den Verkaufspreis auf 130,00 € pro m² festzulegen. Die Grundstücke waren zu diesen Bedingungen jedoch nicht veräußerbar. Im November 2007 wies die Klägerin die Beklagte auf Schwierigkeiten bei der Vermarktung hin. Die Parteien verständigten sich auf eine Aufhebung des Vertrags und Übertragung der Grundstücke auf die Beklagte zum Preis von rund 3,8 Millionen €.
Einer solchen Regelung stimmte der Rat der Beklagten mit Beschluss vom 15.12.2008 zu. Wegen fehlender haushaltsrechtlicher Voraussetzungen versagte die Aufsichtsbehörde die Zustimmung zu diesem Vertrag. Aufgrund ihres Nothaushalts war die Beklagte nicht in der Lage, entsprechende Schulden aufzunehmen.
Die Beklagte gab die ursprüngliche Planung für die „äußere Erschließung Sengelsberg“ auf, nachdem bereits der erste Abschnitt nicht zu vermarkten war. Insgesamt hatten nur 5 Grundstücke verkauft werden können. Die beiden Flurstücke „Über dem Gunzetal“ waren inzwischen an einen Landwirt verpachtet worden, der sich auch für einen Kauf interessierte. Der Stadtrat empfahl der Klägerin mit Schreiben des Bürgermeisters vom 25.09.2009 den Verkauf der beiden Flurstücke zu einem Preis von 1 € pro m² an den Landwirt und bat darum, einen entsprechenden Kaufvertrag erstellen zu lassen. Der erste Beigeordnete der Beklagten teilte der Klägerin zudem mit E-Mail vom 10.02.2010 mit, dass die Angelegenheit „keinerlei Aufschub mehr dulde“. Der Kaufvertrag wurde sodann am 16.02.2010 abgeschlossen.
Mit Schreiben vom 30.10.2009 kündigte die Klägerin ihren Vertrag mit der Beklagten vom Dezember 2000 sowie den Erschließungsvertrag aus dem Jahr 2006. Sie berief sich auf ein außerordentliches Kündigungsrecht, weil zwischen den Parteien Einigkeit bestehe, dass die vertragliche Maßnahme nicht weiter fortgeführt werde. Zudem verlangte sie von der Beklagten Ersatz ihrer Aufwendungen. Gespräche zwischen den Parteien führten zu keiner Einigung. Mit Schreiben vom 16.04.2010 erklärte die Klägerin erneut die außerordentliche Kündigung.
In dem vorliegenden Rechtsstreit begehrt die Klägerin die Rückzahlung der von ihr im Hinblick auf die beiden Flurstücke „Über dem Gunzetal“ gemachten Aufwendungen, die sie auf 920.063,15 € beziffert. Die Beklagte ist der Klage mit der Ansicht entgegengetreten, die Klägerin sei zur außerordentlichen Kündigung nicht berechtigt gewesen. Das Risiko einer Verzögerung der Baumaßnahme sei von der Klägerin zu tragen. Zudem habe die Klägerin selbst den im Februar 2010 erfolgten Verkauf der Flächen an den Landwirt gefordert.
Das Landgericht hat der Klage in der Hauptsache in vollem Umfang stattgegeben und lediglich eine weitergehende Zinsforderung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es unter anderem ausgeführt:
Der geltend gemachte Betrag von 920.063,15 € stehe der Beklagten in vollem Umfang zu. Dies folge aus den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien sowie den Regelungen im Bürgerlichen Recht über Geschäftsbesorgungsverträge. Nach dem Inhalt der Verträge habe die Beklagte das volle wirtschaftliche Risiko der Entwicklungsmaßnahme zu tragen. Aus einer Auslegung der Verträge ergebe sich, dass die Klägerin bei Beendigung des Vertrages einen Anspruch auf Ausgleich eines negativen Saldos habe. Gleiches folge aus der gesetzlichen Regelung, die ergänzend heranzuziehen sei. Der Vertrag sei durch die Klägerin wirksam außerordentlich gekündigt worden. Ein wichtiger Grund zur Kündigung habe vorgelegen. Dies sei generell dann der Fall, wenn dem kündigenden Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zugemutet werden könne. Dazu bedürfe es keines Verschuldens des anderen Vertragsteils. Auch eine wesentliche Änderung der Verhältnisse könne die außerordentliche Kündigung rechtfertigen, wenn die Störung nicht aus dem eigenen Risikobereich des Kündigenden stamme und die Störung sich auch nicht durch eine Anpassung des Vertrags an die geänderten Verhältnisse beseitigen lasse.
Daran gemessen habe im vorliegenden Fall ein Grund zur Beendigung des Vertrags in zweierlei hinsichtlich vorgelegen: Es bestehe keine Grundlage mehr für die Erwartung, dass die Entwicklung des Baugebietes überhaupt noch durchgeführt werden könne. Nach Ablauf von mittlerweile mehr als elf Jahren seien von den geplanten 100 Baugrundstücken lediglich 5 an Bauherren veräußert worden. Nach dem Verkauf der beiden Flurstücke „Über dem Gunzetal“ im Februar 2010 stünden die für das Vorhaben benötigten Flächen auch nicht mehr zur Verfügung. Das geplante Baugebiet müsse endgültig als gescheitert angesehen werden. Als zweiter Gesichtspunkt trete die wirtschaftliche Situation der Beklagten hinzu. Diese sei – aus Sicht der Klägerin – einer Zahlungsunfähigkeit gleichzusetzen. Unter diesen Umständen sei es der Klägerin nicht zumutbar, weiterhin an dem Vertrag festzuhalten.
Unzutreffend sei im Übrigen der Einwand, die Klägerin habe den im Februar 2010 erfolgten Verkauf der Flächen an den Landwirt gefordert. Die Beklagte selbst habe den Verkauf zum Preis von 1 € pro m² empfohlen und die Klägerin selbst um Erstellung des Kaufvertrags gebeten. Zudem habe der erste Beigeordnete der Beklagten mit seiner E-Mail vom 10.02.2010 mit Nachdruck um umgehende Erledigung gebeten. Damit sei die Initiative zur Veräußerung der Flächen an den Landwirt von der Beklagten selbst gekommen.
An dem Urteil der 2. Zivilkammer haben der Vorsitzenden Richter am Landgericht Andreas Bauer, der Richter am Landgericht Dirk Kienitz und die Richterin Heike Juris mitgewirkt. Die mündliche Verhandlung hat am 27.01.2012 stattgefunden. Das Urteil ist am 09.03.2012 verkündet worden. Es ist noch nicht rechtskräftig. Die Beklagte kann Berufung bei dem Oberlandesgericht Hamm einlegen.
Anzeige – Bitte beachten Sie auch die Angebote unserer Werbepartner
[adrotate group=“3″]