(wS/hi) Hilchenbach-Dahlbruch. Heute erreichte die wirSiegen-Redaktion ein sehr schöner Beitrag des Dahlbrucher Heimatforschers Heinz Bensberg. Diesen Bericht über Jung Stilling wollen wir unseren Lesern nicht vorenthalten…
Ein Schneidergesell aus Grund wird Schulmeister
Man schrieb das Jahr 1755, es war kurz nach Ostern, da machte der Hilchenbacher Pfarrer Seelbach den noch nicht einmal fünfzehnjährigen Schneidergesellen Heinrich Jung aus Grund zum Schulmeister von Lützel. Die Bauern hatten nach ihm verlangt, denn die Fähigkeiten und der Ruhm dieses Jungen hatten sich schon weit verbreitet. Es war nicht zu glauben, aber ein bald 15jähriger wurde Schulmeister und unterrichtete alleine die Kinder eines ganzen Dorfes. Was muss dieser Knabe, der am 12. September 1740 in Grund geboren wurde und sich später Jung Stilling nannte, für eine unglaubliche Begabung gehabt haben. In der langen Hilchenbacher Kirchengeschichte war dieser bestimmende Johannes Seelbach der am längsten dienende Pfarrer, nämlich von 1725 bis 1768.
Das Quartier bekam der junge Schulmeister beim Lützeler Förster Klein. Dieser hatte oft mit des Knaben Großvater Ebert Jung am Meiler gesprochen, wobei eine innige Freundschaft entstanden war. Klein, der ein gebildeter Mann war, erlaubte Heinrich Jung seine Bücherei zu benutzen. Hier hatte er sich viel beschäftigt mit den Werken von Ilias und Paracelsus. Aber auch die Bücher von Jakob Böhme hatte er studiert. Ich glaube dies alles hatte Stillings späteren Lebensweg mit geprägt.
Der junge Schulmeister ging eigene Wege und ließ alle bisherigen Lehrmethoden unbeeindruckt. Der Katechismus wurde zwar nicht vergessen, aber Jung katechisierte die Kinder ohne Buch nach eigenen Gedanken. Er erzählte ihnen Historien nicht nur aus der Bibel, sondern auch Geschichten von der schönen Magelone und der Belagerung Trojas. In Schreiben, Rechnen und Lesen unterrichtete er die Kinder.
Die Kinder lernten emsig. Deswegen waren die Eltern mit dem Schulmeister auch zufrieden. Auch mit der Bevölkerung kam er prächtig aus. So erzählte er dem Bauer Kraft eine Sage vom Kindelsberg. Er lernte ihm auch das Lied ,,Zum Kindelsberg auf dem hohen Schloss steht eine Linde, von vielen Ästen kraus und groß, sie saust im kühlen Winde …..‘‘ Es folgten noch 14 Strophen.Aus diesem herrlichen Wohlgefühl machte der Knabe einen ganz tiefen Sturz! Was war geschehen? Pastor Seelbach hatte visitiert und fand die Unterrichtsmethode empörend! Rechnen? Wer hatte eigentlich dem Schulmeister geheißen, den Kindern das Rechnen zu lernen?
Jung Stilling war der Zeit weit voraus, aber Pfarrer Seelbach war nicht so weit. Deswegen erhielt der junge Schulmeister zu Martini (es war der 11. November 1755) die Kündigung. Er kehrte tief betrübt nach Grund zurück. Am Schneidertisch seines Vaters saß er nun wieder in der Ecke und führte ganz traurig die Nadel.
Da erhielt Vater Wilhelm Jung in Grund vierzehn Tage vor Weihnachten aus Dorlingen in der westfälischen Grafschaft Mark ein Brief. Der Brief kam von einem reichen Herrn Stahlschmidt, der den jungen Stilling als Hausinformator verlangte. Er sollte seine Kinder von Neujahr bis Ostern unterrichten. Dafür sollte er Kost, Trank, Licht, Feuer und fünf Reistaler bekommen. Stahlschmidt war ein berechnender Kaufmann, denn Jung sollte auch noch von den benachbarten Bauern die Kinder mit unterrichten. Das Schulgeld von diesen Leuten wollte er aber selbst kassieren. So hatte er die Ausgaben für Jung wieder raus. An diesen Forderungen merkte man, dass Heinrich, falls er das Amt annehme, ein schweres Los in der Grafschaft Mark erwarten würde.
Nun begannen die Überlegungen was zu tun sei. Der alte Ebert, der das Leben im Hause Jung in Grund geprägt hatte, lebte schon vier Jahre nicht mehr. Auch Stillings Mutter war schon verstorben als er 18 Monate alt war. Die blinde Großmutter saß mit ihren Kindern Mariechen, Elisabeth und Wilhelm sowie ihrem Enkel Heinrich in der Stube und hielten Rat. Es geschah nichts Unüberlegtes. Es war aus der Stillingschen Familie bestimmt noch keiner so weit weggegangen und so lange fort. Die Großmutter war dagegen, den Jungen so weit in die Welt zu schicken. Auch Mariechen schloss sich dieser Meinung an. Die Bauern in der Grafschaft Mark seien ganz grobe Leute, hatte Johann, der Bruder des Vaters, aus Littfeld verlauten lassen. Es ist besser, der Junge versuche sein Glück in der Welt, war Elisabeths Meinung. Da endlich sagte Wilhelm: ‘‘Die Entscheidung hierüber fällt mein Sohn selber.‘‘
Stilling grämte sich noch immer, dass er die Schulstube so plötzlich verlassen musste und wieder in der Schneiderwerkstatt arbeitete. Er wusste, dass er in Dorlingen seinen Gefühlen nicht freien Lauf lassen konnte, sondern dass ihm eine höchst prosaische Arbeit erwartete. Für Heinrich war dieses immer noch besser als zu Hause Knöpfe anzunähen und den Bauern ein Kamisol zu flicken.
Mit der Vertiefung in den Homer hatte Heinrich auf der Lützel den Hauch einer geistigen Welt gestreift. Dieses hatte er nun als erstrebenswertes Ziel vor Augen. Er wusste, dass der Weg dorthin sehr uneben und steinig war. Ebenso wusste er aber auch, dass ihm all dieses nicht von seinem Ziel abbringen durfte. Stilling beschloss die Reise nach Dorlingen, um den angebotenen Posten anzunehmen.
Voller Erwartung nahm er Abschied von den traurigen Angehörigen in Grund. Die Tränen seiner starblinden Oma, die ihn ja groß gezogen hatte, konnte er nicht ertragen. Als auch bei seinem Vater, der sich hart stellte, die Tränen rollten, riss sich Stilling los und machte sich auf den Weg zu seinem Onkel nach Littfeld. Von hier nahmen ihn Fuhrleute aus Himmelmert, die Eisen im Siegerland geladen hatten, mit. Der Onkel gab ihm zuvor noch Verhaltungsmaßnahmen mit auf den Weg, denn er kannte die rauen Gesellen, durch seine Landmesserei, gut. Die Reise ging übers Kölsche Heck. Über Heinrich machten sich die Fuhrleute lustig und trieben allerlei Schabernack mit ihm was er nicht kannte. Als er sagte, ich bin der zukünftige Schulmeister ihrer Kinder waren sie still und ließen ihn in Ruhe.
Auf dem Hofe aber auch als Schulmeister in Dorlingen begann nun eine ganz bittere Zeit für Jung Stilling. So ungehobelte Menschen wie hier kannte er nicht. Es war so, als ob sich Alt und Jung gegen ihn verschworen hätte. Der Schulmeister war hier ein Kind unter Kindern und nur sein Pflichtbewusstsein gab ihm die Kraft, sein Amt durchzuführen. Er war froh, dass er zwischendurch noch einmal nach Hause reisen durfte. Denn sein Vater heiratete die junge Witwe von Johann Heinrich Klappert – Anne Margarethe, geborene Feldmann – aus Kredenbach. Die Stiefmutter hatte ihn liebevoll aufgenommen, so dass er nicht mehr nach Himmelmert zurückkehren wollte. Aber sein Vater sagte, wir haben noch immer unser Versprechen eingehalten und halten es auch diesmal.
Als er wieder auf dem Hofe Huxholl angekommen war gab es keinen Schulbetrieb mehr. Das Frühjahr war gekommen und die Kinder wurden auf der Landwirtschaft gebraucht. Die fünf Reichstaler waren noch nicht abgearbeitet und so musste er andere Arbeit verrichten. Heinrichs Ansehen war nun völlig dahin, auch das Unterrichten der Kinder hatte nicht hingehauen. In den Augen vieler war er ein ganz unnütziger Geselle. Am zweiten Ostern kehrte er endlich zu seinem Vater nach Kredenbach heim. Es war für Heinrich regelrecht eine Befreiung aus einer erstickenden Atmosphäre.
Trotz dieser bitteren Erniedrigung ist Jung Stilling zu einer sehr bekannten Persönlichkeit empor gestiegen. Deswegen zählt Jung Stilling auch zu den größten Söhnen, die das Siegerland je hervor gebracht hat.
Ein Beitrag von Heinz Bensberg
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