Lebenswichtige Mitbewohner mit gutem Gedächtnis

Professor Dr. Joachim Labenz erklärte im Diakonie Klinikum Jung-Stilling, wie Kleinstlebewesen gesund und krank machen können

(wS/red) Siegen 12.12.2017 | Sie bringen es auf zehnmal mehr Zellen als der Mensch selbst, tragen hundertmal so viel Erbinformation und wiegen zusammen bis zu zwei Kilogramm. Gemeint sind die Billionen mikroskopisch kleiner Mitbewohner auf und in unserem Körper. In ihrer Gesamtheit bezeichnen Mediziner sie als Mikrobiom. Welche Bedeutung es für Gesundheit und Krankheit hat, erklärte Professor Dr. Joachim Labenz beim Siegener Forum Gesundheit. In der Cafeteria des Diakonie Klinikums Jung-Stilling in Siegen machte der Direktor der Inneren Medizin deutlich: „Ohne unsere Mitbewohner könnten wir nicht leben.“ Sie wirken beispielsweise bei Immunabwehr und Verdauung mit, bilden Vitamine, lassen uns bei Kälte nicht erfrieren und beeinflussen das Zellwachstum.

Professor Dr. Joachim Labenz erklärte im Diakonie Klinikum Jung-Stilling, wie Kleinstlebewesen gesund und krank machen können. (Foto: Diakonie)

Nur ein kleiner Teil des Mikrobioms wird durch Vererbung festgelegt, der überwiegende Anteil entwickelt sich unter dem Einfluss von Ernährung, Lebensumfeld, Impfungen, Medikamente oder Hygiene bei jedem anders. „Ein normales Mikrobiom gibt es nicht, es weist bei gesunden Menschen große Unterschiede auf“, sagte Labenz. Gemeinsam haben alle Variationen, dass sie sich auf den gesamten Organismus auswirken. Menschen die stark übergewichtig sind, haben oft ein verändertes Mikrobiom. Aber auch viele andere Krankheitsgruppen sind eng mit dem Mikrobiom verbunden. Beispielhaft nannte Labenz einige den Magen-Darm-Trakt betreffende Beschwerden. Hier treibt oft das Bakterium Helicobacter pylori sein Unwesen. „80 Prozent der Menschen mit diesem Keim bemerken ihn gar nicht obwohl sie eine chronische Magenschleimhautentzündung haben, 20 Prozent entwickeln ernsthafte Komplikationen wie Geschwüre und bösartige Tumore“, erklärte Labenz. Behandelt werden Patienten dann meist mit Antibiotika, die gegen Helicobacter pylori wirken. Ebenfalls häufig tritt das Reizdarmsyndrom auf. Etwa 15 Prozent der Erwachsenen leiden darunter und leben mit Bauchschmerzen, Durchfal, Verstopfungl oder Blähungen, für die sich keine andere körperliche Ursache finden lässt. Ihnen rät der Mediziner zu der sogenannten FODMAP-Diät, bei der auf spezielle Kohlenhydrate verzichtet wird, die durch Gärungsprozesse den Darm belasten. Gut für das Mikrobiom im Darm sind hingegen probiotische Joghurts, die in den Kühlregalen vieler Supermärkte stehen. Probiotika mindern das Risiko von Darminfektionen und können deren Verlauf verbessern.

Aber auch darüber hinaus hat jeder selbst die Möglichkeit, etwas Gutes für sein Mikrobiom zu tun. Eine vielfältige Ernährung mit regionalen Produkten, Balaststoffe, stressfreie Mahlzeiten, Bewegung und eine ausreichende Nachtruhe wirken sich positiv aus. Schlecht sind stark verarbeitete, hochkalorische und fette Nahrungsmittel, radikale Diäten und einseitige Ernährung. „Das Mikrobiom hat ein gutes Gedächtnis. Es erinnert sich lange an Phasen mit schlechtem Lebensstil“, betonte Labenz.

Künftig könnte einigen Menschen mit schlechtem Mikrobiom eine Therapie helfen, die im ersten Moment befremdlich klingt. „Es ist möglich, mit einer Stuhltransplantation das Mikrobiom eines gesunden Menschen auf einen kranken zu übertragen“, schilderte der Chefarzt. „Damit sind bei einer Darminfektion durch Clostridium difficile bereits große Erfolge erzielt worden.“ In Deutschland sei diese Behandlung aufgrund bürokratischer Hürden aber noch sehr schwierig, weil der zu transplantierende Stuhl als Arzneimittel gilt und als solches zugelassen werden müsste. „Wenn wir im Einzelfall eine Stuhltransplantation durchführen möchten, müssen wir uns diesen individuellen Heilversuch rechtlich absichern lassen“, erklärte Labenz. „Deshalb ist das bislang nur in Einzelfällen machbar.“

Abschließend hatte der Arzt noch eine gute Nachricht für alle Kaffeeliebhaber: „Kaffee wirkt sich positiv auf das Mikrobiom im Darm aus und ist nicht so ungesund, wie lange gedacht.“
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