„Lob der Langsamkeit“ spricht für verträgliches Tempo

Mittwochsakademie der Universität Siegen feierlich eröffnet: Die Mensch-Roboter-Interaktion stand im Mittelpunkt des Interesses.

(wS/red) Siegen 15.05.2018 | Das Thema Digitalisierung ist aktuell in aller Munde. Staatsminister werden ernannt, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beschäftigen sich in unterschiedlichen Disziplinen mit diesem Querschnittsthema. Auch die Gesellschaft nimmt Veränderungen wahr und diskutiert mögliche Szenarien. Einen Wissens-Unterbau für solche Debatten lieferte die Mittwochsakademie der Universität Siegen im Rahmen ihrer feierlichen Eröffnung des Sommersemesters im Lÿz an der St.-Johann-Straße in Siegen. Der Forschungsschwerpunkt von Dr. Rainer Wieching liegt im Bereich „IT für die alternde Gesellschaft“. Sein Thema lautete denn auch „Arbeitswelten der Zukunft: Roboter als soziale Interaktionspartner von Senioren in der Pflege – Fakt oder Fiktion?“. Begleitet wurde der Referent von Roboter „Pepper“, der im Anschluss an die Veranstaltung im Mittelpunkt der rund 120 Gäste stand. „Keine Zwänge, keine Überfälle“ – so brachte Prof. Dr. Dr. h.c. Carl Friedrich Gethmann das Fazit seines Vortrags eloquent und verständlich auf den Punkt. Der Gast vom Forscherkolleg „Zukunft menschlich gestalten“ widmete seine Ausführungen dem Thema „Ethische Probleme des Einsatzes künstlicher Intelligenz im Alltag (ambient intelligence)“.

Roboter „Pepper“ erfreute sich im Rahmen der Eröffnung der Mittwochsakademie großer Beliebtheit. (Foto: Uni)

Dr. Rainer Wieching, promovierter Sportwissenschaftler, diplomierter Sportlehrer und Physiologe, unterstrich, dass ein aktives und gesundes Altern zu den großen Herausforderungen in Gegenwart und Zukunft gehöre. 2014 habe er in Japan Roboter „Pepper“ kennen gelernt, der seiner Meinung nach etwas „kindchenmäßig Süßes“ besitze, zu den humanoiden Robotern gehöre und in der Altenpflege assistieren und entlasten solle. Einen Blick warf der Referent nach Japan und auf die dortige „Society 5.0“. Roboter „Pepper“ ist in Japan frei käuflich. Wieching: „Japaner sehen Roboter als Helfer und nicht als Feinde.“ Roboter seien dort zum Teil bereits „frei beweglich“ und arbeiteten als Kollegen in Teams mit: „Japaner stehen dem aufgeschlossen gegenüber. Roboter werden auf der Kollegentafel geführt.“

Roboter „Pepper“ ist von Programmierung und somit von menschlichem Knowhow abhängig. Auf dem Gebiet der Roboterentwicklung tue sich viel, so der Referent. Immense Gelder würden investiert. Der Trend sei nicht aufzuhalten. Der Serviceroboter „ARMAR“ des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) fungiere bereits als Küchenhelfer. Im EU-Projekt „KSERA“ werden Technikvarianten erforscht, die Menschen mit Atemschwierigkeiten Hilfe leisten. Wieching: „Diese Roboter können und sollen nie einen Menschen ersetzen.“ Die Siegener Wissenschaftler sind mit „Pepper“ im Jahr der Wissenschaft unter dem Titel „Zukunft der Arbeitswelt“ aktiv. Wieching: „Wir erkunden, wie Angehörige, Fachkräfte, Patienten und Pflegeleitungen in Senioreneinrichtungen denken. Wir wollen mit den Menschen ins Gespräch kommen und sie in die Technikentwicklung integrieren.“ Roboter „Pepper“ erfreue sich bei Groß und Klein hoher Beliebtheit. Das zeige sich bei den Besuchen in Pflegeeinrichtungen. Wieching: „Er kann gut in Pausen zum Einsatz kommen, jedoch nicht für pflegerische Tätigkeiten.“ Mögliche Einsatzgebiete sind die Sturzprävention, als Tai-Chi-Trainer, zur Animation bei Spiel und Bewegung, Musik und Tanz und mehr. Als Servicekraft könnte der Roboter Angehörige anrufen oder über die Speisekarte Auskunft geben. Einmal pro Woche ist das Team rund um Wieching und „Pepper“ für je zwei Stunden im Siegener Marienheim zu Gast. „Wieching: „Manche Menschen versuchen in Interaktion mit dem Roboter zu treten.“ Und weiter: „Vom Begleiter sind wir aber noch recht weit entfernt.“ Zudem sei der Gesetzgeber gefordert, Rahmenbedingungen zu schaffen.

Prof. Gethmann, von Haus aus Philosoph und seit 2013 Mitglied im Deutschen Ethikrat, gab einen kurzen Überblick über den Stand der Robotik. Unter künstlicher Intelligenz sei „technisch nachgebildete menschenähnliche Intelligenz“ zu verstehen. Sie werde genutzt, um aus wirtschaftlichen Gründen oder zur Fehlervermeidung Tätigkeiten von Menschen zu ersetzen. Prognosen hinsichtlich der Reduzierung der Anzahl der Arbeitsplätze durch Roboter seien bislang nicht eingetroffen. Dennoch gebe es ein soziales Problem dergestalt, dass wegfallende Arbeitsplätze nicht identisch seien mit neu entstehenden Jobs. Letztere erforderten in der Regel eine höhere Qualifikation. Die Weiterqualifikation von Mitarbeitern sei notwendig, aber nicht immer machbar. Als „Nahbereiche“ (ambient intelligence) für den Einsatz von Robotern skizzierte Gethmann die Krankenversorgung (Chirurgie), Altenpflege (Fallteppich, Kleidungssensoren) und gefährliche Arbeitsplätze: „Menschen können Aufgaben abgenommen werden, keineswegs aber alle.“ Zum ersetzbaren Bereich gehörten langweilige, ermüdende Abläufe und Bereiche, und solche, in denen die Kontrollanforderungen komplex seien. Dabei würden keine Kunstmenschen erschaffen: „Die Roboter könnten auch menschenunähnlich gestaltet sein.“

Roboter können zunehmend mehr, beispielsweise motorisch wie mit einer Hand greifen. Aus diesem „Mehr“ erwachsen Probleme vor allem hinsichtlich der Haftung (Zivilrecht), der Zurechnung (Strafrecht), der Selbstbestimmung (z.B. medizinische Diagnose und Therapie), der Abwägung durch Algorithmen sowie das Problem der Täuschung (z.B. Pseudo-Kommunikation). Die Klugheitsregel würde raten: „Chancen nutzen – Risiken vermeiden.“ Diese Regel umzusetzen, erweise sich als leichter gesagt denn getan. Chancen und Risiken müssten realistisch eingeschätzt werden können.

Roboter und Mensch – aus ethischer Sicht gibt es die Betrachtungen a) Der Mensch – das technische Wesen, b) Entlastung – Selbstbestimmung, c) Entlastung -Entfremdung. Bereits in der Antike sei der Mensch im Vergleich zur Natur als „Mängelwesen“ begriffen worden. Das Naturverhältnis verlange dem Menschen Leistungen ab, die seine natürlichen Fähigkeiten überfordern (Fliegen können von Natur aus fliegen, Menschen brauchen Maschinen). Deshalb bediene sich der „homo faber“ der Technik. Diese berge zwar Risiken, ermögliche aber eine hohe Lebensqualität. In Zeiten der modernen Technik gingen damit massive Gerechtigkeitsprobleme einher – Nutzen- und Schadensträger seien nicht identisch.

Die intelligente Umgebungstechnik bietet die Chance der Entlastung, aber auch die Gefahr der Entmündigung. Gethmann postuliert eine notwendige Zustimmung auf höherer „Körnigkeitsebene“. Will heißen, Menschen müssen nicht bei jeder Kleinstanwendung um Zustimmung gefragt werden, Zustimmung ist aber grundsätzlich notwendig. Zudem müssen Menschen Interventionsmöglichkeiten haben. Das Beispiel des Haltens vor roter Ampel stehe für Inkaufnahme statt Freiwilligkeit. Die Einsicht in die Notwendigkeit/Nützlichkeit dominiere. Der Grad der Selbstbestimmung von Menschen hänge vielfach von den persönlichen Fähigkeiten ab. Selbstständigkeit könne auch delegiert werden (z.B. Wahl, Verhältnis Eltern zu Lehrern, Vormundschaft). Werde im Bereich der Pflege beispielsweise das Frühstück von einem Roboter serviert, dürfe kein Zwang zur Teilhabe bestehen, zumindest der Grad der Inkaufnahme müsse gewährleistet sein. Bei autonomen Systemen, so Gethmann, müsse das Tun einer Handlung zurechenbar sein (moralisches Fehlverhalten, zivilrechtliche Haftung, Zurechenbarkeit einer strafbaren Handlung). Die Schwierigkeit liege im Fehlen der Interventionsmöglichkeit.

Veränderung, so Gethmann, könne unterschiedlich erlebt und bewertet werden. Auf der einen Seite könne die Entlastung durch Technik zum Verlust von Vertrautheit und zur Entfremdung führen (z.B. bei Demenzkranken). Auf der anderen Seite gebe es in Form von Fernweh, technischer Innovationsfreude und Überdruss an Gewohntem das Bedürfnis nach Veränderung. Der Begriff „Heimat“ baue auf ein Vertrautheitsbedürfnis. Und dennoch verändere sich Umgebung. Gethmann: „Es geht um die Geschwindigkeit der Veränderung als solche.“ Ausgangs- und Endzustände dürften nicht ohne Übergangsverhältnisse diskutiert werden. Das „Lob der Langsamkeit“ spreche für ein verträgliches Tempo. Im Pflegebereich stehe „Routine“ oft auch für menschliche Zuwendung. Gethmann: „Man wendet sich einem Menschen zu, indem man etwas tut.“ Werde dieses Routine-Tun durch Technik ersetzt, müsse es wiederum als soziale Funktion ersetzt und erhalten werden.

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