wS/jk – Siegen – 30.01.2013 – Der Mann, der Ende Juli 2012 seine 73-jährige Frau im Schlafzimmer des eigenen Hauses in Kreuztal-Ferndorf erwürgt hatte (wir berichteten), wirkte in den Wochen vor der Tat oft abwesend, zunehmend nervös und unkonzentriert auf sein direktes Umfeld.
Am zweiten Verhandlungstag im Sicherungsverfahren gegen Kurt X. wegen Totschlags im Zustand der Schuldunfähigkeit am Landgericht Siegen hörte die Kammer unter Vorsitz des Vorsitzenden Richter am Landgericht (VRLG) Wolfgang Münker den Stiefsohn des Beschuldigten, Stephan X., und dessen Schwester Claudia Y. als Zeugen an, die zudem als Nebenkläger auftreten.
Knapp einen Monat vor dem Tötungsdelikt war der Beschuldigte Kurt X. für seinen Stief- und Adoptivsohn, auf den er am Morgen des 28.07.2012 unmittelbar nach der Tat mit einem Hammer losging, kaum ansprechbar. Der heute 74-Jährige ging Stephan X. am Tag seiner Entlassung aus einem Krankenhaus, in dem er sich zwischen Ende Juni und Anfang Juli 2012 einer notwendigen Operation wegen eines Aneurysma (organische Störung) unterzog, aus dem Weg.
Später warf der Beschuldigte, dessen Schuldunfähigkeit wegen paranoider Zwangsvorstellungen bei den Taten des 28. Juli 2012 das Schwurgericht klären muss, dem 48 Jahre alten Zahnarzt vor, seine Ehefrau zu betrügen und ihm wegen seines undichten Dachs am Eigenheim an den Geldbeutel zu wollen. „Die wollen mich alle weg haben“, machte Kurt X. Anfang Juli während einem spontanen, mehrtägigen Besuch bei Tochter Claudia in Neuss weitere Andeutungen. Es könne dabei um Geld, sein Haus und seinen Hausarzt gegangen sein, mutmaßt sie vor Gericht.
Undichtes Dach war ein „ewiges Streitthema“
Der Nachlass des nun leer stehenden Elternhauses in Kreuztal-Ferndorf, das der damals beruflich in China weilende Armin X. – der zweite Sohn der Familie – erben sollte, und die Dach-Reperatur am einen Kilometer entfernten Haus des Stiefbruders seien ein „ewiges Streitthema“ gewesen, berichtete die in Neuss lebende Hausfrau.
Am Tattag gab es nach einer Feier am Vorabend im Partykeller erneut eine Auseinandersetzung zwischen den Eheleuten: Sie fügte ihm Kratzer im Gesicht zu. Er erwürgte seine Frau. Dann rief Kurt X. seinen Stiefsohn herbei.
Erst am Morgen der Tat habe der Beschuldigte sein in den Wochen zuvor oft abweisendes Verhalten ablegt: „Er klang freundlich“, erzählt Stephan X., dessen Freude über die vermeintliche Aussprache mit dem Vater aber nur von kurzer Dauer war.
Im Schlafzimmer des Elternhauses sah er fassungslos die tote Mutter, auf der eine befleckte Bettdecke lag. Dadurch kamen nur die Extremitäten des Opfers zum Vorschein, doch Stephan X. erkannte sofort, dass sie nicht mehr lebt. „Deine Saat ist aufgegangen“, sagte der Rentner und ging mit einem Hammer in der Hand auf seinen Adoptivsohn los.
„Sieh‘ dir das an, das ist dein Werk“, lautete ein weiterer Ausspruch von dem zitternden und mit hochrotem Kopf gegen seinen Stiefsohn ankämpfenden Mann – denn dieser hatte seinen Arm gepackt und verhinderte so, dass der damals 73-Jährige mit dem Hammer zuschlagen konnte.
Stephan X. konnte sich nicht gleich losreißen, landete mit seinem Vater im Kampf auf dem Bett („Er war impulsiv und hatte einen tiefen Zorn entwickelt“) und ergriff unverletzt die Flucht als der Senior an Kraft verlor. An einer Bahnbrücke verständigte er die Einsatzkräfte, die den Beschuldigten vor der Haustür wartend antrafen.
Mit dem Hammer in der Hand: „Deine Saat ist aufgegangen“
Der Rentner habe unter Wahnvorstellungen gelitten, alles und jeden hinterfragt. Er glaubte, sein Hausarzt wolle ihn in die Psychiatrie bringen und man wolle ihn entmündigen. Bereits vor seiner OP sei Kurt X. sehr angespannt gewesen, meint Claudia Y., die zu ihrem Vater regelmäßig seit dem Aufenthalt in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Attendorn Kontakt pflegt. „Als er mich allein in Neuss besuchte, war er unkonzentriert und müde. Er brauchte Ruhe“, so die ehemalige Zahnarzthelferin.
Am Tattag führte sie ein kurzes Telefonat mit dem nun 74-Jährigen. „Er war nicht gut gelaunt und kurz angebunden“, beschrieb sie. Seine Ehefrau läge noch im Bett, habe er ihr nur einige Augenblicke nach dem Tötungsdelikt gesagt. In der JVA bereute er sein Handeln: „Er offenbarte einsichtig, dass das nicht richtig war. Meinem Bruder habe er nur Angst machen wollen“, gab die 42-Jährige vor dem Gericht zu Protokoll.
„An die Tat kann er sich nicht mehr richtig erinnern und weiß nicht, wie er so durchdrehen konnte“, habe der Beschuldigte bei einem U-Haft-Besuch reumütig bekannt. Über einen Pfleger der Eickelborner Psychiatrie, in der Kurt X. inzwischen vorläufig untergebracht ist, unternahm er einen Versuch Abbitte bei seinem Stiefsohn Stephan zu leisten. „Ich möchte versuchen, ihm zu verzeihen, aber ich kann die Angst nicht ablegen“, kam dieser dem „Herzenswunsch“ des Beschuldigten (noch) nicht nach.
Stiefsohn möchte Tat verzeihen: „Kann die Angst nicht ablegen“
Bei dem Sicherungsverfahren vor dem Landgericht Siegen geht es grundsätzlich um die Unterbringung von Kurt X. in einem psychiatrischen Krankenhaus. Er wird von den Rechtsanwälten Andreas Trode (Iserlohn), Horst-Holger Winzer (Berlin) und Ulrich Schmidt (Siegen) vertreten. Es ist die Frage zu klären, ob Kurt X. bei den Taten schuldunfähig war und ob noch eine Gefahr für die Allgemeinheit besteht.
Den Antrag stellte die Staatsanwaltschaft Siegen, für die Oberstaatsanwalt Manfred Lischeck den voraussichtlich bis Mitte Februar andauernden Verhandlungen beiwohnt. Die Nebenkläger werden von den Rechtsanwälten Katharina Batz (Kreuztal) und Rainer Gellbach (Siegen) vertreten. Der psychologische Sachverständige ist Dr. med. Michael Mattes (Facharzt für Psychiatrie, Herten).
Bericht: Jürgen Kirsch
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