Universität Siegen koordiniert Forschungsprojekt TransSOL. 2,5 Millionen Euro Förderung aus dem Horizon-2020-Programm
(wS/uni) Siegen – Wie weit geht europäische Solidarität – insbesondere dann, wenn einzelne Länder in der Krise stecken? Das Forschungsprojekt TransSOL „Europäische Solidarität in Zeiten der Krise: Voraussetzungen, Formen, Vorbilder“ („European paths to transnational solidarity at times of crisis“), koordiniert von der Universität Siegen, will aufzeigen, „wie stark Solidarität in Europa mittlerweile entwickelt ist, von welchen Faktoren diese beeinflusst wird und welche förderlichen Rahmenbedingungen, gerade in schwierigen Zeiten, identifiziert werden können“, erklärt der Siegener Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Christian Lahusen. Zehn Partner aus acht europäischen Ländern haben den Antrag eingereicht und im renommierten EU-Forschungsrahmenprogramm Horizon 2020 gepunktet. Am 1. Juni 2015 startet die Studie, die mit rund 2,5 Millionen Euro gefördert wird.
„Ich freue mich sehr, dass der Forschungsantrag von Prof. Lahusen und seinem Team überzeugt hat“, sagt Prof. Dr. Holger Burckhart, Rektor der Universität Siegen. „Unsere Universität wird einmal mehr zu wichtigen internationalen wissenschaftlichen Erkenntnissen ihren Beitrag leisten. Es ist von enormer Bedeutung, die Vielfalt an gesellschaftlichen Differenzen aufzuzeigen, um damit zum einen Pluralismus wertzuschätzen, aber auch den daraus entstehenden Herausforderungen durch ein solidarisches Miteinander zu begegnen. Nur wenn die Menschen in Europa ein Bewusstsein für ihre unterschiedlichen Werte, Normen, als auch Weltbilder entwickeln und sich zudem kritisch hinterfragen, haben wir die Chance, auch in sozialen Krisenzeiten zusammenzustehen und eine Einheit in Vielfalt zu bilden.“
Zukunftsängste und Vertrauensverlust sind Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise. Stellt sich die Frage, ob auch die Bereitschaft zur Solidarität gelitten hat. „Wenn es uns gut geht“, so Prof. Lahusen, „sind wir schnell dabei, andere zu unterstützen. Aber wie belastbar sind die allgemeinen Solidaritätsbekundungen, wenn sich Faktoren wie die wirtschaftliche Entwicklung oder öffentliche Haushaltslagen ändern, wenn es um konkrete Bezugsgruppen geht wie Menschen mit Behinderungen, Asylsuchende oder Arbeitslose?“, so Prof. Lahusen. Daran schließen sich vielzählige weitere Fragen an: Sind Bürger wirklich involviert anderen zu helfen über bloße Absichtsbekundungen hinaus? Wie stark sind die Gesellschaft und jeder Einzelne in der Lage, Solidarität zu organisieren? Wo sind Grenzen? Das Forschungsfeld ist breit. Wann sind Politik und Staat gefragt? Was sind hinderliche, was sind förderliche Faktoren, damit Menschen sich für andere einsetzen? Wie stark stellen sich Europa-Gegner dem Solidaritäts-Gedanken entgegen? Auf welche Art und Weise haben politische Entscheidungen in Sachen Einwanderung, Asyl und Arbeitslosigkeit dazu beigetragen, den Solidaritätsgedanken auszuhöhlen? Wie stark beeinflusst die Medienberichterstattung die Bereitschaft zur Solidarität in Zeiten der Krise?
All diesen Aspekten gehen die Forscher in Deutschland, der Schweiz, Frankreich, Großbritannien, Polen, Dänemark, Griechenland und Italien nach und zeigen erfolgreiche Instrumente auf, um länderübergreifende Solidarität voranzutreiben. „Spannend ist, dass wir sowohl in finanzielle Nehmer- als auch Geber-Staaten blicken und dazu jüngere Länder der EU wie Polen in die Forschung einbeziehen“, erklärt der Projektkoordinator.
Zunächst wird in der Studie der gesellschaftliche Kontext in den beteiligten Ländern analysiert. Dazu zählen unter anderem die wirtschaftliche Entwicklung, Einkommensunterschiede, die Arbeitslosenquote, soziale Sicherungssysteme, politische Beteiligung, Vereins- und Parteienvielfalt und Einwanderungsrecht. In einem nächsten Schritt wird eine Bestandsaufnahme vorhandener Unterstützungs-Projekte vorgenommen. „Wir schauen uns beispielsweise humanitäre Hilfsprogramme an“, so der Siegener Sozialwissenschaftler Prof. Lahusen: „In Griechenland haben Bürgerinnen und Bürger das marode Gesundheitssystem unterstützt, aber auch aus anderen Ländern wurden Medikamente geschickt und Ärzte arbeiteten ehrenamtlich in dem krisengeschüttelten Land.“ Aber auch politische Aspekte kommen nicht zu kurz. Zum Beispiel geht es um solche Fragen: Treten Menschen aus anderen EU-Ländern für die Rechte der griechischen Bürger ein oder wollen sie diese einschränken? In wie weit haben die Menschen quer durch Europa die Proteste in Frankreich unterstützt? Wie intensiv kümmern sich Einheimische um Flüchtlinge und befürworten mehr gegenseitige Verantwortung der Mitgliedsländer bei der Aufnahme von Asylbewerbern?
Nach einer Auflistung der Hilfsmaßnahmen folgt eine Bevölkerungsumfrage mit dem Ziel, die Bereitschaft zur Solidarität und das tatsächliche Engagement zu beleuchten. Danach werden Organisationen und Netzwerke auf der nationalen und europäischen Ebene zu ihren Erfahrungen in Bezug auf die Organisation transnationaler Solidarität innerhalb und außerhalb des eigenen Landes befragt. Außerdem werden die Wissenschaftler die öffentliche Debatte über Solidarität in den Medien untersuchen. „Uns interessiert besonders, welche Botschaften in der Medienberichterstattung vermittelt und diskutiert werden“, erklärt Prof. Lahusen.
Abschließend wird ein Katalog von Erfolgsmodellen und politischen Empfehlungen entwickelt. „Bürgerinnen und Bürgern, Organisationen und Regierungen wird ein Leitfaden an die Hand gegeben, um Unterstützungsmaßnahmen effektiver umzusetzen. So werden wir mit TransSOL den Prozess des europäischen Zusammenwachsens hin zu einer stabileren und nachhaltigeren Gesellschaft voranbringen“, sagt der Koordinator des Forschungsprojektes und fügt an: „Förderliche Rahmenbedingungen und öffentliche Unterstützung sind Grundbedingungen dafür, dass in der Zivilgesellschaft europäische Solidarität gelebt wird. Sie darf aber nicht dafür herangezogen werden, Probleme lösen zu müssen, die Staat und Politik nicht in den Griff zu kriegen glauben.“
Beteiligt: Universität Siegen, Université de Genève (Schweiz), Fondation Nationale des Sciences Politiques (Frankreich), Glasgow Caledonian University (Großbritannien), University of Crete (Griechenland), University of Florence (Italien), University of Warsaw (Polen), University of Copenhagen (Dänemark), University of Sheffield (Großbritannien), European Alternatives (Deutschland, Großbritannien). Das Projekt wird vom EU-Rahmenprogramm für Forschung und Innovation Horizon 2020 unter der Nummer 649435 gefördert.
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