(wS/red) Hilchenbach – Heute erreichte die wirSiegen.de-Redaktion erneut ein sehr schöner Beitrag des Dahlbrucher Heimatforschers Heinz Bensberg. Diesen Bericht wollen wir unseren Lesern nicht vorenthalten…
Das letzte Roggenstrohdach von Dahlbruch
Ein Beitrag von Heinz Bensberg
Unsere Vorfahren benutzten weit mehr natürliche Produkte für den Hausbau als wir heute. Es wurde das Material verwendet, welches in der näheren Umgebung wuchs oder vorhanden war. So ist in der Umgebung von größeren Gewässern Schilf zur Dacheindeckung genommen worden. Da im hiesigen Raum kein geeignetes Schilf vorhanden war wurden im Siegerland die Dächer mit Stroh, ja mit Roggenstroh, gedeckt. Es eignete sich von unseren Stroharten nur das Roggenstroh zur Dacheindeckung, da es seinerzeit einen sehr langen Halm hatte.
Der handgedroschene Winterroggen (Maschinendrusch zerdrückt den Halm) wurde in mehreren Schichten versetzt von der Traufe zum First auf Rundhölzer aufgetragen und befestigt. Die Rispenseite des Strohs zeigte immer nach oben. Begonnen wurde das Eindecken rechts von unten nach oben mit einer Bahnbreite von sechs Bündeln. Hierbei wurde logischer Weise das Ende des Bündels, es waren die Ähren, von der darauf liegende Lage überdeckt. Die Hölzer hatten ca. 5 cm Durchmesser und waren etwa so angeordnet wie heute die Dachlatten liegen mit einem Abstand von 22 bis 26 cm. Das Stroh wurde unter Zuhilfenahme einer Rundnadel mit einem 1,5 mm dicken Kupfer- oder verzinktem Draht auf die Rundhölzer regelrecht aufgenäht. Davor verwendete man hierzu auch Weidenschächte und Stroh. Ehe die neue Bahn begann wurde die da vorgehende mit einem Holzrechen gekämmt. Danach wurde sie, wie das Kämmen von oben nach unten, mit einem Schereisen geschoren.
Das Roggenstroh wurde damals mit der Sichel bzw. mit der Sense abgeschnitten, denn die Halme durften nicht geknickt werden und mussten gerade bleiben. Das Stroh wurde mit den Ähren, nachdem es im Hauberg oder auf dem Felde getrocknet war, von Hand über eine Holzbank oder ein großes Fass geschlagen um die Körner so weit wie möglich zu entfernen. Danach wurde es durch einen hölzernen Schabrechen gezogen wobei Krummstroh und Fremdpflanzen entfernt wurden.
Leichte Arbeit war es nicht und viel handwerkliches Können gehörten dazu, sowie sehr viel Roggenstroh um solch ein Strohdach fachgerecht und wasserdicht zu erstellen. Solch ein Dach bestand aus vielen Schichten und wog etwa 6,5 kg/m Einst hatten die meisten Wohngebäude im Siegerland ein steiles Satteldach von etwa fünfzig Grad ohne Firstbalken. Dies war für die Stroheindeckung besonders geeignet, denn die Dichtigkeit und die Haltbarkeit des Daches waren bei dieser Bauweise am größten. Ganz besondere Fachkenntnisse waren zu der Firsteindeckung nötig. Über den Giebel des Hauses wurden die Halme bündelweise gebogen, dann in das Stroh der Dachflächen sauber eingearbeitet und zweifach festgenäht. Aus diesem Grund wurde früher – im Gegensatz zu heute – bei uns im Siegerland auf kräftiges, mannshohes Stroh großen Wert gelegt.
Die Temperaturen unter solch einem genähten Dach oder Weichdach, wie es auch genannt wurde, waren sehr konstant und angenehm. So ließ das 35 bis 40 cm dick aufgetragene Stroh im Sommer die Hitze draußen und im Winter die Kälte nicht hinein. Aber auch die Feuchtigkeit wurde aus dem darunterliegenden Raum leicht durch das Dach abgeführt. Es konnte auch nicht zur Kondenswasserbildung kommen. Um diese Eigenschaft heute zu erreichen, muss schon eine sehr gute kostspielige Dämmung verwendet werden. Nicht nur die Häuser, sondern auch andere Gebäude waren einst bei uns mit Roggenstroh abgedeckt, so auch die Gießhallen vor den Hochöfen.
Reetgedeckte Häuser sind zum Beispiel in Norddeutschland noch vorhanden und begehrte Fotoobjekte für den Touristen. Dagegen ist ein strohgedecktes Dach schon längst eine Rarität geworden. So ist auch das letzte Strohdach Dahlbruchs schon 1943 verschwunden. Es ist das bis Juli 2010 mit Blech bedeckte Fachwerkhaus der Hochstraße 17. Das Dach ist nun mit schwarzen Dachpfannen belegt. Der Sandformer Heinrich Hinkel hatte dieses Haus erbaut und die Genehmigung dazu am 5. Oktober 1850 von der Gemeinde Dahlbruch erhalten. Beschäftigt war der Bauherr bei der Dahlbrucher Hütte. Sie stand auf der Fläche, wo sich heute Hallenbad, Turnhalle und Gebrüder-Busch-Theater befinden. Der Sandformer hatte das künstliche Sandbett anzulegen, in das sich nach Hochofenabstich das flüssige, hell leuchtende Roheisen ergoss.
Die klimatischen Verhältnisse auf dem Dachboden waren durch das Blech bei weitem nicht mehr so gut wie vorher gewesen, als das Dach noch dick mit Stroh bedeckt war. Es waren 1943 einfach wirtschaftliche Zwänge, die zu dieser Maßnahme geführt hatten. Da das Blech hier produziert wurde, sind viele Dächer im Siegerland zur damaligen Zeit mit diesem Material eingedeckt worden. Die Unterhaltung von diesen Dächern war sehr aufwendig. Denn sie mussten etwa alle sechs Jahre gestrichen werden damit sie nicht rosten. Leider sind auch herrliche sehenswerte Fachwerkgebäude in diesen Kriegsjahren mit Blech verkleidet worden. Ein weiterer Grund für den Materialwechsel lag auch darin, dass der Beruf des Strohdachdeckers im Siegerland und darüber hinaus längst ausgestorben war. Es war kein Mensch mehr da, der diese Arbeit fachgerecht ausführen konnte.
Die Lebensdauer von solch einem Weichdach betrug 30 bis 50 Jahre, ja sogar bei entsprechender Pflege bis zu 100 Jahre, wie bei dem letzten Dahlbrucher Strohdach. Jeder Schaden durch Sturm oder tierische Schädlinge wie Ratten, Mäuse oder Vögel musste schnellstmöglich ausgebessert werden. Dies geschah durch Nachnähen des Daches und durch Ausstopfen mit abgelegten, angepassten Garben, die in das Dach hinein getrieben wurden. Diese Strohdächer hatten natürlich keine Dachrinne.
Bereits in den 1870er Jahren begann die Vorherrschaft des Strohdaches im Siegerland zu weichen. Häuser, deren Dachstuhl in jener Zeit abbrannte oder bei denen eine Aufstockung des Drempels erfolgte, wurden nicht mehr mit Stroh, sondern mit Blech, Zement- bzw. Tonpfannen, Schiefer oder Schindeln eingedeckt. Aber auch die Neubauten wurden ab diesem Zeitpunkt nicht mehr mit Roggenstroh belegt.
Klein war das Haus von Heinrich Hinkel, das auch mal als Scheune genutzt wurde, im Vergleich zu den mächtigen Fachwerkhäusern am obersten Dahlbruch, die heute zum Teil noch vorhanden sind. Übrigens war das zweitletzte Strohdach von Dahlbruch auf einen von diesen Häusern und steht in der Nachbarschaft. Es wurde 1775 errichtet und hat heute die Nummer 18 der Hochstraße. Es gehörte einst zu den schönsten Häusern in dieser Gegend mit der Inschrift: ,,Herr Gott durch Deine Gnad’ und Güt’ dies Haus für böser Rott und allem Schad behüt’ und segne Du, die wohnen drin, dass sie nach Deinem Willen sind und befehlen dem Herren die Wege Gottes. Er wird alles wohl machen.’’ Ein gewaltiges Flammenmeer vernichtete am 24. Juni 1942 dieses große Strohdach vollkommen.
In der trockenen Sommerzeit waren diese Strohdächer natürlich leicht brennbar. Aus diesem Grunde sind in den früheren Zeiten auch viele Orte im Siegerland von gewaltigen Brandkatastrophen heimgesucht worden. Um diese enormen Brände zu vermeiden wurden beim Bau der Bahnlinie Creuztal Hilchenbach Anno 1883 in Ferndorf von einigen nahestehenden Häusern das Strohdach, auf Kosten der Eisenbahn, in ein feuerfestes Dach ersetzt. Aber auch für die Feuerbekämpfung wurde Vorsorge getroffen. In Hilchenbach z. B., was schon einige große Brände überstehen musste, beschloss man 1687 nachdem man Fleckenrechte hatte folgendes. Jeder fremde Bürger wird in unserem Flecken nur aufgenommen, wenn er unter anderem einen ledernen Eimer zur Brandbekämpfung mit bringt.
Der Hauseingang vom letzten Strohdachhaus von Dahlbruch war ursprünglich an der Längsseite zur Straße hin. Nach dem Ausbau der Hochstraße rückte das Gebäude so dicht an die Fahrbahn, dass man mit dem ersten Schritt aus der Haustüre schon auf der Straße war, obwohl es 1920/21 etwas vom Weg ab verschoben worden ist. Der Eingang wurde aus diesem Grunde vernünftigerweise an die Giebelseite nach Westen verlegt. Interessant zu erwähnen ist noch, dass der Schrammbord vor diesem Hause 1991 zu einem Bürgersteig ausgebaut wurde. Der Grund dafür war, dass die Dachrinne an einer Ecke fast über die Fahrbahn reichte und manchmal von hohen Lastwagen mitgenommen wurde.
Fotos: Archiv Heinz Bensberg
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